Boris Johnson mischt die Karten neu
15. September 2021Der britische Regierungschef Boris Johnson hat eine größere Kabinettsumbildung angestoßen. Neue Außenministerin in London wird die vormalige Handelsministerin Liz Truss. Die 46-Jährige gilt als Liebling der konservativen Basis. Sie machte sich einen Namen mit dem erfolgreichen Abschluss mehrerer internationaler Wirtschaftsabkommen nach dem Brexit. Ihre Nachfolgerin wird die vormalige Klimaministerin Anne-Marie Trevelyan.
Der bisherige Chefdiplomat Dominic Raab bleibt stellvertretender Premier, dient künftig jedoch als Justizminister und löst damit Amtsinhaber Robert Buckland auch als Lordkanzler ab - was unter Beobachtern freilich als Degradierung gilt.
Buckland hatte beim EU-Referendum 2016 für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union gestimmt. Jetzt dürfte er wieder mehr Zeit für einige Hobbys haben - laut seiner Website: Musik, Wein, Politische Geschichte und, als Zuschauer, Rugby und Cricket.
Schon seit Wochen hatte es Spekulationen über die Zukunft mehrerer Kabinettsmitglieder gegeben. Wichtigster Anlass war der chaotische Abzug der Westmächte aus Afghanistan im August. Nicht allein die USA standen im Kreuzfeuer der Kritik, auch die britische Regierung geriert massiv unter Druck. So wurde Raab vorgeworfen, er habe, während die radikalislamischen Taliban im Handstreich die Macht am Hindukusch übernahmen, weiter seinen Urlaub auf einer griechischen Insel genossen, anstatt nach London zurückzueilen.
Während Raab nur den Schreibtisch wechselt, verliert Bildungsminister Gavin Williamson schon zum zweiten Mal seinen Sitz im Kabinett: Er hatte bereits als Verteidigungsminister der ebenfalls konservativen Regierung von Premierministerin Theresa May angehört - die ihn seinerzeit entließ, nachdem geheime Informationen an die Presse durchgestochen worden waren und die undichte Stelle in seinem Ressort vermutet wurde.
Abwesende Minister
Diesmal stand Williamson wegen seiner Arbeit während der Corona-Pandemie auf der Liste der Wackelkandidaten. Ihm wurde vorgehalten, er habe die Schulen unzureichend vor dem Virus geschützt. So monierten Experten etwa die frühzeitige Aufhebung der Maskenpflicht für Kinder und Jugendliche im Unterricht. Auf ihn folgt nun Nadhim Zahawi, der bisher als Staatssekretär für die Corona-Impfkampagne verantwortlich war.
Auch der Minister für Wohnen, Kommunen und lokale Selbstverwaltung, Robert Jenrick, nimmt mit der Kabinettsumbildung seinen Hut. Er hatte unter Premierministerin May als Staatssekretär im Finanzministerium gedient und gehörte schon dem ersten Kabinett des jetzigen Regierungschefs an. Nachfolger wird Staatsminister Michael Gove, den Johnson noch aus seiner Studienzeit in Oxford kennt. Gove ist ein Routinier als Ressortleiter: Der Befürworter des EU-Austritts war seit 2010 erst Bildungsminister, dann Justiz- und schließlich Umwelt- und Agrarminister. Im Kabinettsbüro, wo er zuletzt für eine möglichst effiziente Regierungsarbeit sorgte, wird er jetzt durch den einstigen Brexit-Minister Stephen Barclay ersetzt.
Gefährliche Fehler
Premier Boris Johnson ist seit Juli 2019 im Amt. Seit einer vorgezogenen Neuwahl im Dezember des gleichen Jahres hat er mit seinen Tories eine klare absolute Mehrheit im Unterhaus. Doch in jüngster Zeit blies dem gelernten Journalisten mit der zerzausten Frisur tatsächlich der Wind ins Gesicht: Die Umsetzung des Brexit-Abkommens mit der EU verläuft höchst holperig.
Und im Kampf gegen das Coronavirus, das ihn selbst 2020 ins Krankenhaus brachte, machte der Premier nach Ansicht von Fachleuten Fehler, die für zahlreiche Landsleute verheerende Folgen hatten. Vor seiner Wiederwahl hatte Johnson versprochen, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Erholung in dem von der Pandemie schwer getroffenen Königreich voranzutreiben. Genau dafür braucht er nun offenbar einige frische Gesichter - oder wenigstens einige bekannte Namen auf neuen Positionen. Einige bedeutende Ressorts bleiben indes von den Rochaden unberührt: Innenministerin Priti Patel, Schatzkanzler Rishi Sunak und Gesundheitminister Sajid Javid dürfen ihr Amt behalten.
jj/rb (dpa, afp, rtr, munzinger)