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Politik

Boris Johnson sucht Streit mit der EU

Barbara Wesel
24. Januar 2021

Während in Großbritannien immer mehr Berichte über die Kosten des Brexits publik werden, verweigert Boris Johnson dem EU-Botschafter in London den Diplomatenstatus. Die Konfrontation belastet die Beziehungen.

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Großbritannein London Boris Johnson
Bild: Hannah McKay/REUTERS

Das Thema schwelt seit Mai vergangenen Jahres und wird am Montag bei den EU-Außenministern besprochen werden. Statt nach dem Ende der Übergangszeit und nach dem Brexit-Abkommen mit der EU nun die viel beschworenen freundlichen Beziehungen aufzubauen, bricht Boris Johnson einen diplomatischen Streit vom Zaun. Er verweigert der EU-Mission in London den diplomatischen Status, der ihr dem Wiener Abkommen entsprechend zustünde. Aus Brüssel erntete er dafür wütende Reaktionen. 

Trump als Vorbild?

Obwohl der britische Premier wortreich das Ende der Ära Trump beschwor und den Wechsel im Weißen Haus begrüßte, entsteht der Eindruck, dass er sich weiter an ihm orientiert. Trump hatte Anfang 2019 als einziger Staatschef weltweit der EU-Mission den Status einer Botschaft verweigert, lenkte aber wenige Monate später angesichts heftiger Gegenreaktionen wieder ein.

London aber stellt sich jetzt stur: Trotz scharfer Worte aus Brüssel beharrt die Regierung darauf, der EU nur den Status einer internationalen Organisation einzuräumen und sie damit geringer einzustufen als einen Staat. Das Außenministerium in London erklärte, EU-Diplomat Jao Vale de Almeida würde doch "ganz ähnliche Privilegien" wie ein richtiger Botschafter genießen. "Die EU betrachtet sich als Staat, wir sehen sie als internationale Organisation". Es ist eine diplomatische Kriegserklärung.

EU Joao Vale de Almeida
"Ganz ähnlich wie ein richtiger Botschafter" - der Vertreter der EU in London, Joao Vale de AlmeidaBild: picture-alliance/dpa/Li Muzi

142 Länder auf der Welt sehen das anders, darunter die USA, betonte Kommisionssprecher Peter Stano in Brüssel: "Der Status der EU in den Außenbeziehungen und der daraus folgende diplomatische Status wird weltweit (...) anerkannt, und wir erwarten, dass Großbritannien die EU-Delegation unverzüglich entsprechend behandelt". Das sind scharfe Töne. Und EU-Diplomaten fügen hinzu, das Ganze sei kein besonders kluger Schachzug von der britischen Seite, um es milde zu formulieren. Es werde auf jeden Fall eine entsprechende Reaktion der EU geben, der Streit sei eine unnötige Provokation und ein unfreundlicher Akt.

Auch Ex-Chefunterhändler Michel Barnier, der jetzt Sonderberater der EU-Kommission für die Beziehungen mit Großbritannien ist, drohte ungewohnt deutlich: "Wir werden sehen, was die endgültige Entscheidung der Briten an diesem Punkt ist, aber sie sollten vorsichtig sein".

Nicht einmal alle Konservativen in London stehen in dieser Frage zu ihrer Regierung: Der neue US Präsident Joe Biden "verspreche, Bündnisse zu stärken, und wir ergehen uns in albernem Zank, der die Zusammenarbeit bei Handel und Sicherheit nicht gerade stärken wird", sagte Verteidigungspolitiker Tobias Ellwood.

Warum die Provokation?

Hinter dem Streit steht wohl erneut der Versuch, die EU zu teilen, um sie zu beherrschen. London will in den Brexit-Nachfolgeverhandlungen nicht mit EU-Vertretern sprechen, sondern Einzelabkommen mit den Mitgliedsländern abschließen. Die EU will demgegenüber ihre Einigkeit wahren und den Briten weiter gemeinsam gegenübertreten. Und es gibt viel zu tun.

Zunächst gehen die nunmehr jährlichen Verhandlungen über die Fischfangquoten der Briten an den Start, die im Rahmen der mit Norwegen und Island ausgehandelten Gesamtquote ihren Anteil zugesprochen bekommen. Schon dabei werden sie feststellen müssen, wie wenig Mitspracherecht sie als Drittland noch haben. 

Brexit-Folgen: Schottlands Fischer in Bedrängnis

Danach folgt eine endlose Reihe weiterer Themen, bei denen die Briten in der Position der Bittsteller sind. Der Export von britischem Fisch in die EU müsste erleichtert werden, wenn die Fischer in Schottland überhaupt wieder ausfahren wollen. Die Regierung hat inzwischen über 20 Millionen Pfund bereit gestellt, um sie zu entschädigen, weil sie an den bürokratischen Hürden für Exporte scheitern. Ähnliches gilt für die Exporteure von Frischfleisch und die entsprechenden Veterinärbestimmungen. Da die Transportkosten für Großbritannien drastisch steigen und manche Unternehmen Transporte von und nach Großbritannien inzwischen ganz ablehnen, können vor allem mittlere Unternehmen ihre Produkte überhaupt nicht mehr verschicken. 

Die Musikindustrie klagt laut, weil Tourneen in der EU für sie nach dem Brexit wegen teurer Visa- und Arbeitsvorschriften quasi unmöglich geworden sind. Der Dirigent Simon Rattle hat die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, und von Elton John bis Dua Lipa protestieren Musiker mit bereits 200.000 Unterschriften bei der britischen Regierung.

Deutschland Sir Simon Rattle, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Wird seine Heimat verlassen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen: Stardirigent Sir Simon RattleBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Darüber hinaus wird die sogenannte Äquivalenz-Erklärung der EU, die den künftigen Zugang des Londoner Finanzmarktes zur Europäischen Union regelt, in den nächsten Monaten erwartet. Finanziell dürfte dies eine der folgenreichsten Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Brexit sein. In allen Fragen aber ist London auf den guten Willen der EU angewiesen.

Was ist die geopolitische Strategie?

"Die Biden-Administration will bessere Beziehungen mit der EU und Großbritannien, die parallel laufen und bei gemeinsamem Interessen beide Stränge verschmelzen", also eine Art Trilateralismus zwischen den USA, der EU und Großbritannien, schreibt Thomas Wright vom Brookings Institute in Washington. Das wäre ein guter Deal für die Briten, aber mit dem albernen Streit um die Botschaft würden sie diese Strategie unterlaufen. Kurzum: Großbritannien schädigt sein eigenes Ansehen in der neuen Biden-Regierung.

Im Vereinigten Königreich warnen weitere konservative Politiker, wie der frühere Europaminister David Lidington, vor dem schlechten Vorbild für autoritäre Regime, die EU-Botschafter hassten, weil diese sich für Menschenrechte einsetzten. Und der Europaabgeordnete Charles Tannock schreibt: "Diese Geste wird die Freunde und Verbündete Großbritanniens entfremden und nicht das Projekt der EU oder ihren globalen Status schädigen, sondern einzig und allein die Beziehungen Großbritanniens". Und David Henig vom "UK Trade Policy Project" schreibt: "Kein guter Start für unser Jahr als sogenannte globale Diplomaten und Gastgeber von G7 und Cop 27. Außerdem ist die EU weiter der Nachbar, mit dem wir Handel treiben müssen und wir brauchen weitere Abkommen."