1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Borreliose ausrotten statt behandeln

11. Oktober 2021

Die Therapiemöglichkeiten bei chronischer Borreliose sind noch immer begrenzt. Doch nun verfolgen Forschende einen neuen Ansatz: Warum den Erreger nicht direkt an der Quelle beseitigen?

https://p.dw.com/p/41VzO
Das Bakterium Borrelia burgdorferi unter dem Mikroskop
Borrelien können unbehandelt chronische Erkrankungen auslösen. Bild: Callista Images/imago images

"Wir sind in einer guten Ausgangsposition, um die Lyme-Borreliose auszurotten",sagt Kim Lewis, Professor für Biologie und Direktor des Antimicrobial Discovery Center an der Northeastern University in Boston. Der Grund für den Optimismus ist die (Wieder-) Entdeckung einer Chemikalie, die für das Bakterium, das die Lyme-Borreliose verursacht, tödlich ist, für Tiere hingegen aber harmlos. Doch dazu gleich mehr. 

Die Lyme-Krankheit wird durch ein Bakterium namens Borrelia burgdorferi verursacht, das in kleinen Nagetieren wie Ratten oder Mäusen, aber auch Rotwild lauert. Sie zeigen keine Krankheitssymptome. Zecken dienen als Vektoren, das heißt, sie infizieren sich bei ihrer Blutmahlzeit und übertragen die Bakterien auf neue Wirte – wie den Menschen. 

Bin ich nach einem Zeckenstich infiziert?

Hat man sich nach einem Zeckenbiss mit Lyme-Borreliose infiziert, kann sich dies durch eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome bemerkbar machen. Eines der häufigsten Erkennungszeichen ist die typische kreisrunde Hautentzündung, die sich um den Zeckenstich bildet und sich ringförmig ausbreitet. Diese sogenannte Wanderröte (Erythema migrans) tritt bei 80 bis 90 von 100 Erkrankten auf.

Zecken

Doch die Lyme-Borreliose kann sich auch anders zeigen. So können innerhalb der ersten Wochen nach dem Zeckenstich grippeähnliche Symptome wie Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, erhöhte Temperatur oder Nachtschweiß auf eine Erkrankung hinweisen. Herzrhythmusstörungen, Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule oder Nervenschmerzen können auftreten. Einen Überblick über Inkubationszeit, mögliche Symptome und Diagnostik bietet das RKI

Zecken nicht an sich ranlassen

Einer Borreliose vorbeugen ist bislang nicht möglich. Zeckenbisse sollten von vornherein vermieden werden - auch, um das Risiko anderer Krankheitsübertragungen möglichst gering zu halten - FSME etwa.

Das bedeutet, wer unterwegs in Wiesen und Wald ist, sollte möglichst lange Kleidung tragen, insbesondere an den Beinen. Auch hohe Socken können den kleinen Spinnentieren das Leben etwas erschweren, gerade wenn sie über die Hosen gezogen werden. 

Auf heller Kleidung sind Zecken besser sichtbar. Anti-Zecken-Sprays halten Zecken zumindest für eine begrenzte Zeit fern, allerdings helfen hier nicht alle Mittel gleich zuverlässig.

Eine Zecke ist auf einem Blatt in einem Garten zu sehen
Sich gar nicht erst stechen lassen, sagt sich so leicht. Trotzdem ist dies der beste Weg, um Borreliose zu verhindernBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Zuhause sollte man sich gründlich nach Zecken absuchen. Wer eine Zecke findet, sollte sie direkt entfernen (hier eine genauere Beschreibung). Je früher, desto besser! 

Wie wird Borreliose behandelt? 

Im Frühstadium ist die Borreliose mit Antibiotika wie Doxycyclin behandelbar. Dadurch kann allerdings auch das Mikrobiom des Darms gestört werden, was zu Symptomen wie Durchfall führen kann. Schlimmstenfalls begünstigt das Antibiotikum die Entstehung einer Antibiotikaresistenz. Wird Borreliose jedoch nicht behandelt, wird sie chronisch und kommt immer wieder. 

In den USA und Kanada gab es eine Impfung gegen Borreliose – LYMErix genannt. 1998 wurde die Zulassung der CDC für Risikopatienten erteilt, 2002 stellte GlaxoSmithKline die Impfung jedoch mit der Begründung ein, sie verkaufe sich schlecht.

Menschen können sich derzeit also nur gegen die von Zecken übertragene Viruserkrankung FSME impfen lassen. Dagegen gibt es Borreliose-Impfungen noch heute in der Tiermedizin - etwa für Hunde. Sie müssen aber jedes Jahr aufgefrischt werden. 

Neuigkeiten - was einen Impfstoff gegen Borreliose für Menschen angeht - gab es just im September 2021. Die beiden Pharmaunternehmen Valneva und Pfizer veröffentlichten positive Phase-II-Ergebnisse, einschließlich einer Booster-Reaktion, für den Impfstoffkandidaten VLA15.

"Die Lyme-Borreliose stellt einen hohen ungedeckten medizinischen Bedarf dar, der das Leben von Millionen Menschen in der nördlichen Hemisphäre beeinträchtigt. Wir freuen uns über diese zusätzlichen Phase-II-Ergebnisse, die uns einen Schritt näherbringen, um einen wichtigen Beitrag gegen diese schwere Krankheit zu leisten, vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung", kommentierte das Juan Carlos Jaramillo M.D., Chief Medical Officer von Valneva in der Pressemitteilung.

Eine gezielte Borreliose-Behandlung

Doch zurück zu dem optimistischen Ansatz, mit dem dieser Artikel begonnen hat: Das Team um Kim Lewis von der Northeastern University hat im Rahmen der neueste Studie herausgefunden, dass eine Verbindung namens Hygromycin A für Tiere völlig harmlos ist und sie auf die meisten Bakterien kaum Auswirkungen hat - ausgenommen auf die Spirochäten-Bakterien. Für diese ist es tödlich. Und genau dazu gehört Borrelia burgdorferii. 

Hygromycin A ist ein im Boden vorkommendes antimikrobielles Mittel. Der Wirkstoff wurde ursprünglich 1953 entdeckt. Damals wurde er von den Wissenschaftlern allerdings als unwirksam abgetan. Gegen normale Krankheitserreger war es wohl zu schwach, gegen Spirochäten hält Lewis es jedoch für "außergewöhnlich wirksam". 

Lewis' Team entdeckte die Wirksamkeit von Hygromycin A beim Screening von Mikroorganismen im Boden auf antimikrobielle Verbindungen. "Wir machten uns auf die Suche nach einer solchen Verbindung, die selektiv Borrelia burgdorferi abtöten würde, und wetteten, wenn man so will, dass Mutter Natur sich schon die Mühe gemacht hatte, eine Verbindung zu entwickeln, die selektiv die im Boden lebenden Spirochäten ausschaltet", so Lewis. Und das hat sie tatsächlich getan.

Bakterium Borrelia burgdorferi wurden durch immunofluoreszierende Antikörper sichtbar gemacht. Aufnahme unter einem Mikroskop
Spirochäten sind spiralig gekrümmte, sehr lange und in der Regel bewegliche Stäbchen. Bild: NIAID/BSIP/picture alliance

Das Team testete Hygromycin A zur Behandlung von Borreliose im Mausmodell und stellte fest, dass es, wie Lewis es ausdrückt, "die Krankheit sehr gut beseitigt". Nach einer fünftägigen Behandlung mit Hygromycin A war die Infektion ähnlich wie bei der Kontrollgruppe geheilt, die das Antibiotikum Ceftriaxon erhalten hatte. Der Vorteil: Hygromycin A wirkt sehr spezifisch gegen Borrelia burgdorferi, Ceftriaxon hingegen gegen viele verschiedene Bakterien, was wiederum Resistenzen fördert. 

Die Forschenden haben den Wirkstoff bereits an die Firma Flightpath lizenziert, ein Biotech-Unternehmen, das sich auf Borreliose spezialisiert hat, um Entwicklungsstudien durchzuführen und die Produktion dieser Behandlung voranzutreiben. 

Borreliella burgdorferi ausrotten

"Ich hoffe, dass es in der Entwicklung weiter voranschreitet und es das erste Therapeutikum zur Behandlung der Lyme-Krankheit wird", sagt Lewis. "Es wird sehr wichtig sein zu sehen, ob die Behandlung mit Hygromycin A die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer chronischen Borreliose verringert.

Doch die Pläne reichen noch weiter: Das Team von Lewis hat auch gezeigt, dass die Verfütterung von mit Hygromycin versetzten Ködern an Mäuse Borrelia burgdorferi-Infektionen beseitigen kann. Rein theoretisch könnte durch das Auslegen solcher Köder die Borreliose in ganzen Gebieten oder sogar in ganzen Ländern ausgerottet werden.

Diese Idee ist nicht ganz neu. Ein Feldversuch mit Doxycyclin-Ködern war erfolgreich. Doch der weit verbreitete Einsatz des Mittels zu diesem Zweck ist nicht gewünscht, da er dazu führen könnte, dass viele Mikroben eine Antibiotikaresistenz entwickeln. Im Gegensatz dazu deuten die Studien von Lewis darauf hin, dass es für B. burgdorferi äußerst schwierig ist, eine Resistenz gegen Hygromycin zu entwickeln.

Der erste Feldversuch gegen Borrelia burgdorferi soll im nächsten Sommer starten. Und Lewis' Team untersucht auch, ob Hygromycin A andere durch Spirochäten verursachte Krankheiten behandeln kann, wie Syphilis, die durch das Bakterium Treponema pallidum verursacht wird. 

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.