Brasilien, Agrobusiness und der Krieg in der Ukraine
20. März 2022Wenn es nach Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro geht, soll der brasilianische Kongress im Eilverfahren ein Gesetz durchwinken, das Bergbau in "Indigenen-Gebieten" (Ptg: Terras Indígenas) vereinfacht. Die Vergabe von Lizenzen zum Abbau von Rohstoffen soll drastisch vereinfacht werden. Bisher bedarf jede Genehmigung dafür eines eigenen Beschlusses vom Kongress.
"Bergbau in ausgewiesenen Indigenen-Gebieten stand schon im Wahlkampf auf dem Programm von Präsident Bolsonaro", erinnert Ricardo Barros, Anführer der Regierungsparteien im Abgeordnetenhaus. Barros brachte das Eilverfahren zur Verabschiedung des Gesetzesentwurfes im Unterhaus des Kongresses auf den Weg.
Kalium und Pottasche aus Russland
Als Begründung für das jetzt eingeleitete Eilverfahren gab Bolsonaro den Krieg in der Ukraine an. Russland und das verbündete Belarus gehören nämlich zu den größten Exporteuren von Pottasche und anderen Kaliverbindungen, die wiederum zu den wichtigsten Komponenten für Düngemittel gehören.
Russsland stellte Anfang März den Export von Pottasche ein. Seit Mitte vergangenen Jahres haben sich die Weltmarktpreise von Kaliprodukten verdoppelt. Brasilien ist der weltgrößte Importeur von Düngemitteln und seine größten Lieferanten sind ausgerechnet Russland und Belarus.
Die Kalium-Knappheit ist also kein Hirngespinst des brasilianischen Präsidenten, und sie könnte im Extremfall nicht nur die Gewinne, sondern auch die Produktivität der brasilianischen Landwirtschaft einschränken. Die könnte nicht nur die Ernährungssicherheit der Brasilianer gefährden, sondern weltweite Auswirkungen haben, denn das Land gehört zu den größten Lebensmittelproduzenten der Erde.
"Gesetz wird Düngerkrise nicht lösen"
Dennoch wittern Kritiker einen Vorwand. "Das Gesetz zu ändern, um in diesen Gebieten Rohstoffe für die Produktion von Düngemitteln abzubauen, ist keine Lösung. Sie wird die Düngerkrise nicht lösen, sondern enorme gesellschaftliche und ökologische Probleme hervorrufen", twitterte Raoni Rajão, der an der Universität von Minas Gerais Daten zweier Behörden des brasilianischen Bergbauministeriums zu Kalivorkommen im Land ausgewertet hat.
Rajão und sein Koautor Bruno Manzolli kommen zu dem Schluss, dass lediglich elf Prozent der erfassten Kalivorkommen in Territorien liegen, auf die indigene Völker Anspruch erheben, die aber noch nicht demarkiert sind. In bereits ausgewiesenen Reservaten, um die es in dem Gesetzt geht, liegt demnach keine einzige der Lagerstätten.
Auch die Suche nach weiteren Vorkommen sei alles andere als dringlich, denn die bekannten Rohstofflager könnten den Kalibedarf Brasiliens nach Einschätzung der Forscher für den Rest des Jahrhunderts decken.
Bis Brasilien signifikante Mengen fördern kann, dürften allerdings noch ein paar Jahre vergehen. Die Beratungsagentur des Landwirtschaftsministerium (Embrapa) will deshalb mit einer im März gestarteten Kampagne Landwirten beibringen, Dünger effizienter zu nutzen. 20 Prozent Mengen-Ersparnis erhofft sich die Behörde durch das Programm. Dadurch könnten die Produzenten eine Milliarde US-Dollar sparen, heißt es.
Bedrohung für Umwelt und indigene Völker
Während also das geplante Gesetz auf Brasiliens Düngerversorgung kaum Auswirkungen hätte, könnten die Folgen für indigene Völker und den brasilianischen Regenwald verheerend sein, befürchten Umweltschützer. Insbesondere im Amazonas-Regenwald, wo vor allem nach Gold- und Eisenerz gegraben wird.
Die Auswirkungen von Bergbau im Regenwald seien desaströs, sagt Larissa Rodrigues von der Nichtregierungsorganisation "Instituto Escolhas": "Es ist nicht nur der Wald, der für den Bergbau abgeholzt wird, die verwendeten Chemikalien - zum Beispiel Quecksilber - vergiften auch den Boden und das Wasser."
Joenia Wapichana, die einzige indigene Abgeordnete im brasilianischen Parlament, befürchtet, dass die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört und indigene Völker fernab von Städten den zuweilen tödlichen Übergriffen von skrupellosen Glücksrittern und Geschäftemachern ausgeliefert sein werden. "Der Gesetzesentwurf, der Mitte April zur Abstimmung steht, ist das Projekt des Todes und der Zerstörung indigener Völker", ist sie überzeugt.
Den Eilantrag hatten die Abgeordneten mit fast zwei Drittel der Stimmen durchgewunken. Doch dass es mit dem Gesetz selbst ebenso glatt läuft, scheint keineswegs gewiss, meint Bergbau-Expertin Rodrigues- vom "Instituto Escolhas". "Es ist schwer zu sagen, was passieren wird. Immerhin gibt es den Gesetzesvorschlag seit 2020, und nichts ist geschehen, bis Bolsonaro mit dem Vorwand des Ukraine-Kriegs kam."
Falls der Gesetzesentwurf im Parlament eine Mehrheit bekäme, erklärt sie, wäre der nächste Schritt die Abstimmung im Senat. Sollte dieser Änderungen des Gesetzestextes verlangen, begänne der Prozess von Neuem.
Ein Hin und Her zwischen den Kongresskammern würde Bolsonaro wertvolle Zeit kosten: Im Oktober stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Der Ausgang der Abstimmungen über das fragliche Gesetz könnte sogar mit über seine Wiederwahl mitentscheiden. Denn Agrobusiness und Bergbau gehören zu Bolsonaros stärksten Unterstützern.
Sollten tatsächlich beide Kammern das Gesetz verabschieden, bliebe den Gegnern als letztes Rechtsmittel noch die Verfassungsklage vor dem Obersten Gerichtshof. Denn die Nutzungsrechte der Indigenen an ihren Territorien sind in der brasilianischen Verfassung verbrieft.