Dänemark: Eine Schule setzt auf Nachhaltigkeit
29. Februar 2020Ein Dutzend Kinder sitzen im Kreis, als die Glocke läutet. Statt aufzuspringen und in die nächste Klasse zu eilen, schließen sie ihre Augen.
"Hebt die Hand, wenn ihr keinen Ton mehr hört", fordert sie ihr Lehrer auf; er hält ein Paar Zimbeln aus Bronze in der Hand, ein Musikinstrument, das man sonst eher in einem buddhistischen Tempel vermuten würde. Nach und nach heben sich die Hände der Schüler.
In der Grünen Freien Schule (Den Grønne Friskole) in Kopenhagen geht es bei der Ausbildung der Kinder zunächst um das, was sie für ein Leben mit ungewisser Zukunft und in einer Welt, die sich durch den Klimawandel verändert, benötigen: die richtige Einstellung. Unterrichtet wird hier z.B. „Urban Farming", also Gärtnern in der Stadt, und die Stunde beginnt oft mit Achtsamkeitsübungen.
"Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, was Kinder lernen müssen, um zum ökologischen Wandel beizutragen, der auf uns zukommt", erklärt Phie Ambo, eine dänische Filmemacherin, die die Schule im Jahr 2014, zusammen mit der amerikanischen Übersetzerin Karen MacLean, gründete. "Sie müssen lernen, mutig zu sein und Risiken einzugehen. Und sie müssen einige grundlegende Dinge über den Planeten erfahren und darüber, wie wir als Menschen hier zusammenleben. Ich konnte das im dänischen Schulsystem nicht wirklich finden."
Den Lehrplan überarbeiten
Im Gegensatz zu den staatlichen Schulen des Landes stellt die Grüne Freie Schule, mit ihren 200 Schülern im Alter von sechs bis 15 Jahren, nachhaltiges Leben in den Mittelpunkt des Lehrplans.
Auf den ersten Blick wirkt die Grüne Freie Schule ganz normal. Ein Grundstück in einem postindustriellen Viertel südöstlich vom Zentrum Kopenhagens, darauf vier unauffällige Gebäude. Nur ein Holzschuppen und ein farbenfroher Spielplatz lassen vermuten, dass es sich um eine andere Art von Institution handelt.
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Das Hauptgebäude - vollständig aus nachhaltigen Materialien hergestellt - beherbergt eine Werkstatt, in der die Schüler lernen zu nähen und Materialien wie Holz, Ton, Wachs, Filz, Metall und Plastik zu verarbeiten. Außerdem erfahren sie, wie man kompostiert, Fahrräder repariert und Regenwasser sammelt.
Bei der Gestaltung des Lehrplans ließ sich Gründerin Ambo vom Ansatz des „Systemdenkens" inspirieren - dabei wird die Welt auf zugrunde liegende Muster und miteinander verbundene Systeme hin betrachtet. Die Schüler werden ermutigt, über diese Systeme und deren Zusammenspiel nachzudenken, in dem sie im Freien die Welt erkunden, praktische Erfahrungen mit dem Anbau von Gemüse sammeln und gleichzeitig etwas über essbare Pflanzen und klimatische Bedingungen lernen.
Die stellvertretende Schulleiterin Suzanne Crawfurd erklärt, dass diese Methode "projektbasiertes Lernen und Design-Denken" kombiniert und meint damit: Die Lehrer stehen nicht an der Tafel und die Kinder sitzen nicht vor Bildschirmen. Stattdessen gibt es praxisorientierte Projekte, die fächerübergreifend von mehreren Lehrern durchgeführt werden. Die Kinder lernen zum Beispiel, wie man essbare Pilze sammelt, sie dann zeichnet und schließlich in der Küche zu einer Suppe verarbeitet.
Trotz dieses alternativen Ansatzes sei die Gründung der Schule einfach gewesen, erzählt Ambo. Die meisten Schulen in Dänemark seien öffentlich, doch jeder könne eine private "freie Schule" gründen, an der der Staat sich mit etwa 75% der Kosten beteilige und der Rest über Schulgebühren finanziert würde.
Umweltfreundlicher Unterricht
Die monatlichen Schulgebühren der Grünen Freien Schule liegen bei 2.600 DKK, das entspricht etwa 350 Euro oder 380 US-Dollar. Mindestens 5% des Budgets wird für Stipendien genutzt, die Kinder erhalten, deren Eltern sich die Gebühren nicht leisten können. So würde erreicht, dass die Schüler der Schule aus einem „breiten Spektrum sozio-ökonomischer Hintergründe" in Kopenhagen kommen, so Ambo.
Laut Gesetz muss auch eine "freie Schule" dem nationalen Lehrplan folgen. Neben Lesen und Schreiben werden Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtet. Den restlichen Lehrplan kann die Grüne Freie Schule selbst gestalten, z.B. mit Fächern wie „Urban Farming" und "Greenwashing". "Sie müssen lernen, ihr eigenes Essen anzubauen, und sie müssen in der Lage sein, Unternehmen zu durchschauen, die behaupten, sie seien nachhaltig - denn wir haben keine Zeit für so etwas", erklärt Ambo.
Die Grüne Freie Schule ist nicht die einzige Bildungseinrichtung in Europa mit einem "umweltfreundlichen Lehrplan". Das Hagenbeck-Gymnasium in Berlin beispielsweise vermittelt den Schülern die Bedeutung von Arten und Ökosystemen und bezieht die biologische Vielfalt erfolgreich in den praxisorientierten Unterricht ein.
Ambo hofft, dass die dänische Schule junge Lehrer inspirieren wird, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen, in einem Land, in dem der Klimawandel immer stärker in den politischen Fokus rückt.
Im vergangenen Dezember verabschiedete das dänische Parlament ein Klimagesetz, dass das Land dazu verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.
Ökologischer Wandel und seine Herausforderungen
Doch die Gründer hatten auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Es stellte sich heraus, dass das Grundstück, das Ambo und MacLean für die Schule ausgewählt hatten, mit Chemikalien belastet war, die zur Reinigung von Schiffen verwendet worden waren. Ein Nachteil, den sie zu ihrem Vorteil machten. "Früher war dies einer der giftigsten Orte in Kopenhagen, aber wir entschieden uns, die Entgiftung des Geländes in den Lehrplan aufzunehmen", berichtet Ambo. Die 43 Schüler, mit denen die Schule startete, lernten, "welche Bäume und Pflanzen den Boden von den Chemikalien befreien und wie man an solchen Orten leben und sie umgestalten kann."
Der Unterricht an der Schule habe zwar mittlerweile an Struktur gewonnen, doch für Kinder mit Lernschwierigkeiten sei er nicht ideal, räumt Ambo ein. Außerdem gäbe es auch keine Prüfungen. "Das ist definitiv nicht für jeden geeignet", meint Ambo. "Einige Eltern finden, dass es sich gut anhört, bis ihnen auffällt, dass es keine Tests oder Prüfungen gibt. Dann nehmen sie die Kinder wieder raus." Mit 15 Jahren wechseln die Schüler an weiterführende Schulen, wo die meisten dann die benötigten Leistungsbescheinigungen bekommen.
An der Grünen Freien Schule sollen die Schüler vor allem lernen, ihre eigenen Schlussfolgerungen mit Blick auf die Welt zu ziehen. Aber es gibt eine klare Richtung, in die diese Schlussfolgerungen führen sollen. "Wir sagen den Schülern: 'Seid kritisch, denkt selbstständig und macht, was ihr wollt - aber wir möchten, dass ihr den grünen Wandel schafft'", sagt Schulleiterin Junge. "Das ist eine Herausforderung."