Buchmesse: Preisverleihung an Adania Shibli verschoben
13. Oktober 2023Derzeit ist Adania Shibli Writer-in-Residence im Literaturhaus Zürich. Am kommenden Freitag sollte sie auf der Buchmesse in Frankfurt den "LiBeraturpreis" des Vereins Litprom entgegennehmen - eine Auszeichnung für Autorinnen aus dem Globalen Süden, deren Buch neu auf Deutsch erscheint. Shiblis Roman "Eine Nebensache" wurde von einigen Kritikern hoch gelobt, andere übten harsche Kritik. Das Buch bediene antisemitische Narrative, hieß es.
"Kann in diesen Tagen ein Roman, der Israel als Mordmaschine darstellt, ausgezeichnet werden?", fragt der "Tagesanzeiger" aus Zürich. Und bringt die Debatte im Vorfeld der Buchmesse auf den Punkt: Wie sollte mit Literatur umgegangen werden, die "angeblich israelfeindliche und antisemitische Stimmung in den Kulturbetrieb bringt"? Unter dem Eindruck von Pro-Hamas-Jubelfeiern auf Berlins Straßen am Wochenende kritisierte bereits die Tageszeitung "taz", dass "unter dem Applaus von vielleicht wohlmeinenden Geldgebern" auch Preise an Werke verliehen würden, "die den Staat Israel als Mordmaschine darstellen".
Jury-Entscheidung fiel lange vor Hamas-Angriffen
In der Begründung des Vereins Litprom e.V. für die Auszeichnung hieß es: Bei Shiblis Roman handele es sich um ein "streng durchkomponiertes Kunstwerk, das von der Wirkmacht von Grenzen erzählt und davon, was gewalttätige Konflikte aus Menschen machen". Ihre Entscheidung traf die Jury viele Monate, bevor die islamistische Terrororganisation Hamas am Wochenende Israel angriff und Massaker in der Zivilbevölkerung anrichtete.
Die 1974 geborene Autorin Adania Shibli lebt und arbeitet in Deutschland und Jerusalem. 2021 hatte sie die Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern inne.
Ihr Roman "Eine Nebensache" besteht aus zwei Teilen. Zunächst erzählt er von einer wahren Begebenheit während des Palästina-Krieges (1947-1949). In der Negev-Wüste stationierte israelische Soldaten langweilen sich, der Kommandeur hat Halluzinationen. Auf einer Patrouillenfahrt trifft er auf eine Gruppe von Beduinen, die er bis auf ein Mädchen und einen Hund erschießen lässt. Beide werden in das Militärcamp verschleppt. Das palästinensische Mädchen wird dort vergewaltigt und ermordet.
Kritiker sprechen von antisemitischem Narrativ
Der zweite Teil des Buches spielt Jahrzehnte später. Eine Journalistin aus Ramallah möchte das Verbrechen verstehen. Die Ich-Erzählung des Buchs entwickele nun einen Sog, kritisiert die "taz". Der einfühlsame Ton überlagere ein Grundproblem des Textes: Alle Israelis seien anonyme Vergewaltiger und Killer, die Palästinenser dagegen Opfer von schießwütigen Besatzern. Die Gewalt gegen israelische Zivilisten bleibe wohl deshalb unerwähnt, weil sie als legitimes Mittel im Befreiungskampf gegen die Besatzer gelte. Dies, so die "taz", sei die "ideologische und menschenverachtende Basis" des Buchs. Und so wirke auch der tödliche Romanschluss wie "eine pamphlethafte Anklage", in der sich alle Stereotype des Textes noch einmal bündelten.
Inzwischen hat der Verein Litprom auf die jüngsten Entwicklungen reagiert: "Aufgrund des Kriegs in Israel" habe man sich "gemeinsam mit der Autorin" entschlossen, die geplante Preisverleihung auf der Frankfurter Buchmesse abzusagen, schreibt der Verein auf seiner Internetseite. "Niemand fühlt sich derzeit zum Feiern." Allerdings wolle der Verein zur Förderung von Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika trotz der Kritik an der Preisvergabe für Adania Shiblis Roman "Eine Nebensache" festhalten.
Zuvor hatte sich schon der Autorenverband PEN Berlin zur Kritik an dem Buch geäußert. "Kein Buch wird anders, besser, schlechter oder gefährlicher, weil sich die Nachrichtenlage ändert", so PEN-Berlin-Sprecherin Eva Menasse. "Entweder ist ein Buch preiswürdig oder nicht. Die schon vor Wochen getroffene Entscheidung der Jury für Shibli war nach meinem Dafürhalten eine sehr gute. Ihr den Preis zu entziehen, wäre politisch wie literarisch grundfalsch."
Buchmesse will israelische Stimmen sichtbar machen
Buchmessen-Direktor Juergen Boos kommentierte unterdessen die Ereignisse im Nahen Osten: "Wir verurteilen den barbarischen Terror der Hamas gegen Israel aufs Schärfste", so Boos. Der Terror gegen Israel widerspreche allen Werten der Frankfurter Buchmesse. Die Messe stehe "mit voller Solidarität an der Seite Israels". Man wolle daher "jüdische und israelische Stimmen auf der Buchmesse besonders sichtbar machen".
So wird etwa die in Tel Aviv und Berlin lebende Autorin und Friedensaktivistin Lizzie Doron bei der Literaturgala am Samstag (21.10.) auf das aktuelle Geschehen in Israel Bezug nehmen. Auch soll es "zusätzliche Bühnenmomente für israelische Stimmen" geben, kündigte Boos an, etwa die Veranstaltung "Aus Sorge um Israel". Aufgrund der Reisebeschränkungen mussten allerdings auch Veranstaltungen abgesagt werden, etwa zwei Konzerte mit israelischen Sängerinnen.
In diesem Jahr findet die Frankfurter Buchmesse bereits zum 75. Mal statt. Ein Höhepunkt dürfte der Auftritt des Autors Salman Rushdie werden. Der in Indien geborene britisch-amerikanische Schriftsteller erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Für Rushdies Besuch werden strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Erst im August 2022 war der von Islamisten bedrohte Schriftsteller in den USA auf offener Bühne mit einem Messer angegriffen worden. Rushdie ist seitdem auf einem Auge blind.
Zu den großen Themen der Buchmesse gehören die Künstliche Intelligenz, der fortschreitende Klimawandel und der Kampf gegen Populismus und Extremismus. Auf vielen Buchmessen-Podien dürfte - neben dem Erstarken der rechtspopulistischen Partei AfD und dem anhaltenden Krieg in der Ukraine - vor allem der am Wochenende eskalierte Krieg in Nahost diskutiert werden. Ursprünglich war im Messe-Veranstaltungskalender lediglich eine Diskussion mit dem Thema "Demokratiekrise in Israel" geplant.