Eine unterschätzte Gefahr: Zecken
29. April 2012Haarausfall, Schulterschmerzen, totale Erschöpfung, Wortfindungsstörungen, Depressionen - Heike Trapphoff braucht mehrere Minuten, um alle ihre Beschwerden aufzuzählen. Elf Jahre lang war die Sozialpädagogin aus Troisdorf bei Bonn mit Borrelien, einer gefährlichen Bakterienart, infiziert - ohne es zu wissen. "Mir ging es einfach immer schlechter", sagt sie, "aber ich habe das aufs Alter geschoben und auf die Wechseljahre".
Die inzwischen 50-Jährige war vor vielen Jahren im Garten von einer Zecke gestochen worden. Dass sie sich dabei mit Borreliose angesteckt hatte, haben ihre Ärzte lange Zeit nicht erkannt. Die Krankheit blieb unbehandelt und wurde chronisch. Nach und nach haben sich die Bakterien in ihrem ganzen Körper ausgebreitet.
Erst später fand Heike Trapphoff gemeinsam mit einem Arzt heraus, was ihr fehlte und nahm daraufhin neun Monate lang ein Antibiotikum. "Alle Beschwerden, die ich aufs Alter geschoben hatte, gingen nach und nach weg", erzählt sie. "Mir geht es seit einem Jahr so gut wie schon lange nicht mehr. Ein richtiger Jungbrunnen!"
Zeckenbisse können gefährlich sein
Heike Trapphoff hatte großes Glück: Bei etlichen anderen Patienten wirken die Antibiotika nach so langer Krankheitszeit oft nicht mehr. Bei vielen bleibt die Krankheit auch komplett unerkannt.
Borreliose ist nur eine der schweren Infektionskrankheiten, die durch Zecken weltweit übertragen werden. Viele der kleinen Spinnentiere tragen Viren, Bakterien oder Parasiten in sich. Die Krankheitserreger sitzen in den Speicheldrüsen oder im Darm der Tiere. Um Blut zu saugen, bohren sich die Zecken mit ihrem Stachel eine Grube in die menschliche Haut. Dabei geben sie Speichel und so auch Erreger in die Wunde ab. Während der Blutmahlzeit, die mehrere Tage dauern kann, wandern zusätzliche Erreger aus dem Darm in die Speicheldrüsen und damit auch in den menschlichen Körper.
Zeckenstiche sollte man in jedem Fall ernst nehmen, warnt der Internist Walter Berghoff: "Entweder man geht zum Arzt und lässt sich sofort behandeln, oder man ist tapfer und erträgt jahrzehntelang eine schwere chronische Infektionskrankheit, die die Lebensqualität stark einschränkt", sagt er. Berghoff kennt auch Patienten, die aufgrund einer Borreliose berufsunfähig wurden.
Wer von einer Zecke gestochen wurde, sollte sich danach sehr genau beobachten. Spätestens sobald sich die Haut um den Stich entzündet und rot färbt oder andere Beschwerden auftauchen - grippeähnliche Symptome etwa - ist ein Gang zum Arzt dringend anzuraten. Hängt die Zecke noch am Körper, muss sie schnellstmöglich, aber vorsichtig, mit einer spitzen Pinzette aus der Haut gezogen werden.
Ideale Krankheitsüberträger
Es scheint, als hätte die Natur Zecken dafür gemacht, besonders viele Krankheiten zu übertragen: "Zecken ernähren sich von nichts anderem als von Blut", erklärt Helge Kampen, Zeckenexperte am Friedrich-Löffler-Institut in Greifswald. Während Stechmücken auch Pflanzensäfte saugen können und nur fürs Eierlegen dringend Blut benötigen, saugen Zecken in jedem Entwicklungsstadium Blut und zwar viele Male in ihrem Leben.
Zecken leben sehr lange. "Sie können Monate oder sogar Jahre hungern", sagt Kampen. Solange sitzen sie ohne Nahrung im Gras und warten darauf, dass ein Tier oder Mensch vorbeikommt, auf dem sie sich niederlassen können. Zecken haben auch nur wenige natürliche Feinde.
Wenn Zecken einmal mit Erregern infiziert sind, bleiben sie in den meisten Fällen ihr ganzes Leben infektiös. "Wenn ein Weibchen Eier legt, gibt es die Erreger sogar an einen Teil ihrer Nachkommen weiter", fügt Kampen hinzu: "Die Larven tragen den Erreger dann schon in sich, obwohl sie noch nie in ihrem Leben Blut gesehen haben."
Ein breites Spektrum an Krankheiten
In Deutschland übertragen Zecken Borreliose sowie eine virale Erkrankung, die Frühsommer-Meningoenzephalitis, FSME. Borrelien gibt es überall auf der Welt, sie sind in allen gemäßigten Breiten anzutreffen. FSME und ein verwandter Virusstamm wiederum treten in ganz Europa und Asien auf.
Ein anderer gefährlicher Bakterienstamm, den Zecken übertragen, sind die Rickettsien. Sie verursachen in den Vereinigten Staaten das Rocky Mountain Spotted Fever und in Europa das Mittelmeerfieber. "Beide Krankheitsformen sind sehr dramatisch, hochfieberhaft und mit großem Risiko behaftet", sagt Internist Walter Berghoff. Das gilt auch für das in Afrika vorkommende Afrikanische Zeckbissfieber.
Einzellige Parasiten, sogenannte Babesien, lösen eine Krankheit aus, die man oft als kleine Schwester der Malaria bezeichnet: Auch bei ihr leidet der Patient an starkem Fieber. Zecken übertragen auch verschiedene Formen von Hämorrhagischem Fieber, Bakterien namens Ehrlichien, das Query-Fieber, die virale Kyasanur Forest Disease und vieles mehr. Die Liste ist lang und wird sogar noch länger: "Es werden auch immer wieder neue Erreger in Zecken gefunden", sagt Kampen.
Impfungen gibt es so gut wie keine
Gegen die Frühsommer-Meningoenzephalitis kann man sich impfen lassen - bei allen anderen Erregern einschließlich der häufig vorkommenden Borrelien gibt es hingegen nur einen einzigen Schutz: Zeckenstiche verhindern. "Entsprechende lange Kleidung ist die beste Prophylaxe", sagt Walter Berghoff. Sie verhindert, dass Zecken freien Zugang zur Haut haben.
Auch Heike Trapphoff ist nach ihrer Borreliose sehr viel vorsichtiger geworden: "Ich nehme Zecken jetzt ernster", sagt sie. "Ich möchte zwar nicht vermummt in meinem Garten herumlaufen, aber ich suche mich abends immer nach Zecken ab, in allen Hautfalten, in die sie sich gerne reinsetzen." Denn oft brauchen Zecken viele Stunden, bis sie eine Körperstelle gefunden haben, die sich zum Zustechen eignet.
Zeckenabweisende Cremes und Sprays taugen hingegen kaum etwas, sagt Walter Berghoff und bezieht sich auf neueste Studien: "Die Wirkung beträgt nur etwa 50 Prozent und hält auch nur etwa drei Stunden an."
Zeckenkrankheiten sind kein Einzelfall
Einige Experten sprechen davon, dass die Zahl der Zecken aufgrund des Klimawandels deutlich zugenommen hat. Außerdem dringen sie mittlerweile offenbar in größere Höhen und weiter nach Norden vor. "Auch ich habe persönlich diesen Eindruck", sagt Helge Kampen. "Wissenschaftliche Belege dafür gibt es aber keine."
Für den Internisten Walter Berghoff ist das auch gar nicht die Frage: "Bereits jetzt ist die Borreliose eine sehr häufige Krankheit. Jedes Jahr erkranken alleine in Deutschland eine Million Menschen neu daran." Damit bleibt die Zecke äußerst gefährlich.