"Blair hatte es leichter als Schröder"
24. Mai 2005DW-WORLD: Am 8. Juni 1999 veröffentlichten Tony Blair und Gerhard Schröder das so genannte Schröder-Blair-Papier mit dem Titel "Der Weg nach vorn für Europas Sozialdemokraten" in dem sie unter den Schlagworten die "Neue Mitte" und der "Dritten Weg" ihre Parteien modernisieren wollten. Fast genau sechs Jahre später erreichte Tony Blair einen historischen dritten Wahlsieg, während Gerhard Schröder möglicherweise im Herbst abgewählt wird. Was hat Blair richtig und Schröder falsch gemacht?
William Paterson: Erstens hatte Blair, und dies ist ganz wichtig, eine viel bessere Ausgangsposition. Die Labour Party war mehr oder weniger modernisiert als er Parteiführer wurde. Zweitens war die wirtschaftliche Lage in Großbritannien viel besser, weshalb es Tony Blair viel leichter hatte als Gerhard Schröder. Ich glaube, die zwei Hauptpunkte sind: Blair ist ein Post-Thatcher-Premierminister. Fast alles wurde schon vor seinem Amtsantritt erledigt und die wirtschaftliche Lage war viel besser. Für Gerhard Schröder ist erstens die wirtschaftliche Lage schlecht und zweitens ist noch sehr viel unerledigt. Er hat mit der Agenda 2010 angefangen, aber die Ausgangspositionen der beiden war doch völlig unterschiedlich.
Tony Blair ist sowohl innerparteilich wie in der Bevölkerung wegen seiner Irak-Politik äußerst umstritten und unbeliebt, während Gerhard Schröder mit seiner Irak-Politik auf Zustimmung traf. Warum konnte Blair trotzdem Wahlen gewinnen, Schröder aber nicht?
Es gibt zwei Erklärungen dafür: Erstens ist für die Bevölkerung die Innenpolitik und besonders die Wirtschaftspolitik viel wichtiger als Außenpolitik. Die Tatsache, dass die Wirtschaftslage in Großbritannien relativ gut ist, hat für Blair zum Wahlsieg gereicht. Dazu kommt noch, dass die britischen Konservativen immer noch sehr unpopulär sind. Was Schröder anbelangt: Seine Irak-Politik hat einen Beitrag zu seinem überraschenden Wahlsieg 2002 geleistet, aber diese Phase war nicht von Dauer und die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland noch immer so hoch ist, war für die SPD in Nordrhein-Westfalen sehr schmerzhaft. Die hohe Arbeitslosigkeit stellt auch eine sehr schlechte Ausgangsposition für die Wahl im Herbst dieses Jahres dar.
Schröder und Blair wollten beide ihre Parteien reformieren. Doch die neuen Etiketten "New Labour“ und "Neue Mitte“ sind sowohl bei Labour wie bei der SPD schon lange nicht mehr gern gesehen. In welcher Verfassung sind Labour und SPD heute?
Weder die Labour Party noch die SPD sind in guter Verfassung. Die Labour Party hat sehr viele Mitglieder verloren. Aber auf der anderen Seite wird Blair abtreten und mit Gordon Brown steht immerhin schon sein Nachfolger fest. Deshalb befindet sich die Labour Party im Vergleich zur SPD in einer besseren Verfassung. Der SPD laufen die Mitglieder ebenfalls weg, aber die Labour Party steuert nicht in der Außenpolitik, aber zumindest in der Innenpolitik, einen klaren Kurs. Wie die zukünftige SPD-Innenpolitik aussehen wird, ist nicht wirklich klar. Außerdem sticht Schröder unter seinen SPD-Parteigenossen derart hervor, dass völlig offen ist, was passieren würde, wenn er - wie erwartet - die Wahlen im Herbst verliert. Ein Nachfolger ist überhaupt nicht in Sicht.
Waren Sie von der Ankündigung von Gerhard Schröder schnell Neuwahlen abzuhalten überrascht und geben Sie ihm noch eine Chance, die Wahlen zu gewinnen?
Ich war überrascht, aber eigentlich musste er diesen Schritt gehen, weil er sich in einer äußerst schwachen Lage befindet und im Vergleich zur Labour Party nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügt. Es bestand die Gefahr, dass die Regierung auseinanderbröckeln und im Chaos versinken würde und das war Schröders Antwort darauf. Ein Kalkül ist sicher, sein Vermächtnis als Reformkanzler zu schützen.
Kann er die Wahl gewinnen? Bei fast allen anderen Politikern würde ich sagen: Auf keinen Fall! Ich glaube, dass es unwahrscheinlich ist, dass er gewinnen wird, aber er ist immer für eine Überraschung gut, wie wir es im Wahlkampf 2002 gesehen haben. In jedem anderen Land hätte die SPD diese Wahl verloren, aber Schröder ist ein sehr guter Wahlkämpfer. Aber trotz seiner Fähigkeiten auf diesem Gebiet, glaube ich, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass er verliert,.
Was könnte Gerhard Schröder von Tony Blair lernen?
Die beiden vertragen sich sehr gut und treffen sich sehr oft. Was Schröder von Blair lernen kann ist begrenzt. Was er lernen könnte, wäre vielleicht einen Gordon Brown zu finden. Was Blair unglaublich geholfen hat, ist ein Finanzminister der innen- und wirtschaftspolitisch fast alles für Blair erledigt hat und erfolgreich war. Ein deutsches Pendant sehe ich nicht.
Der Politikwissenschaftler William Paterson ist Direktor des Institute for German Studies an der Universität Birmingham und des German British Forum.