Bruce "The Boss" Springsteen wird 70
23. September 2019Kariertes Hemd, enge Jeans, Cowboy-Boots. Die E-Gitarre in den muskulösen Armen, singt Bruce Springsteen mit rauer Stimme von dem Amerika, aus dem er stammt: Sohn eines Hilfsarbeiters, aufgewachsen in einer Kleinstadt in New Jersey, südlich von New York City.
Die Verhältnisse sind bescheiden, der Vater ist frustriert und trinksüchtig. Er lernt, sich dort herauszuboxen. Mit zehn Jahren bekommt er seine erste Gitarre. Er liebt Elvis Presley, die Stones und die Beatles und beschließt, Musiker zu werden. Mit 16 Jahren fängt er bei einer lokalen Band an und nimmt mit ihr zwei Singles auf.
Bis zur Gründung seiner legendären E Street Band dauert es noch ein paar Jahre, in denen er in verschiedenen Konstellationen Live- und Studioerfahrung sammelt. Und dann kommt endlich der Plattenvertrag. 1973 erscheint "Greetings From Ashbury Park, N.J.", im selben Jahr folgt "The Wild, The Innocent, And The E Street Shuffle". Kritiker wollen schon den "neuen Bob Dylan" sehen und sagen dem knapp 25-jährigen Bruce Springsteen eine große Karriere voraus.
Raus aus dem Käfig
Die aber soll sich erst später einstellen: mit den 1975er Album "Born To Run". Im Titelsong singt Bruce Springsteen das Mädchen Wendy an, die mit ihm gehen soll, bloß weg aus der Stadt, die "einem die Knochen aus dem Rücken reißt" - klar, es geht um seine eigene Heimatstadt, den "Käfig", aus dem er herausspringt, direkt auf den Highway 9, im vollgetankten Auto mit Chromfelgen.
Die ganze LP handelt von Träumen, vom Freiheitswillen, von Flucht aus dem trostlosen Alltagstrott muffiger Kleinstädte. Ein Roadmovie wird wahr: Springsteen geht erstmals auf große US-Tour, "Born To Run" kommt auf Platz 5 der US-Charts.
Es gefällt den Rockfans, was Springsteen da macht: ehrlichen, erdigen Rock aus dem Amerika der Arbeiterklasse, Geschichten von harten Kerlen mit weichem Herz. Springsteen beschreibt die Schicksale der Benachteiligten und Gebeutelten, der Menschen, die nicht mehr weiterkönnen, aber dennoch an das Gute und die Kraft des unkaputtbaren Amerikaners glauben. Doch Stolz und Patriotismus werden immer wieder hinterfragt - was in dem wohl berühmtesten Song "Born In The USA" gipfelt.
Mit "Born in the USA" zum Megastar
"Born In The USA" ist keineswegs ein patriotischer Jubelsong. Es ist eine späte Abrechnung mit dem Vietnamkrieg und dem traurigen Schicksal der Vietnam-Veteranen, die zehn Jahre nach Kriegsende immer noch nicht Fuß gefasst haben im reichen Amerika. In der Tradition US-amerikanischer Protestsänger wie Woody Guthrie oder Bob Dylan deckt Springsteen die Kehrseite des amerikanischen Traums auf und teilt seine düsteren Visionen mit dem Rest der Welt. Und der findet das gut.
"Born In The USA" macht Springsteen 1984 zum internationalen Megastar. Er tourt durch die Welt, füllt Stadien und spielt seinen Fans bis zu fünf Stunden dauernde Konzerte. Springsteen und seine E Street Band avancieren zur besten Liveband jener Zeit.
"The Boss" und seine Musiker (u.a. Steven van Zandt und Nils Lofgren an den Gitarren, der 2011 verstorbene Saxophonist Clarence Clemons und im Backgroundgesang Springsteens spätere Ehefrau Patti Scialfa) geben von der ersten bis zur letzten Note energiegeladene Shows zum Besten, deren Querschnitt 1986 in einer umfangreichen Box ("Live 1975-1985") veröffentlicht wurde. Stadionatmosphäre im Wohnzimmer.
Auftritt der Superlative in der DDR
Springsteen gehört zu den wenigen westlichen Rockstars, die in der DDR auftreten. Am 19. Juli 1988 gibt er auf der Radrennbahn Weißensee in Ostberlin das größte Stadionkonzert seiner Laufbahn. 160.000 Karten sind verkauft worden, aber mehr als doppelt so viele Fans waren da. Manche sprechen sogar von 500.000 Menschen.
Sie alle feiern den Freigeist aus den fernen USA, dem größten Klassenfeind des sozialistischen DDR-Regimes. Springsteen will ihnen die Botschaft "Reißt alle Mauern nieder" entgegenrufen - und dann wird nach einem Veto der Zensoren dies daraus: "Es ist schön, in Ostberlin zu sein. Ich bin nicht für oder gegen eine Regierung. Ich bin gekommen, um Rock 'n' Roll für euch zu spielen." Dann fügt er noch hinzu: "In der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren umgerissen werden."
Manche sagen diesem Konzert - dem größten, das jemals auf dem Boden der DDR stattgefunden hat - nach, es habe den Prozess bis zum Mauerfall eingeleitet.
Viele musikalische Wege
1989 trennen sich Springsteen und seine E Street Band vorübergehend. Er macht solo weiter - und erhält 1994 für seinen Song "Streets of Philadelphia" einen Oscar für den besten Filmsong im Kinostreifen "Philadelphia".
Springsteen produziert Soloalben und geht auf Touren - kleiner, akustisch. 1999 kommt die E Street Band wieder dazu. Zwar gibt es keine neue Platte, aber auf einer ausgedehnten Tournee beweisen Springsteen und die E Street Band, dass ihre Liveshows immer noch zu den besten gehören.
Springsteen geht immer wieder neue musikalische Wege - beschäftigt sich mit den Songs von Ur-Protestsänger Pete Seeger, nimmt mit anderen hochkarätigen Musikern Songs auf. Immer wieder geht es auf große Tour, zuletzt waren Springsteen und die E Street Band 2016 in Deutschland zu sehen.
Ruhigere Töne
Im Juni 2019 ist das letzte Studioalbum erschienen. Auf "Western Stars" ist Springsteen merkwürdig ruhig geworden. Mit 70 Jahren ist vielleicht auch die Rolle des aufmüpfigen Arbeiterkindes nicht mehr so glaubwürdig. Springsteen singt immer noch von gescheiterten Persönlichkeiten, aber weniger von Kampf als von Resignation, Grenzen und Leere.
Fühlt sich so die Hälfte der US-Bürger angesichts eines rückwärts gewandten Präsidenten Trump nach einem Hoffnungsträger wie Barack Obama? Wenn ja, dann hat Bruce Springsteen auch mit dieser Platte den Zeitgeist seiner US-amerikanischen Heimat erfasst.