Brain Prize geht an Alzheimer-Forscher
8. Mai 2018Der "Brain Prize" ist nicht die erste Auszeichnung für Christian Haass. Vielmehr ist sie eine von vielen - was aber lange nicht heißt, dass sich der Biochemiker auf seinen Lorbeeren ausruht. Die Fragen gehen Haass nicht aus, die Neugier bleibt.
Haass glaubt, dass es gefährlich wird, wenn ein Wissenschaftler sich langweilt. "Ein Wissenschaftler muss ständig unter Feuer stehen und ständig etwas Neues suchen. Sonst klappt das Ganze nicht." Und wie man sieht - bei Christian Haass hat es geklappt.
Derzeit ist er am DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) tätig und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Haass hat vor allen Dingen daran geforscht, welche Rolle Amyloide - Proteinablagerungen im Gehirn - bei der Entstehung von Alzheimer spielen. Dabei ist er zu dem Schluss gekommen, dass wir Amyloid in großen Mengen schon im Kindesalter produzieren. "Normalerweise wird es im jungen Alter abgeräumt, aber je älter wir werden, umso schlechter klappt dieses Abräumen, und umso eher kommt es zu Verklumpungen. Es entstehen Plaques." So mancher Versuch, den Haass dazu durchgeführt hat, war recht unkonventionell.
"Ich habe die Zellen von Alzheimer-Patienten und von mir genommen"
Während seiner Postdoc- und Assistenzprofessorzeit in den USA von 1990 bis 1995 hatte Haass die Idee entwickelt, dass Amyloid überall produziert wird - und vielleicht produzierte jemand mit Alzheimer ja mehr Amyloid als ein Gesunder? Daraufhin machte Haass einen Selbsttest: "Dummerweise habe ich festgestellt, dass ich genauso viel Amyloid produziere wie der Alzheimer-Patient." Total erschrocken sei er damals gewesen.
Also hat er Zellen seines Professors genommen, um zu sehen, wie viel Amyloid dieser erzeugt. "Er hat tatsächlich noch mehr produziert - und als Harvard-Wissenschaftler ist er ja wirklich nicht dumm. Also habe ich mir gedacht: Es kann so direkt nicht mit Alzheimer zusammenhängen." Ein wichtiger Punkt ist deshalb, inwieweit wir Amyloid wieder abbauen. Mit diesen Erkenntnissen hat Haass die Grundlage für Therapieansätze bei der Behandlung von Alzheimer geschaffen.
"Wir Alzheimer-Forscher stehen unter massivem Druck"
Haass ist weltweit einer der angesehensten Alzheimer-Forscher, aber er hat auch mit etlichen Hürden zu kämpfen. Millionen an Geldern fließen in die Forschung und so will nicht zuletzt die Politik ständig neue und vielversprechende Ergebnisse sehen. Schlimmer noch seien aber die vielen Autoren. "Sie bringen entsprechende Bücher auf den Markt, die sich sehr gut verkaufen. Darin kann man dann lesen, dass es Alzheimer - so wie wir uns das vorstellen - eigentlich gar nicht gibt und dass man diese Erkrankung sehr leicht etwa durch einen gewissen Lebensstil vermeiden kann."
Solche Sichtweisen ärgern Haass. Man glaube nicht mehr an die Wissenschaft, sondern nur noch an Halbwahrheiten. "Diese Halbwahrheiten setzen sich im Internet und auf dem Buchmarkt massiv durch. Vielleicht ist es für die menschliche Seele leichter zu verdauen, wenn man sagt: Wir müssen nur unseren Stress abschaffen, dann kriegen wir diese Krankheit nicht und alles ist in Ordnung. Aber so einfach ist das eben nicht."
Bei seinen Versuchen mit Mäusen hat Haass feststellen können, dass es den Tieren besser geht, wenn sie richtig ernährt werden, sich bewegen und ihre Neugierde ausleben können. "Aber Alzheimer kriegen sie trotzdem, sie entwickeln ihn nur später."
Haass ist der Meinung, dass man die Krankheit nicht aufhalten kann, allenfalls verlangsamen. Dazu können auch verschiedene Medikamente beitragen, Antikörper etwa. "Im letzten Jahr erschien eine Studie zu Antikörpern. Sie haben nicht nur die Plaques entfernt. In einer sehr kleinen Studie konnte eine dosisabhängige Verminderung der Demenz festgestellt werden. Also, je mehr Antikörper desto weniger hat sich die Krankheit verschlimmert. Das traf auf einige wenige Patienten zu. Die Studie muss jetzt noch an Tausenden von Probanden durchgeführt werden."
"Die Türen stehen immer und überall offen"
Nein, Christian Haass ist niemand, der im stillen Kämmerlein beziehungsweise in einem sterilen Labor forscht. Er braucht und will den Austausch mit anderen, seien es Doktoranden, Postdoktoranden oder Kollegen. "Das macht enormen Spaß. In meinem alten Institut hatte ich überhaupt keinen Kontakt. Da kam niemand und hat einfach mal geredet. Jetzt ist das Gang und Gäbe."
Und das mache einen großen Unterschied, denn so kämen auch Ideen zustande. Beim DZNE hat er diese Arbeitsbedingungen. Für den 57-Jährigen war das ein entscheidender Grund, in Deutschland zu bleiben und nicht zurück in die USA zu gehen.
Neben Haass werden drei weitere Alzheimer-Forscher mit dem weltweit bedeutendsten Preis für Hirnforschung ausgezeichnet. Die vier Wissenschaftler teilen sich das Preisgeld von einer Million Euro.
"Das hat perfekt zusammengepasst"
Der Genetiker John Hardy aus England gehört dazu. Er ist Leiter der Abteilung für die Molekularbiologie neurologischer Erkrankungen des Institute of Neurology am University College London. Er hat genetisch vererbte Mutationen gefunden und die entsprechenden Veränderungen in den Genen identifiziert. "Hardy hat uns die Gene geliefert. Ich habe mich mit der Zellbiologie beschäftigt", erklärt Haass. Er hingegen habe an genetisch veränderten Genen gearbeitet, um die Mechanismen von Alzheimer herauszufinden. "Ich glaube, dass diese Kombination unsere Arbeit massiv vorangebracht hat."
Der dritte Preisträger ist der ebenfalls international renommierte Belgier Bart De Strooper. Er ist unter anderem Direktor des britischen Dementia Research Institute am University College London und Professor für Molekularmedizin an der KU Leuven. Er entdeckte, dass Presenilin ein Protein ist, das andere Eiweiße in kleinere Stücke zerschneidet. Dieser Prozess ist komplex und wichtig in der Kommunikation zwischen den einzelnen Zellen. Der Wissenschaftler fand heraus, dass die Mutationen zu einer Produktion von anormalem Amyloid führen. Er forscht also auf ähnlichen Gebieten wie Haass. "Wir haben uns gegenseitig hochgeschaukelt. Wir nannten es 'friendly competition', einen freundlichen Wettbewerb. Privat sind wir eng befreundet, aber beruflich sind wir knallharte Konkurrenten."
Der Vierte im Bunde ist Michel Goedert. Er ist Programmleiter des Laboratory of Molecular Biology des Medical Research Council in Cambridge. Seine Forschungsarbeiten haben wesentlich dazu beigetragen, die Bedeutung des sogenannten Tau-Proteins zu entdecken. Dazu hat er menschliches Hirngewebe, transgene Mäuse, gezüchtete Zellen und gereinigte Proteine verwendet. Verhält sich das Tau-Protein unnormal, bildet es Anhäufungen aus Fasern und wird unlöslich. "Er arbeitet an kleineren Aggregaten in den Nervenzellen. Manche glauben, sie spielten keine Rolle für Alzheimer", so Haass. "Andere wiederum sind der Meinung, nur sie seien wichtig." Aber es gehöre eben alles zusammen.
"Wissenschaftler müssen mehr können als ihre eigene Wissenschaft"
Haass betreibt nicht nur seine Alzheimer-Forschung mit Leidenschaft, auch die Vogelbeobachtung. Manchmal kann er die beiden sogar miteinander verbinden. "Als wir auf einem einsamen See paddeln waren, war da totale Ruhe, und da gab es einen wunderschönen Vogel, der über den ganzen See hinweg gerufen hat. Es war eine total romantische Stimmung, und wie ein Blitz kam mir plötzlich ein sehr wichtiger Gedanke."
Als er davon erfuhr, dass ihm der "Brain Prize" verliehen würde, war er gerade in Norwegen - zur Vogelbeobachtung. "Wir zählen regelmäßig EU-weit die Bestände der Wasservögel. Dazu nutzen wir präzise Zählmethoden an gut kontrollierten Zählpunkten und das über Jahrzehnte hinweg. So können wir genau feststellen, wie sich die Bestände vermehren oder wie sie weniger werden."
Immer wieder samstags und immer wieder sonntags sucht sich der Alzheimer-Forscher ein ruhiges Plätzchen, an dem er Vögel beobachten kann. Das lässt er sich nicht nehmen, noch nicht einmal, wenn in der Woche darauf wichtige Termine anstehen. "Das ist mir dann ganz egal. So habe ich es mein ganzes Leben lang gemacht."
Der Brain Prize ist der weltweit bedeutendste Preis für Hirnforschung. Verliehen wird er von der Lundbeck Foundation in Dänemark und ist mit einem Preisgeld von einer Million Euro verbunden. Die jährlich verliehene Auszeichnung würdigt internationale Wissenschaftler, die herausragende Beiträge zu den Neurowissenschaften geleistet haben. Neben Haass erhalten Bart De Strooper (London und Leuven), Michel Goedert (Cambridge) und John Hardy (London) den 'Brain Prize' für ihre bahnbrechenden Forschungen zur genetischen und molekularen Grundlage der Alzheimer-Krankheit. Die Preisverleihung findet am 9. Mai in Kopenhagen statt. (Quelle: DZNE)