Brasilien vor dem Showdown: Lula gegen Bolsonaro
27. Juni 2022Eins scheint bereits jetzt klar: Das Rennen um die Präsidentschaftswahl in Brasilien werden der ehemalige Präsident, Luiz Inacio Lula da Silva, und der Rechtspopulist und Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro unter sich ausmachen. Die beiden Politikprofis könnten nicht unterschiedlicher sein und sie treffen auf ein tief gespaltetes Brasilien.
Was ist der Hintergrund der beiden Politiker?
Lula: Ex-Gewerkschaftsführer versucht Comeback
Lula kommt aus armen Verhältnissen, der Metallarbeiter führte Ende der 1970er Jahre - noch in Zeiten der Militärdiktatur - riesige Streiks an, wofür er auch ins Gefängnis kam. Der Gewerkschafter gründete die Arbeiterpartei PT und war seitdem deren hauptsächlicher Präsidentschaftskandidat. "Wenn nicht er selbst, dann traten von ihm ausgewählte Personen an", erklärt die Politikwissenschaftlerin Camila Rocha.
Nun kandidiert der 76-Jährige zum sechsten Mal. 2002 und zur Wiederwahl 2006 gewann er die Wahlen. Als er Ende 2010 sein Amt an seine Parteikollegin Dilma Rousseff abgab, lagen seine Zustimmungswerte bei spektakulären 83 Prozent. Das lag unter anderem an seinen Sozialhilfeprogrammen: Etwa "Universidade para Todos" (Universität für Alle), das auch jungen Menschen aus armen Verhältnissen ein Studium ermöglicht. Das Programm "Bolsa Familia" - wohl Lulas bekanntestes Verdienst - unterstützt bis heute viele Familien im Land.
Doch mittlerweile habe Lula nicht mehr nur das "Image des Verteidigers der Armen und Arbeiter", so die Politologin Rocha. "Ihm haftet auch der Makel der Korruption an." Während der PT-Regierungen von 2003 bis 2016 gab es zahlreiche Korruptionsskandale, etwa zum Stimmenkauf im Kongress (Mensalão) und in Verbindung mit dem halbstaatlichen Energieriesen Petrobras (Operation Lava Jato).
In Zusammenhang mit letzterem saß Lula sogar von April 2018 bis November 2019 wegen Vorwürfen der passiven Korruption und der Geldwäsche im Gefängnis - während der Ex-Präsident stets seine Unschuld beteuerte und die Ermittlungen als Verschwörung gegen sich bezeichnete. Tatsächlich fanden Hacker Belege für Absprachen zwischen den Korruptionsermittlern und dem damals zuständigen Richter Sergio Moro - was zur Annullierung der Prozesse gegen Lula führte.
Bolsonaro: Vom rechten Hinterbänkler zum Präsidenten
Dass Jair Messias Bolsonaro bis heute Brasiliens Militärdiktatur (1964-1985) verherrlicht und sich für Folter und privaten Waffenbesitz ausspricht, kommt nicht von ungefähr. Der heute 67-Jährige schlug nach der Schule eine Laufbahn beim Militär ein. Wohl in Zusammenhang mit disziplinarischen Problemen wechselte der Hauptmann in die Reserve und ging alsbald in die Politik.
Der Politologe Rafael Cortez, der am brasilianischen Institut für Bildung, Entwicklung und Forschung (IDP) lehrt, beschreibt Bolsonaro - ab 1990 Abgeordneter im brasilianischen Nationalkongress - als "exzentrischen Hinterbänkler": "Es war klar, dass er die Interessen des Militärs vertrat, ansonsten hat er sich kaum hervorgetan oder wichtige Posten innegehabt."
Der für homophobe, frauenfeindliche und rassistische Parolen bekannte Bolsonaro hat bereits viele Male die Parteizugehörigkeit gewechselt, sich dabei aber immer im rechten Spektrum bewegt. Die sogenannte BBB-Fraktion der Abgeordnetenkammer (Bíblia, Boi e Bala, also Bibel, Rinder und Schusswaffen) ist seine ideologische Heimat. Dass er 2018 Präsident werden konnte, hat Bolsonaro laut Cortez vor allem zwei Umständen zu verdanken: "Er hat die Macht der sozialen Medien erkannt und eine neue Art von Wahlkampf geführt. Zudem war die Operation Lava Jato entscheidend, denn der Skandal hat die Abneigung der Brasilianer gegen die etablierten Parteien und speziell gegen die Linke verstärkt."
Bolsonaro schaffte es, sich als einziger nicht-korrupter Politiker zu inszenieren. Das mag im Nachhinein wenig überzeugend erscheinen, da seither herausgekommen ist, dass Freunde, Bekannte und Verwandte der Bolsonaro-Familie mutmaßlich als Geistermitarbeiter eingestellt wurden, um öffentliche Gelder abzuzweigen ("Rachadinha"-Skandal). Auch soll Bolsonaro von Korruption bei Corona-Impfstoff-Verträgen gewusst haben.
Was planen Lula und Bolsonaro für Brasilien?
Lula: Wirtschaft und Umweltschutz im Fokus
Gut drei Monate vor den Wahlen in Brasilien hat Lula in einem Hotel in Sao Paulo sein vorläufiges Wahlprogramm vorgestellt. Dabei positionierte er sich deutlich gegen Umweltverbrechen, insbesondere gegen die illegale Abholzung und den illegalen Bergbau im Amazonasgebiet. Eine deutliche Reaktion auf die Praktiken der Bolsonaro-Regierung: Unter ihr erreichten Waldrodungen Höchststände, die Bedrohung von Indigenen und Umweltschützern nahm zu, die Bilder der verheerenden Brände in der Amazonasregion und im Feuchtgebiet Pantanal schockierten die Welt.
Wichtig in Lulas Plänen ist laut der Politologin Camila Rocha zudem, dass die Arbeitsmarktreform der Temer-Regierung angepasst wird. Arbeitgeber hatten damit 2017 mehr Flexibilität beim Einstellen und Entlassen von Mitarbeitern erhalten. Zudem möchte Lula die Deckelung von Staatsausgaben wieder aufheben. Das Instrument dient dazu, Staatsschulden zu senken, sorgt jedoch für knappe Staatskassen.
Bolsonaro: Viel Getöse, wenig Inhalt?
Der Amtsinhaber hat sich bisher kaum positioniert, aber auch er konzentriert sich auf Wirtschaftsthemen. Denn nach zwei Jahren Corona-Pandemie befindet sich Brasilien in einer angespannten Lage; durch den Ukraine-Krieg ist die Inflationsrate noch höher als als bereits zuvor. Das Thema Geld und Wirtschaft dürfte für viele Menschen entscheidend sein.
Bolsonaro, der sich laut Rafael Cortez vor seiner Präsidentschaft kaum zu Wirtschaftsthemen positioniert hatte, hat seit Beginn seiner Amtszeit die Wirtschaftspolitik in die Hände seines Ministers Paulo Guedes gelegt, einem ultraliberalen Ökonomen. Weit vorne auf dessen Agenda steht etwa die Privatisierung von Staatsunternehmen.
Beibehalten wird Bolsonaro wohl auch sein Image als "Verteidiger von traditionellen Werten, von einer Vergangenheit, die es in Brasilien angeblich gab, bevor die Linke an die Macht kam", sagt Cortez. Auch der Politikstil werde bleiben: "Bolsonaros Modus Operandi ist die Konfrontation - ganz anders als Lula, der immer viel auf Dialog und Kompromiss gesetzt hat."
Wie stehen die Brasilianer zu Lula und Bolsonaro?
Vor allem Bolsonaros Kleinreden und Missmanagement der Corona-Pandemie hat bei vielen Brasilianern für Verbitterung gesorgt. Umfragen deuteten zuletzt deutlich auf einen Wahlsieg seines Kontrahenten hin. Laut einer am 23. Juni veröffentlichten Erhebung des Instituts Datafolha würden 47 Prozent der Brasilianerinnen und Brasilianer für Lula stimmen, Bolsonaro käme auf 28 Prozent.
In den kommenden Monaten könne sich aber natürlich noch viel ändern, sagt Camila Rocha. Grundsätzlich, so erklärt die Politikwissenschaftlerin, die für das Studien- und Forschungszentrum CEBRAP immer wieder Umfragen durchführt, sei Lula bei den armen und sehr armen Brasilianern sehr beliebt: "Zudem wählen Frauen, Schwarze und junge Menschen eher ihn. Bei Bolsonaro ist es umgekehrt: Seine Wähler sind eher wohlhabend, männlich, weiß und alt."
Was sowohl Rocha als auch Cortez beunruhigt, ist, dass Bolsonaro bereits im Vorfeld - ähnlich wie Trump in den USA - Zweifel am brasilianischen Wahlsystem sät. Damit befeuert er Befürchtungen, er könnte das Ergebnis der Wahlen nicht anerkennen, sollte Lula gewinnen. Erst im Mai war ein Team von Wahlbeobachtern der Europäischen Union ausgeladen worden.