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Blutet der Finanzplatz London aus?

8. Juli 2016

In Großbritannien ziehen Anleger nach dem Brexit-Votum wegen der damit befürchteten Nachteile offenbar massiv Kapital ab. Nicht nur das britische Pfund stürzt ab, auch die Immobilienpreise geraten unter Druck.

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Großbritannien London Bankenviertel Hochhaus
Bild: picture-alliance/dpa

Drei milliardenschwere Immobilienfonds haben die Rücknahme von Anteilsscheinen vorübergehend verweigert, um den Abzug von Kundengeldern vorerst zu stoppen. So zog nach dem Brexit-Votum nun auch die Investmentgesellschaft Henderson Global bei einem 4,5 Milliarden Euro schweren Fonds die Reißleine. Columbia Threadneedle und Canada Life stoppten daraufhin ebenfalls Auszahlungen.

Zuvor hatten bereits die Investmentfirmen Aviva und Standard Life zwei Immobilienfonds eingefroren. Bei Investoren herrscht nach dem Votum der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union Unsicherheit. Sie ziehen ihr Geld deshalb ab. Um den drohenden Liquiditätsengpass zu vermeiden, können offene Immobilienfonds die Rücknahme von Anteilsscheinen vorübergehend verweigern, um nicht zu Notverkäufen von Objekten gezwungen zu sein.

Ausverkauf an der Börse

Umso heftiger läuft nun der Ausverkauf an der Börse. Die Kurse von gelisteten Immobilienfonds (REITs) und Vermögensverwaltern sind im Sinkflug, die der britischen Banken ebenso. Letztere könnten zusätzlich in Bedrängnis geraten, sollte sich die Abwärtsspirale bei den Immobilienpreisen tatsächlich in Gang setzen. Dann drohen abermals hohe Abschreibungen. So manch einer fühlt sich an die Finanzkrise 2008 erinnert. Dabei haben die britischen Großbanken die Aufräumarbeiten noch gar nicht abgeschlossen.

Die Regulierungsbehörden sind bemüht, den Brand schnell unter Kontrolle zu bekommen. Von einem Liquiditätsproblem im gesamten Finanzsektor könne keine Rede sein, die Lage sei heute viel besser als vor acht Jahren, ließ die britische Notenbank verlauten. Analysten sind da skeptischer. "Wenn Offene Fonds dichtmachen, wird der Markt nervös." Denn die großen Fonds könnten am Ende gezwungen sein, Gebäude mit Nachlässen loszuschlagen, um die Auszahlungswünsche der Anleger zu bedienen - und damit den gesamten Markt nach unten drücken.

Auch der weitere Absturz des britischen Pfundes deutet darauf hin, dass Anleger ihre Investments auf der Insel verkaufen. Wegen der Unsicherheiten, die der Brexit offenbar schafft, gerät die Währung des Vereinigten Königreichs erneut stark unter Druck. Sie kostete am Mittwoch (6.7.2016) erstmals seit 1985 weniger als 1,30 US-Dollar. Verkaufen internationale Investoren ihre Anlagen, dann tauschen sie die dafür erhaltenen Pfund in eine andere Währung um und erzeugen so Druck auf den Währungskurs.

Solidarität bekundet

Unterdessen haben Vertreter von Goldman Sachs, Morgan Stanley, JP Morgan und der Bank of America-Tochter Merrill Lynch nach einem Treffen mit dem britischen Finanzminister George Osborne versichert, sie wollten zusammen arbeiten , um die führende Position Londons als Finanzmarktzentrum zu erhalten. Keine andere Stadt in Europa habe einen derart ausgeprägten Kapitalmarkt. Auch die britische Bank Standard Chartered, die ihren Geschäftsschwerpunkt allerdings in Asien hat, bekannte sich zum Standort London.

Die Geldhäuser vermeiden nach dem Brexit-Votum allerdings Versprechen, Jobs im Land zu erhalten. Andere Finanzzentren wie Paris und Frankfurt versuchen von der unsicheren Lage auf der Insel zu profitieren. Es wird befürchtet, dass britische Banken bei einem EU-Austritt nur noch einen eingeschränkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben. JP-Morgan-Chef Jamie Dimon hatte vor dem Referendum gewarnt, im Brexit-Fall bis zu 4.000 Mitarbeiter aus Großbritannien abzuziehen.

Hessisch statt englisch?

Börsenexperte Dirk Müller glaubt allerdings nicht daran, dass London als Finanzplatz ausbluten wird. "Das wird nicht passieren, warum auch?", fragt er in Österreichs Tageszeitung "Der Standard". "Die City of London ist ein über Jahrzehnte gewachsener komplexer Organismus mit Hunderttausenden von Knotenpunkten und Netzwerken, die eng miteinander verzahnt sind." London sei keine Stadt mit ein paar Arbeitsplätzen und Telefonleitungen, die man zerreißen und beliebig schnell irgendwo anders wieder aufbauen könne. Und: "Die internationale Bankersprache ist englisch. London ist englisch. Wer kann ernsthaft glauben, dass die Finanzwelt jetzt nach Frankfurt abwandert und vielleicht Hessisch lernt?"

Vermutlich würden einzelne Abteilungen aus juristischer Notwendigkeit nach Frankfurt versetzt, glaubt Müller. "Wir sprechen hier von ein paar Tausend Arbeitsplätzen, also maximal drei Prozent. Die große Masse wird selbstverständlich in London bleiben und sogar noch neues Kapital und Arbeitsplätze anziehen." Es sei sogar zu erwarten, dass London die Fesseln Brüssels ablegen, die Regulierungen für die Banken reduzieren und die Steuersätze für die Unternehmen herabsetzen werde. London werde somit ein noch interessanteres Bankenparadies als es jetzt schon sei, glaubt der als Mr. Dax bekannte Börsenjournalist Dirk Müller.

wen/ul (rtrd, dpa, standard.at)