Stromkürzungen und wachsender Frust in Gaza
23. Juni 2017Mitten im heißen Sommer müssen die Menschen im von Israel und Ägypten abgeriegelten Gazastreifen mit noch weniger Strom als sonst auskommen. Ein politischer Streit zwischen der rivalisierenden Hamas im Gazastreifen und der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland ist weiter eskaliert. In den letzten Tagen gab es nur noch wenige Stunden Strom. Das einzige Kraftwerk musste bereits im April seinen Betrieb mangels Treibstoff einstellen.
Seitdem war Gaza von wenigen Megawatt Strom abhängig, die aus dem Netz von Israel und Ägypten in den Küstenstreifen fliessen. Eine Treibstofflieferung aus Ägypten soll nun etwas Abhilfe schaffen, offenbar hatten sich darauf Ägypten und Hamas in den letzten Tagen geeinigt. Die Bilder der Tanklastwagen, die über den Grenzübergang Rafah nach Gaza fahren, sind aber nur ein schwacher Trost. Viele in Gaza befürchten, dass dies nur eine temporäre Lösung für die anhaltende Krise ist.
"Die Situation wird immer schwieriger. Es wäre wünschenswert, wenn unsere sogenannten Politiker in Gaza und dem Westjordanland die Belange ihres Volkes vertreten würden, statt nur ihre eigenen Interessen zu vertreten", sagt Maisa Sultan. Die junge Frau lebt in Jabaliya, einem Stadtteil von Gaza-Stadt und stellt erstmal ihre Waschmaschine an. Gerade ist der Strom gekommen. Die junge Mutter von fünf Kinder muss sich beeilen: Sie muss all das erledigen, wofür Elektrizität benötigt wird. Wäsche waschen, Trinkwasser besorgen, Duschen, den Kühlschrank für kurze Zeit anstellen.
Chronische Stromausfälle
Wenn kein Strom da ist, greift sie wie viele andere auf ein selbstgebasteltes System von Batterien zurück, die genug Energie für kleine Lampen mit LED-Licht liefern. Andere nutzen Generatoren für wenige Stunden. Und wer es sich leisten kann, installiert Solar-Panele. Trotz aller Schwierigkeiten nehmen die meisten hier die Situation mit der in Gaza so typischen Geduld hin.
Im Büro der Weltgesundsheitsbehörde WHO sitzt Mahmoud Daher und erklärt mit ruhiger Stimme, wie sich die Stromkrise auf den ohnehin schon angeschlagenen Gesundheitssektor auswirkt. "Wir machen uns wirklich Sorgen. Das Gesundheitssystem ist komplett abhängig von einer ausreichenden Stromzufuhr", sagt Daher. Die meisten Krankenhäuser werden über Generatoren versorgt, die immer dann einspringen, wenn der Strom ausfällt. "Aber das heisst auch, das die Krankenhäuser nicht mehr jeden Service sondern nur noch das absolut nötigste liefern können", sagt Daher. Die Finanzierung des Treibstoffs für die Generatoren sei bis etwa Mitte Juli gesichert.
Strom als politisches Druckmittel
Tägliche Unterbrechungen bei der Stromzufuhr von bis zu 12 Stunden sind Alltag im Gazastreifen seit vielen Jahren. Die jetzige Krise geht auf einen sich zuspitzenden Streit zwischen Hamas und der palästinensischen Autonomiebehörde zurück. Im April hatte die Behörde plötzlich höhere Steuern auf Treibstoff verlangt, der für das Kraftwerk in Gaza benötigt wird. Das Kraftwerk musste seinen Betrieb einstellen. Danach hing der von der Hamas kontrollierte Gazastreifen am wenigen Strom, der übers Netz von Israel und Ägypten geliefert wird. Israel liefert aber nur rund 25% des täglichen Bedarfs in Gaza - seitdem gab es nur noch vier bis 5 Stunden Strom täglich. Präsident Abbas in Ramallah verlangte dann von Israel, auch diese Stromzufuhr zu reduzieren - er wolle Gazas Rechnung nicht mehr allein bezahlen. Beobachter deuten diesen Schritt als Versuch, Druck auf Hamas auszuüben, Macht in Gaza abzugeben.
Diese Woche kürzte Israel die Stromzufuhr. Mitte der Woche blieb den Menschen nur noch zwei bis drei Stunden Strom. Und das trotz Warnungen des israelischen Militärs und von Beobachtern, dass dieser Schritt die ohnehin angespannte Situation weiter anheizen würde. Israel's Premierminister Benjamin Netanjahu beschrieb die Situation als das Resultat eines "internen palästinensischen Streits".
Streit auf dem Rücken der Bürger
Warnungen vor einer humanitären Krise vom Sondergesandten der Vereinten Nationen, Nikolay Mladenov, kümmern die Akteure nur wenig. "Seit 2007, seit Hamas die Macht übernommen hat, bezahlt die palästinensische Autonomiebehörde die Elektrizität in Gaza", sagt Regierungssprecher Tareq Rishmawi in Ramallah. "Hamas sollte die Initiative des Präsidenten akzeptieren und alle Regierungsinstitutionen an die 'Regierung des nationalen Konsens' zurückgeben." Kurz vor Ausbruch des Streits hatte Hamas offenbar einen politischen Ausschuss gebildet, der die Regierungsangelegenheiten in Gaza regeln soll. Ein Schritt, der den bitteren politischen Streit weiter angefacht hatte.
Hamas steht auch unter Druck, weil mit Katar ein wichtiger politischer und finanzieller Sponsor weg zu brechen droht: Der kleine Golfstaat steht derzeit selbst enorm unter Druck von seinen Nachbarländern, die das Land beschuldigen, islamistische Gruppen in der Region zu unterstützen. Nach dem Krieg zwischen Hamas und Israel 2014, hat Katar beim Wiederaufbau geholfen, Strassen und Krankenhäuser repariert, Gehälter bezahlt, und es hat beim Kauf von Treibstoff für das Kraftwerk ausgeholfen. "Die Menschen sollten gegen die Leute protestieren, die hinter der Blockade stecken, und sie sollten in der Krise standhaft bleiben", sagt Hasem Qassem, Sprecher der Hamas in Gaza-Stadt.
Wachsender Frust unter den Einwohnern
Bereits seit Jahren begegnen die Menschen in Gaza stoisch jedem Problem mit dem sie in Gaza zu kämpfen haben. Vor zehn Jahren hatte Hamas die Macht übernommen, seitdem haben Israel und Ägypten den Küstenstreifen abgeriegelt. Die Grenzen sind die meiste Zeit zu, Reisen sind fast kaum mehr möglich. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent. In Gaza kontrolliert die islamistische Hamas das Gebiet mit zunehmend harter Hand. Unter der Bevölkerung wächst die Frustration über die ausweglose Situation. "Die Leute hier sind wirklich müde und erschöpft, und wirtschaftlich gesehen geht sowieso alles den Bach herunter", sagt Ahmed Abu Hasira, der Besorgungen auf der Omar al Mukhtar Strasse macht. Ein anderer Passant, der seinen Namen nicht will, sagt genervt: "Sollen sie doch alles abstellen. Genug ist genug."