Biontech-Impfstoff: Die Mammut-Logistik beginnt
2. Dezember 2020Bereits in der kommenden Woche könnten Impfungen gegen COVID-19 in Großbritannien beginnen. Bis dahin rechnen die Beteiligten bei Biontech, Pfizer und den Gesundheitsbehörden im Vereinigten Königreich bereits mit rund 800.000 verfügbaren Impfstoffdosen. "Wir haben sofort mit der Auslieferung begonnen", sagte Özlem Türeci, Medizinchefin und Mitgründerin von Biontech in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. So antwortete auch der für die Auslieferung zuständige Vertriebsvorstand Sean Marett auf die Frage, wie sich die nun startende globale Verteilung nach Monaten intensiver Arbeit anfühle: "Wir haben noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Mit unseren Kolleginnen und Kollegen bei Pfizer sind wir viel zu sehr damit beschäftigt, Impfdosen nach Großbritannien zu packen und zu verschicken."
Auch in den USA und Europa haben beide Unternehmen bereits Notfall- oder Sonderzulassungen beantragt. "Die jeweiligen Zulassungsbehörden sind zwar unabhängig voneinander", sagt Thomas Schiessle, Pharma-Experte im Analystenhaus Equi.ts in Frankfurt. "Aber man kann sagen: Wenn einer schon darüber geschaut und für gut befunden hat, werden die anderen da nicht hintanstehen wollen."
Impfstoff braucht Tiefkühlung - noch
Die Produktion und Vorbereitung für das Liefern des Impfstoffes direkt nach einer Zulassung laufen bei Impfstoffunternehmen und Logistikern bereits seit längerem auf Hochtouren. Im Fall des Biontech-Pfizer-Impfstoffes spielt dabei Tiefkühlung eine entscheidende Rolle. Denn die sensiblen Vakzine müssen dauerhaft bei rund minus 70 Grad Celsius gelagert und transportiert werden. Dafür verfügen beide Unternehmen über spezielle Transportbehälter auf Basis von Trockeneis. In denen also werden die Impfdosen nun in Richtung Großbritannien verschickt. Um sie in kleineren Impfzentren vor Ort auch anzuwenden zu können, sei es darüber hinaus möglich, die Vakzine in gewöhnlichen Kühlschränken zwischen zwei und acht Grad noch einmal bis zu fünf Tage vorrätig zu halten. Für das nächste Jahr kündigte Biontech-Chef Ugur Sahin in einem Interview mit CNN allerdings weitere Varianten des Impfstoffes an, der dann logistisch weniger anspruchsvoll sei.
Jedenfalls zahlt sich nun bei der internationalen Verteilung des Impfstoffes für Biontech die Partnerschaft mit Pfizer aus. Denn das Pharmaunternehmen ist ein internationaler Konzern mit viel Erfahrung und entsprechendem Organisationsnetz mit anspruchsvoller Pharma-Logistik. Nach Angaben beider Unternehmen ist Pfizer in über 120 Ländern aktiv. Für einen möglichen Vertrieb in China arbeitet Biontech darüber hinaus mit der chinesischen Fosun Pharma zusammen.
Logistiker sind vorbereitet
Bislang bestehen Vorverträge mit Großbritannien sowie mit zahlreichen anderen Ländern, der EU und natürlich Deutschland. Man sei darauf vorbereitet, in all diese Ländern zu liefern und werde das auch so handhaben. Auch wenn die Behörden in Großbritannien nun als erste den Impfstoff zugelassen haben, werde man auf eine faire Verteilung achten.
Für die Versorgung von Großbritannien wird der Pfizer-Produktionsstandort im belgischen Puurs die Hauptrolle spielen. Darüber hinaus stellt Biontech den Impfstoff in seinen Fabriken in Mainz und Idar-Oberstein her. Im kommenden Jahr soll noch eine weitere Produktionsstätte in Marburg den Impfstoff herstellen, die Biontech kürzlich vom Schweizer Pharmakonzern Novartis erworben hat.
Auf die logistische Herkulesaufgabe der Impfstoffverteilung bereiten sich auch andere Unternehmen hierzulande vor. So hat Lufthansa Cargo in Frankfurt – nicht weit entfernt von Biontechs Firmensitz in Mainz - eine Task-Force gegründet und stehe etwa mit den Pharmaherstellern, den Behörden und anderen Partnern in ständiger Verbindung. Für dieses Jahr geben Biontech und Pfizer an, rund 50 Millionen Impfdosen produzieren und ausliefern zu können, im kommenden Jahr seien bis zu 1,3 Milliarden Dosen verfügbar.
Noch längst nicht alle Fragen beantwortet
Ein wohl lukratives Geschäft - wenn man bedenkt, dass der Preis für eine Zweifach-Impfung mit den US-Behörden auf 39 Dollar ausgehandelt wurde. "Man sollte jetzt nicht ganz platt die Anzahl der Impfdosen mit diesem Preis multiplizieren", gibt Thomas Schiessle allerdings zu bedenken. Denn man müsse womöglich noch öffentliche Fördergelder von künftigen Gewinnen abziehen. So sprang die Bundesregierung im September Biontech bei: Aus einem Sonderprogramm sagte sie den Mainzern 375 Millionen Euro für die Entwicklung eines Impfstoffes zu.
Experten rechnen jedenfalls damit, dass Sonderzulassungen auch in den USA (wahrscheinlich am 10. Dezember) und in Europa (voraussichtlich bis zum 29. Dezember) bald kommen könnten. Dabei raten sie allerdings auch zur Vorsicht. Beobachten müsse man beispielsweise mögliche Langzeit-Nebenwirkungen. Auch ist auf Grund der Kürze der Impfstoffentwicklung noch unklar, wie lange der Impfschutz anhält und ob er auch bei kleineren Kindern und Schwangeren unproblematisch einsetzbar ist und Wirkung zeigt.