Kampieren fürs Klima
25. August 2017Nur wenige Kilometer von Köln liegt Europas größtes Braunkohlerevier. Riesige Bagger reißen seit Jahrzehnten die Erde auf und graben mehre hundert Meter tief. Über 270 Quadratkilometer Ackerflächen und Wälder wurden der Kohlegewinnung bereits geopfert, Dutzende Dörfer und damit die Heimat von zehntausenden Menschen zerstört. Nun gesellt sich zu den Bürgerinitiativen, die um den Erhalt ihrer Dörfer kämpfen, noch eine neue internationale und sehr dynamische Klimabewegung.
"In diesem Jahr gibt es die 23. Klimaverhandlung, und wir haben noch keine Verbesserungen bei der Reduktion von Treibhausgasen", erklärt Christopher Laumanns vom Klimacamp bei Erkelenz am Rande der großen Kohlegrube Garzweiler. "Deutschland ist noch weit davon entfernt, seine Klimaschutzziele zu erreichen."
Mehrere tausend Aktivisten aus Deutschland und Europa werden an diesem Wochenende auf dem Camp erwartet und nehmen an Protestaktionen teil. "Wir wollen eine rote Linie ziehen gegen die Zerstörung der Natur und auch gegen die Ungerechtigkeit, die dieses Wirtschaftssystem hervorbringt. Da ist diese Region hier im Rheinland sehr passend: Hier regiert die fossile Industrie, die Region ist stark abhängig davon", sagt Laumanns gegenüber der DW.
Voller Einsatz
Die meisten Campteilnehmer sind zwischen 20 und Mitte 30 und setzen sich für mehr Klimaschutz ein. "Wir machen Aktionen des zivilen Ungehorsams", erklärt Insa Vries von Ende Gelände, eine der Organisationen auf dem Camp. "Politiker halten Schönwetterreden, Konzerne machen nichts, deswegen müssen wir das selber in die Hand nehmen: Wir blockieren die Braunkohleinfrastruktur." Erstes Ziel der Aktivisten: die Kohlezüge. "Ruhig und besonnen stellen wir uns mit unseren Körpern dem Unrecht entgegen."
Das Betreten der Kohlegruben und das Blockieren von Kohlezügen ist nicht erlaubt. Vries hält die Aktionen im Kontext der Klimabedrohung aber trotzdem für legitim. "Wir brechen die Gesetze, aber diese Gesetze sind ungerecht", sagt die 24-jährige Studentin aus Berlin. "Wir sind hier in den Industrieländern für den Klimawandel verantwortlich, ausbaden müssen die Folgen aber die Leute auf den Fidschi- oder auf den Marshallinseln, denn sie erleben den Anstieg des Meerespiegels." Das sei ungerecht. "Deswegen ist unser Handel nicht legal, aber legitim."
"Wir sehen uns hier in der Tradition von sozialen Bewegungen in der Geschichte", ergänzt Mitstreiterin Janna Aljets und beruft sich auf die Anti-Rassismusbewegung in den USA um Rosa Parks und die indische Befreiungsbewegung um Mahatma Gandhi. "Auch hier gab es so viele unsinnige Gesetze, und der Kampf gegen das Unrecht war notwendig und legitim."
Gutes Leben für alle
Neben dem Protest gegen Europas größte Braunkohlegruben und der klimaschädlichen Stromgewinnung geht es auf dem Klimacamp noch um viel mehr. "Wir versuchen hier, schon im Kleinen die Gesellschaft von morgen zu entwickeln", erklärt die 28-jährige Ruth Krohn, die auf dem Klimacamp für die degrowth Sommerschule zuständig ist, einem breiten Programm mit Workshops, Kursen und Podien.
Die von ihr mitorganisierte Sommerschule hatte in diesem Jahr 500 Teilnehmende. "Es geht darum herauszufinden, wie ein gutes Leben für alle möglich ist, wie man die Gesellschaft so verändern kann, dass jeder Menschen gleiche Entwicklungschancen hat. Und hier auf dem Klimacamp geht es auch um die gemeinsame Entwicklung von Utopien."
Das Zeltdorf ist im Sinn dieser Zukunftsvision organisiert, es zeigt und erprobt, was schon möglich ist: Biologisch, regional und vegan wird hier für mehrere tausend Teilnehmer gemeinsam gekocht, der Strom kommt aus eigenen Solarmodulen und Speicherbatterien und geruchsneutrale Komposttoiletten erzeugen zugleich Dünger. Über die Organisation in der Zeltstadt und die anstehenden Aktionen diskutiert man in mehreren Sprachen mit Hilfe von Dolmetschern.
Aus aller Welt
"Ich bin beeindruckt von der Menge der Leute, die hier sind", sagt der 25-jährige Ricardo aus Mexiko, der an den gewaltfreien Aktionen gegen die Kohleverstromung teilnimmt. "Die Toiletten und Waschbecken sind sauber, die Küche ist super organisiert. Das Niveau der Organisation beeindruckt mich sehr." In Mexiko gebe es die gleichen Probleme mit dem Abbau in Minen und großen Megaprojekten. "Hier lernt man viel voneinander, von anderen Ländern, man knüpft Kontakte, wir haben einen gemeinsamen Kampf."
Auf dem Klimacamp herrscht ein Sprachengewirr. Die Lautsprecher-Durchsagen erfolgen auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Viele Aktivisten kommen aus den europäischen Nachbarländern, aus Dänemark, den Niederlanden, Tschechien, Schweden und Belgien. Immer wenn ein neuer Bus mit Teilnehmern ankommt, wird auf dem Platz geklatscht.
"Ich will an dem Kampf gegen den Klimawandel teilnehmen, die Verwendung von Kohle und Öl stoppen. Diese Kohleminen hier sind ein wichtiges Symbol", sagt eine junge Dänin vor ihrem gerade angekommenen Bus. An welchen Aktionen sie teilnimmt, weiß sie noch nicht; sie will sich informieren und dann sehen.
In selbstgewählten Kleingruppen bereiten sich die Teilnehmer auf die Aktionen vor. Jonas Baliani macht schon seit neun Jahren gewaltfreie Trainings und erklärt vielen Neulingen, mit welchen Methoden man bei den Blockaden gegenüber der Polizei deeskaliert und sich vor Verletzungen schützt.
Blockade, Aufklärung und Dialog
Erstes Ziel der jungen Klimabewegung ist der sofortige Kohleausstieg: Dafür wollen die Aktivisten vor allem die klimaschädliche Braunkohleverstromung durch Blockaden behindern. Der Braunkohleabbau soll unrentabler werden.
Zum anderen geht es ihnen um Aufmerksamkeit, breiten Dialog und Aufklärung: Auf einem Campworkshop erklärt Energieexpertin Anika Limbach, dass ein kompletter Ausstieg aus der Braunkohle und Atomkraft in Deutschland problemlos sofort möglich sei: Der Strombedarf ließe sich zu jeder Jahreszeit ohne Stromimporte decken.
Beeindruckt vom Engagement der Klimaaktivisten zeigen sich die Bewohner aus den umliegenden Ortschaften beim Rundgang auf dem Camp. Auch Manfred Maresch, Bezirksvertreter der Bergbaugewerkschaft IG BCE, der die Interessen der Bergbaubeschäftigten in der Region vertritt, ist nach einer mehrstündigen Diskussion sehr angetan: "Ich finde es sehr wohltuend, in welcher respektvollen Atmosphäre die Gespräche hier stattfinden - und das obwohl man hier unterschiedlicher Meinung ist. Das macht mir Spaß."
Die Diskussion über die Zukunft der Braunkohle will auch Maresch fortführen - inhaltlich überzeugt haben ihn die Campteilnehmer aber trotz hohem Fachwissen nicht: "Jetzt den Braunkohleausstieg zu fordern, oder auch im Jahr 2025 oder 2030 - all das ist für mich nicht vorstellbar." Dass der Kohleausstieg allerdings kommen werde, sei ihm aber auch klar.