Britischer Widerstand gegen EU-Verfassung
6. Juni 2005
DW-WORLD: Großbritannien wird das Verfassungs-Referendum womöglich auf Eis legen. Gibt es bei den britischen Parteien nur Euroskeptiker?
Gerhard Dannemann: Nein, im Gegenteil. Die Liberalen, die ja bei der letzten Wahl die großen Gewinner waren, sind klare Befürworter der Verfassung. Und der Labour-Partei würde es ohnehin schlecht anstehen, dagegen zu sein, weil Tony Blair die Verfassung maßgeblich mitverhandelt hat. Offiziell dagegen sind aber die Torys, die feiern jetzt schon den Tod der Verfassung. Und kleine Parteien wie die UK Independence Party sind sowieso gegen alles, wo Europa draufsteht.
Was sind denn die Argumente der Parteien für oder gegen die Verfassung?
Den Liberalen gefällt es zum Beispiel, dass die Macht des Europäischen Parlaments gestärkt wird und dass die nationalen Parlamente stärker eingebunden werden. Sie begrüßen auch den Grundrechtsschutz. Ansonsten sind die Argumente bei Labour wirtschaftlicher Natur.
Der Hauptkritikpunkt der Torys an Brüssel ist: zu viel "Red Tape", also Bürokratie, Paragrafenreiterei. Man kritisiert gerne die EU als undemokratisch, lehnt aber gleichzeitig eine Stärkung des Europaparlaments ab, weil das die nationalen Parlamente einschränken würde.
Allerdings muss man auch sagen, dass es in beiden großen Parteien Lager gibt, die "Europhiles" und die "Eurosceptics". Es ist nur die Frage, wer gerade die Oberhand hat.
Die EU-Verfassung hat schon in mindestens drei Staaten Gegenwind - bedeutet das Scheitern der Verfassung auch das Ende des Euro? Immerhin hat der italienische Arbeitsminister Roberto Maroni schon die Rückkehr der Lira gefordert.
Das wird dem sowieso geringen Ansehen des Euro in Großbritannien sicher keinen Aufschwung geben. Aber die Abschaffung ist trotzdem einfach nicht realistisch. Sie würde riesig viel Geld kosten. Und auch eine Rückkehr der alten Währungen parallel zum Euro wäre bloßer Symbolismus.
Wenn es eine Abstimmung gäbe - welches Ergebnis hätte ein Verfassungsreferendum in Britannien?
Die EU ist in Großbritannien nicht sehr beliebt. Schon vor den Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden waren nach Umfragen mindestens 55 Prozent dagegen. Damals gab es noch einen großen Anteil von denen, die nicht wussten, was sie wählen sollten. Ob man denen heute aber klarmachen könnte, warum sie dafür sein sollten, wage ich zu bezweifeln. Und dass die nationalen Parlamente nach der Verfassung stärker eingebunden werden sollen, das ist ein Punkt, der an den Wählern vorbeigeht; solche Feinheiten kommen leicht unter die Räder. Aber man weiß nie. Der frühere Außenminister Lord Hurd hat kürzlich in Berlin gesagt: "Referenden sind eine schöne Sache. Man kann nie sicher sein, ob die Leute die Frage beantworten, die man ihnen stellt."
Gerhard Dannemann ist Professor am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin.
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