Das Berliner Klischee
15. Juli 2009Wer die Berliner Kunstszene nicht kennt, der stellt sie sich wahrscheinlich so vor: abgewrackte Gebäude, die mit Graffiti besprüht sind, unscheinbare Eingänge in kleine Kunsträume, Bilder an Wänden, deren Farbe abbröckelt, und Galeristen, die viel zu jung sind, um etabliert sein zu können. Und genau so ist STYX. Michael Rade spricht von "kuratieren", von "monochromatischer Ruhe" in den Bildern der ausstellenden Künstlerin. Er ist 26 Jahre alt und hat seit einem Jahr seine eigene Galerie namens STYX zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshein. Hier ist die Berliner Kunstszene zu Hause, und deshalb ist Michael Rade auch hier.
Kunst in alter Brauerei
"Ganz nach hinten, dann links in die Tür rein, im zweiten Stock irgendwo", sagt der Barkeeper auf dem Gelände der Friedrichshöhe. Da sei die Galerie STYX. In dem massiv gebauten und massiv mit Graffiti übersäten Backsteingebäude der alten Brauerei ist eine kleine Tür, darüber steht ein Pappschild "Artists.com". Es riecht modrig und feucht, hinter dem Eingang hat sich Regewasser zu einer Pfütze angesammelt. Irgendwo dudelt ein Radio spanische Lieder, woanders hänmmert und klopft es.
Grablichter führen zum "White Cube"
"Immer den Kerzen nach", hallt es vom Ende des düsteren Flurs im zweiten Stock, "der Strom ist heute ausgefallen." Rade hat deshalb rote Grablichter aufgestellt, die zu seiner Galerie führen. Auch das ist schon ein bisschen Kunst. Rade sitzt dezent in einer Ecke des 120 Quadratmeter großen Raums, der weiß gestrichen ist. "White Cube" nennt er seinen Kunstraum ein bisschen schmunzelnd, denn die unverputzten Wände und die kleinen Fenster entsprechen nicht dem, was man sich unter den reinen, weißen white-cube-Galerien von heute vorstellt.
London war zu hart
Rade ist mit seinen 26 Jahren eigentlich zu jung für einen Sammler und Galeristen, der Kunst so nebenbei, als Hobby betreibt. Ein 26-jähriger, so könnte man denken, ist gerade mit dem Studium fertig, startet vielleicht gerade seine Karriere, geht vielleicht in Ausstellungen. Doch das hat Rade bereits hinter sich. In seiner leisen Stimme erzählt er, wie er nach dem Grafik-Studium in Hamburg nach London ging, dort einfach hin musste, weil London eine der Stil-Hochburgen der Welt ist. Dort fing er an mit Freunden und für Freunde Kunstausstellungen zu organisieren, bis er merkte, dass die Londoner Kunstszene "ein ziemliches Stechen ist". Als er dann diesen Raum in Berlin fand, war klar: Hier würde er seine neue Galerie aufmachen.
Auswahl ist Geschmacksache
Zur Zeit stellt er eine Londoner Künstlerin aus, die er auch privat kennt. Das ist aber eher die Ausnahme – viele der Künstler findet Rade über’s Internet. Nach seinem eigenen Geschmack, um sie dann zu treffen und eine Ausstellung zu organisieren. Dann gilt: Von dem, was hier verkauft wird, bekommt der Künstler 50 Prozent, die andere Hälfte behält Rade. Alle Künstler, die bisher bei ihm ausgestellt haben, dokumentiert er auf seiner Webseite. "Das ist das Mindeste was ich für die Künstler tun kann. Ich kann sie ja nicht auf Messen vertreten, und ein Portfolio habe ich auch noch nicht." Vielleicht eines Tages. Denn einige der Künstler nehmen Styx auch als Sprungbrett, stellen danach in größeren Galerien in Paris aus.
Irgendwann wird saniert
Rade ist mit seiner kleinen Galerie recht erfolgreich, 50 bis 300 Besucher kommen pro Vernissage, die Kunstwerke der momentanen Ausstellung werden zwischen 490 und 3300 Euro verkauft. Ob Styx allerdings so richtig groß werden kann, ist fraglich. Denn das alte Brauereigebäude gehört einem Investor. Der kommt zwar auch gerne mal vorbei und schaut sich die junge Kunst an. Irgendwann wird aber saniert, dann muss sich Rade einen neuen Raum suchen. Der "wahnsinnige Charme" des jetzigen Gebäudes wird dann verflogen sein.
Autorin: Elena Singer
Redaktion: Petra Lambeck