"Birdgirl" - eine Stimme für die Erde und gegen Rassismus
6. März 2020Mya-Rose Craig war neun Tage alt, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Vogel, einen Turmfalken, sah. Heute erinnert sie sich natürlich nicht mehr daran, aber auf einem etwas unscharfen Foto kann man erkennen, wie sie durch ein Fernglas blickt. Das Foto wurde auf den Scilly-Inseln, vor der Südwestspitze Englands, aufgenommen.
Es ist wohl keine Überraschung, dass sie schon früh eine leidenschaftliche Vogelbeobachterin wurde. Auch ihr Vater ist Vogelliebhaber und brachte das Hobby in die Familie. Inzwischen hat die 17-Jährige schon die Hälfte der weltweit bekannten Vögel beobachtet - eine beeindruckende Zahl von 5369 Arten. Nie zuvor hat das jemand in so jungen Jahren geschafft.
"Ich hatte schon immer eine sehr starke Beziehung zu Vögeln", sagt Mya-Rose Craig und hat dabei ein Fernglas um den Hals geschlungen. "Ich denke, besonders als ich jünger war, fand ich die Tatsache, dass sie fliegen können, so interessant. Und ich meine, welches kleine Kind träumt nicht vom Fliegen?"
Bei einem Spaziergang durch die üppigen Wälder des Ashton Court Estate-Parks am Rande von Bristol, der englischen Stadt nahe ihres Wohnortes, entdeckt Craig eine Blaumeise. Der Vogel ist in Großbritannien weit verbreitet. Sie sagt, lange bevor sie sich auf die Suche nach selteneren Arten machte, waren die heimischen Vögel für sie eine Gelegenheit, sich mit der Natur zu vereinen.
"Gerade als ich jünger war, wusste ich es sehr zu schätzen, dass ich nicht raus in die Wildnis musste, um Vögel zu beobachten. Ich konnte einfach in meinen Garten gehen. Diese einfache Zugänglichkeit hat mich angesprochen", sagt die Schülerin, die derzeit ihr Abitur macht.
Mehr: Warum Nachtigallen Berlin lieben
Mya-Rose Craig hat bangladeschische Wurzeln und bemerkte schnell: Unter den Naturschützern gibt es nur wenige Menschen, die aussehen wie sie.
"Ich habe festgestellt, dass die Menschen, die es in die Natur hinauszieht, fast alle weiß sind", sagt sie. "Und als jemand, der glücklicherweise die Chance hatte, sich sein ganzes Leben mit der Natur zu beschäftigen, finde ich es sehr ärgerlich, dass andere Menschen nicht die gleichen Möglichkeiten hatten."
Das möchte sie ändern. Unter dem Namen"Birdgirl" ist Mya-Rose Craig zu einer prominenten Stimme für Diversität im Naturschutz geworden. Sie schloss sich einer weltweiten Bewegung junger Umweltaktivistinnen an, zu der auch Greta Thunberg und Vanessa Nakate gehören.
'Weiße und elitäre' ländliche Gegenden
Mya-Rose Craig war gerade 13 Jahre alt, als sie mit Hilfe ihrer Eltern ihre erste "Race Equality in Nature"-Konferenz organisierte. Sie wollte die fehlende Diversität nicht nur beim Zugang zur Natur, sondern auch im Umweltschutz aufzeigen. Rund 97 Prozent der britischen Umweltexperten bezeichnen sich als weiß. In dem Bereich gibt es in Großbritannien am wenigsten Diversität.
Die Konferenz bringt Nichtregierungsorganisationen, Akademiker, junge Naturforscher mit schwarzen und asiatischen Vertretern zusammen. Sie bezieht auch ethnische und religiöse Minderheiten ein, um diekomplexen Gründe für die mangelnde Diversität herauszuarbeiten, sagt sie.
"Das fängt mit solchen Dingen an, dass viele Menschen in diesen Gemeinschaften keine angemessene Kleidung für das englische Wetter haben", sagt Mya-Rose Craig, "oder dieser großen kulturellen Angst vor Hunden und führt zu viel schwierigeren Themen, wie dem Gefühl innerhalb dieser Gruppen, dass ländliche Gegenden sehr weiß und elitär sind, und dass sie nicht willkommen sind."
Mehr: Eine Schule in Berlin unterrichtet "Biologische Vielfalt"
In den vergangenen Jahren hat die junge Naturschützerin über 13.000 Follower auf Twitter gewonnen. Ihr Blog wurde mehr als eine Million Mal aufgerufen. Sie war im Fernsehen, sprach bei einem TED-Talk und hielt Vorlesungen an Universitäten. Im Februar 2020 erhielt Mya-Rose Craig als jüngste Britin die Ehrendoktorwürde der Universität von Bristol für ihre Diversitätskampagne.
Mit ihrer Organisation Black2Nature, die sie 2016 gegründet hat, veranstaltet die Vogelbeobachterin regelmäßig Ferienlager in der Natur für Jugendliche aus der Stadt. Die jungen Leute zelten ein bis zwei Nächte auf dem Land, nehmen tagsüber an Workshops teil, zeichnen und beobachten Vögel und sprechen über Umweltthemen und die Klimakrise.
"Ich persönlich bin der Meinung, dass es schon so weit gekommen ist, dass der Zugang und das Erleben der Natur fast zu einem Privileg geworden ist. Und das finde ich völlig inakzeptabel, vor allem weil die Menschen vergessen, dass auch wir Tiere sind, dass wir ständig von der Natur umgeben sein sollten – und das sind wir einfach nicht", sagt Mya-Rose Craig.
Mehr: Dänemarks Grüne Freie Schule setzt auf Nachhaltigkeit im Lehrplan
Wenn das Persönliche politisch wird
Durch ihre Organisation Black2Nature möchte sie gängige Vorstellungen, was "Verbundenheit mit der Natur" bedeutet, ändern.
"Ich habe das Gefühl, dass es da ein sehr altmodisches Bild gibt: mit dem Fernglas in einer schicken Kluft zur Vogelbeobachtung zu gehen. Darauf haben viele Leute einfach keine Lust", sagt sie.
"Wenn sich das so entwickeln würde, dass man einfach in die Gemeinschaftsgärten geht und dort Pflanzen aussät, die man selber isst, oder auch nur Füchse nachts im Stadtgarten beobachtet, wird das in Zukunft sehr helfen", erklärt sie.
Studien haben gezeigt, dass der Ausflug ins Grüne und der Kontakt mit der Natur der psychischen Gesundheit guttun.
Für Mya-Rose Craig bedeutet Vogelbeobachtung aber mehr als nur persönliches Wohlbefinden. „Birding", wie es auf Englisch heißt, half ihr, die Natur wertzuschätzen und machte sie zur Aktivistin. Auch die Arbeit von Greta Thunberg hat sie inspiriert, auf die Straße zu gehen und politisch aktiv zu werden.
Mehr: Vogelbeobachter als Botschafter für Biodiversität
Sie versucht auch, die Auswirkungen ihrer Auslandsreisen so gering wie möglich zu halten, indem sie Ökotourismus nutzt, der lokalen Gemeinden zugutekommt. Zudem verwendet sie ihr neu gewonnenes Wissen, um das Thema Biodiversität in ihrer Heimat zu verbreiten.
Die Umweltschützerin ist der Meinung, dass die Freude an der Vogelbeobachtung zu politischem Aktivismus führen kann. Sie glaubt aber auch, dass die Abkopplung der Menschen von der Natur dem Klima und der Umwelt schadet.
"Es wird immer wichtiger, dass die Menschen sich wirklich um ihre Umwelt kümmern und sie verstehen. Denn ohne sie zu kennen und zu lieben, bringt keiner die Opfer, sich auch um die Umwelt zu kümmern", sagt sie.