Brasiliens Landlose melden sich zurück
31. Juli 2017Hunderte Landlose besetzen Ländereien von Politikern und Prominenten. Sie prangern Korruption und Landraub an. Zu den bekanntesten Grundstückbesitzern mit ungebetenen Gästen gehören Brasiliens Agrarminister Blairo Maggi und der mittlerweile inhaftierte Ex-Minister Henrique Eduardo Alves und João Baptista Lima Filho, ein umstrittener, einflussreicher und persönlicher Freund von Präsident Michel Temer. Auch die Farmen vom Ex-Präsidenten des brasilianischen Fußballverbandes CBF, Ricardo Teixeira, und des abgestürzten Ex-Milliardärs Eike Batista sind von Mitgliedern der Landlosenbewegung MST ("Movimento de Trabalhadores Rurais Sem Terra") besetzt.
Mit den Aktionen will die Landlosenbewegung offenbar ein deutliches Lebenszeichen abgeben: "Der MST musste eine politische Antwort geben, sich positionieren", sagt der Geograf Ariovaldo Umbelino de Oliveira von der Universität São Paulo. "Und sie haben ihre Handlungsfähigkeit bewiesen." Dies, so Umbelino, sei umso wichtiger, da es in letzter Zeit Unstimmigkeiten über den politischen Kurs in der MST-Führung gegeben habe.
Ringen um Aufmerksamkeit
"Korrupte, gebt uns unser Land zurück", lautet das Motto der medienwirksamen Kampagne. Der MST bespielt seine Social-Media-Kanäle mit Fotos und Videos von den verschiedenen Besetzungen und postet Fotos der Eigentümer. "Wir haben diese Entscheidung getroffen, um öffentliche und internationale Aufmerksamkeit zu erregen", sagt MST-Anführer João Pedro Stédile: "Diese korrupte Bourgoisie ist so schamlos, dass sie öffentliches Geld stiehlt und damit Land erwirbt."
Gilmar Mauro von der nationalen Koordinationsstelle der Bewegung wirft den Eigentümern vor, viele ihrer Ländereien würden überhaupt nicht bewirtschaftet: "Wir wollen auf diesem Land gesunde Lebensmittel produzieren und Arbeitsplätze schaffen." Mit weiteren Besetzungen wolle man die Unterstützung und die Beteiligung der ganzen Bevölkerung erreichen.
Schwindender Einfluss
Landgüter von Politikern waren auch schon früher Ziel von MST-Aktionen. Aber aktuellen Besetzungen sind die erste groß angelegte und konzertierte Aktion der Bewegung seit fast zehn Jahren. Dass sie ausgerechnet nun wieder landesweit von sich reden macht, dürfte verschiedene Gründe haben.
Bereits vor zwei Wochen zog sich Brasiliens Regierung mit einer Änderung der Landreform den Zorn des MST zu. Demnach müssen Siedler künftig landwirtschaftliche Qualifikationen nachweisen, um einen Eigentums-Anspruch auf das von ihnen bewirtschaftete Land geltend machen zu können. Bisher können sie dies nach 15 Jahren, wenn der Eigentümer als Großgrundbesitzer eingestuft wird und das Land selbst nicht bewirtschaftet.
Außerdem verlor die Landlosenbewegung nach der Amtsenthebung von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff im August 2016 einen wichtigen Kommunikationskanal in den Regierungspalast. Während der 14 Jahre langen Regierungszeit der Arbeiterpartei (PT) unter den Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff war dies anders.
Countdown für Temer
Die Besetzungen ereignen sich zudem in einem für Brasiliens Präsident Michel Temer politisch heiklen Augenblick. In dieser Woche stimmt das Parlament darüber ab, ob dem Strafantrag des Obersten Gerichts gegen Präsident Temer stattgegeben wird. Bekommt Temer nicht die notwendige Mehrheit zusammen, droht ihm das politische Aus.
Die Bevölkerung hat bereits mit dem ehemaligen Stellvertreter von Dilma Rousseff abgeschlossen: Angesichts der massiven Vorwürfe gegen Temer und zahlreiche weitere Mitglieder und Ex-Mitglieder seines Kabinetts lehnen laut einer kürzlichen Umfrage 70 Prozent der Brasilianer die Regierung ab.
Von dieser Unbeliebtheit, glaubt der Agrarexperte Xico Graziano, wolle der MST nun profitieren und mit der Besetzung von Ländereien unbeliebter Persönlichkeiten Applaus ernten: "Der MST agiert strategisch, mit taktisch koordinierten Aktionen - zumindest seit er eine quasi militaristische Organisation ist, die sich als soziale Bewegung tarnt."
Der ehemalige Abgeordnete und Leiter der Nationalen Landbehörde "Incra" steht dem MST einerseits sehr kritisch gegenüber: "Ich halte diese Art von Selbstjustiz für verurteilungswürdig, absurd und mittelalterlich." Gleichzeitig gibt er den politischen Eliten die Schuld an der Situation: "Im Grunde zeigt sich darin das Versagen des brasilianischen Staates, der durch Korruption und verantwortungslosen Umgang mit Staatsfinanzen zerstört ist."