Die Schattenseiten des Stadt-Imkerns
20. Mai 2020Immer mehr Menschen in Deutschland imkern. Und vielen geht es dabei gar nicht um den Honig - oder nicht in erster Linie. Sie wollen vor allem etwas gegen das weltweite Bienen- und Insektensterben tun.
Mehr dazu: Münchener Studie bestätigt starkes Insektensterben in Deutschland
"Seit 2007 verzeichnen wir einen Anstieg in der Bienenhaltung und dieser Trend hält ungebrochen an", berichtet Petra Friedrich, Pressesprecherin beim Deutschen Imkerbund (D.I.B.). Aktuell gibt es nach Schätzungen des D.I.B. in Deutschland rund 150.000 Imker. Gut 130.000 davon sind Mitglieder in Imker-Vereinen. Doch immer mehr Menschen imkern auf eigene Faust.
Bienenhaltung leichtgemacht
Gesetzliche Vorgaben für die Imkerei gibt es in Deutschland nur wenige. Wer nicht mehr als 25 Bienenvölker hält, muss die Tiere lediglich beim Veterinäramt melden - das war es schon.
Besonders in Hamburg und Berlin habe es einen regelrechten Boom beim urban beekeeping, dem Imkern in der Stadt, gegeben, erzählt Friedrich. Zwar flaue der Trend etwas ab, dennoch sei die Bienendichte vor allem in Berlin nach wie vor sehr hoch: etwa acht Bienenvölker pro Quadratkilometer.
Die Schattenseite des urban beekeeping
Ein so dichter Bestand bereitet vor allem dann Probleme, wenn ein Bienenvolk erkrankt, etwa an der amerikanischen Faulbrut, einer bakteriellen Infektion. Das Problem: Die Bakterien zersetzen die Bienenlarven im Inneren des Stocks, erwachsenen Bienen sieht man die Krankheit nicht an. "Deswegen kann es unter Umständen länger dauern, bis ein Imker - egal ob Einsteiger oder Erfahrener - bemerkt, dass sein Volk befallen ist, erläutert Christoph Otten, Leiter des Fachzentrums für Bienen und Imkerei Mayen.
Ist das der Fall, muss das Volk laut Tierseuchengesetz vernichtet werden, denn die Krankheit ist hoch ansteckend. "Wenn die Völker, wie etwa in Berlin, dicht an dicht leben, kann sich eine richtige Seuche ausbreiten", sagt Imkerbund-Sprecherin Friedrich.
Nicht nur Platzprobleme auf dem Bienenbalkon
Ob in Berlin, New York oder Tokio - urban beekeeping ist in Städten weltweit angesagt. Es gibt sogar eigens konstruierte "Balkon-Bienenstöcke", die außen an den Brüstungen hängen können. Und die werden im Sommer mit zunehmender Honigproduktion immer schwerer. "In der Saison von Anfang Mai bis Mitte Juli produziert ein Volk rund 30 Kilogramm Honig", sagt Melanie von Orlow, Bienen-Expertin beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) und selber Imkerin. Der Honig müsse zusätzlich zum Gewicht der Stöcke und der Bienen eingerechnet und der Bienenstock entsprechend gesichert werden.
Ein größeres Problem sieht die Expertin darin, dass Balkon-Imker das Flugloch ihrer Bienenstöcke nicht beobachten könnten. Das aber sei wichtig, um das Verhalten der Bienen besser beurteilen zu können und auch den Vorgang des Schwärmens unter Kontrolle zu behalten.
"Wenn im Frühling eine neue Königin schlüpft, verlässt die alte mit einem Teil des Volkes den Stock und sucht einen neuen Nistplatz - das ist der natürliche Ablauf. Wenn man keinen Platz für ein neues Volk hat, dann muss man die neuen Königinnen-Larven im Vorfeld entfernen, um ungewolltes Schwärmen zu verhindern", erklärt von Orlow.
"Bienen sind keine Goldfische"
Auch müsse man daran denken, den Bienen eine Wasserquelle zur Verfügung zu stellen, sonst könne es sein, dass sich die durstigen Brummer zu Hunderten oder mehr am Teich im Nachbargarten niederlassen - nicht immer zur Freude der betroffenen Nachbarn.
Die langjährige Imkerin ärgert, dass einige Internetanbieter das Imkern quasi als Tierhaltung ohne Verpflichtung anpreisen. Selbst nach einem Anfängerkurs brauche es noch viele Jahre Erfahrung, um im Umgang mit den Bienen wirklich fit zu werden. "Bienen sind eben keine Goldfische!" Von Orlow rät Anfängern daher, erstmal bei erfahrenen Bienenhaltern mitzuimkern.
Schützt die Wildbienen!
Wem es weniger um den Honig, sondern um Bienenschutz geht, sollte sich vor allem um Wildbienen kümmern, sagt Corinna Hölzel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Rund 560 Wildbienenarten gibt es in Deutschland - mehr als die Hälfte von ihnen ist gefährdet, viele sind sogar stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Während die klassischen Honigbienen ihre Stöcke vom Menschen gestellt bekommen, finden Wildbienen immer weniger Nistmöglichkeiten. Denn Totholz, Lehmmauern oder karge Flächen gibt es in der Stadt wie auf dem Land immer seltener. "Nistgelegenheiten, wie abgestorbene Pflanzen und Freiflächen im Garten oder ein geeignetes Wildbienenhotel auf dem Balkon helfen der Insektenwelt wesentlich mehr als ein Bienenstock. Vor allem aber ist es wichtig, für mehr Nahrung zu sorgen, also Garten und Balkon mit heimischen Pflanzen zu gestalten und keine Pestizide zu verwenden", betont Hölzel.
Denn auch bei der Nahrungssuche sind Wildbienen, wie Hummeln, Mauer- oder Sandbienen und andere, gegenüber der Honigbiene im Nachteil. Denn sie sind in der Regel auf einige wenige Blüten spezialisiert, die sie in einem Radius von ein paar hundert Metern suchen. Ohne Wildbienen sieht es daher auch für viele Wildpflanzen schlecht aus - und umgekehrt. Honigbienen sind dagegen Generalisten bei der Blütenwahl, ihr Sammelradius liegt bei mehreren Kilometern.
Der Mensch brauche schon aus Eigeninteresse eine möglichst große Vielfalt an Insekten, so Corinna Hölzel. Honigbienen alleine würden es nie schaffen, alle unsere Obst- Nuss- oder Gemüsesorten zu bestäuben. So werden etwa Bohnen hauptsächlich von Hummeln bestäubt. Während Honigbienen erst ab etwa zwölf Grad Lufttemperatur auf Nahrungssuche und damit ihrem Bestäuber-Job nachgehen, summen verschiedene Wildbienenarten auch bei kühleren Temperaturen um die Blüten. Hummeln macht leichter Regen nichts aus - eine Honigbiene allerdings fliegt bei Regen grundsätzlich nicht.