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Bezahlkarte für Asylbewerber in Deutschland: Wie läuft es?

Ben Knight aus Greiz
19. Februar 2024

In ganz Deutschland könnten Asylbewerber ihre Sozialleistungen bald auf einer Prepaid-Karte statt als Bargeld erhalten. Die Kleinstadt Greiz arbeitet schon seit knapp drei Monaten mit dem System.

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Greiz, Thüringen, Deutschland - Blick auf Häuser und eine Straße
Die Kleinstadt Greiz in Thüringen: Sie probiert die sogenannte Bezahlkarte für Geflüchtete aus Bild: Ben Knight/DW

Anfang Dezember hat die kleine Stadt Greiz im Bundesland Thüringen als einer der ersten Orte in Deutschland die umstrittene Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt. Spricht man mit der Landrätin Martina Schweinsburg von der konservativen Christlich-Demokratischen Union (CDU), ist das bisher ein Erfolg. Das liegt vor allem daran, so Schweinsburg, dass das System in der ostdeutschen Kleinstadt geholfen hat, Spannungen abzubauen.

Besonders manche Situationen mit Ausländern hatten nach Ansicht von Schweinsburg zu angespannten Situationen geführt: "Wenn sie im Supermarkt Lebensmittel für 20 Euro kaufen, dann eine dicke Geldpackung aufrollen und dann einen Hundert-Euro-Schein herauszuziehen, dann macht das keinen guten Eindruck", sagte Schweinsburg der DW in ihrem Büro. "Ich wollte hier Frieden reinbringen."

Wenn das stimmt, ist das allerdings nur ein Nebeneffekt. Ursprünglich steckt ein anderer Gedanke hinter den Bezahlkarten: Sie sollen verhindern, dass staatliche Sozialleistungen an die Familie im Ausland geschickt oder damit Schleuser bezahlt werden.

Martina Schweinsburg mit Bezahlkarte für Asylsuchende
Martina Schweinsburg: Die Bezahlkarte soll "Frieden reinbringen"Bild: Ben Knight/DW

Im laufenden Jahr wird das System in irgendeiner Form vermutlich in allen Bundesländern in Deutschland eingeführt. Der Stadtstaat Hamburg ist das erste Bundesland, das mitgeteilt hat, die Karte bereits auszugeben. Andere Bundesländer wollen die Einführung ebenfalls vorantreiben, darunter Bayern.

Verschiedene Versionen der Karte werden diskutiert. Das Modell in Greiz ist einfach: Den Asylbewerbern wird der größte Teil ihrer monatlichen Leistungen von 496 Euro auf einer speziellen Chipkarte ausgezahlt. Den Rest erhalten sie in bar - je nach Person etwa 100 Euro.

In Greiz leben 730 Asylbewerber. Derzeit bekommen etwa 200 von ihnen das Geld auf die Karte gebucht, die anderen sollen bis Anfang März folgen.

Kreditkarten in einer Bargeld-Welt

Die Karte kann in allen Geschäften verwendet werden, die Mastercard-Kreditkartenzahlungen akzeptieren. Allerdings nur in Geschäften innerhalb des Postleitzahlgebiets von Greiz. Und sie kann nicht für Bestellungen im Internet verwendet werden. Das ist gut für große Supermärkte, aber nicht für kleine Lebensmittelläden.

Greiz ist, wie Deutschland im Allgemeinen, nicht besonders kreditkartenfreundlich. In Cafés und an Fast-Food-Ständen wird fast überall nur Bargeld akzeptiert. Keines der Geschäfte mit Produkten aus Asien oder Nahost, die die DW in der Greizer Innenstadt besuchte, nahm Kartenzahlungen an. Ein arabischer Ladenbesitzer sagte, er wolle sich ein Kartenlesegerät anschaffen, nur wegen der neuen Bezahlkarte. "Das ist schlecht für mich", sagte Ibrahim (Name geändert) zur DW. "Ich verkaufe viele arabische Produkte. Ich habe gemerkt, dass manche Leute nur noch notwendige Dinge kaufen wie Brot. Die Leute sind nicht glücklich."

Greiz, Thüringen, Deutschland: Ein kleines Lebensmittelgeschäft - der "Karthago Markt"
Nun müssen alle Geschäfte ein Lesegerät kaufen: Kleiner Lebensmittelladen in GreizBild: Ben Knight/DW

Landrätin Schweinsburg betont, sie habe nur einmal Kritik gehört: "Eine Frau hat sich beschwert, dass sie ihre Kredite nicht mehr abzahlen kann. Da haben meine Mitarbeiter klipp und klar gesagt, dass das Geld dazu da ist, den Lebensunterhalt in Deutschland zu finanzieren und nicht Kredite in der Heimat. Da hat sie geschluckt und es akzeptiert."

Das eigentliche Ziel der Bezahlkarte ist, Zuwanderung insgesamt einzudämmen - auch wenn das selten laut ausgesprochen wird. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Karte in dieser Hinsicht sofort Wirkung zeigt. Laut Schweinsburg haben 15 Personen oder drei Familien "aus dem ehemaligen Jugoslawien" die Karte abgelehnt und das Land sofort verlassen. "Aber wenn sie abreisen, sind sie einfach weg und sagen nicht, warum. Deswegen kann man das auch statistisch nicht belegen, dass sie wegen der Bezahlkarte abreisen."

Vorteile wiegen Nachteile auf

Obwohl das neue System für die Asylbewerber mit Unannehmlichkeiten verbunden ist, halten einige der freiwilligen Helfer es insgesamt für eine gute Sache. Ehrenamtliche, die die DW in einer Kleiderkammer für Migranten besuchte, bezeichneten das System als "diskriminierend". Aber sie sahen auch Vorteile: Sie hätten festgestellt, dass Familien so ihr Geld besser einteilen konnten.

Stadtrat Holger Steiniger von der Linkspartei stimmte für das System, obwohl seine Partei auf nationaler Ebene offiziell gegen Bezahlkarten ist. "Die Vorteile überwiegen aus meiner Sicht", sagte er der DW. " Man muss einfach anschauen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist."

Was der Abgeordnete mit "Stimmung" meint, hat viel mit Wahlergebnissen zu tun. Bei der jüngsten Bundestagswahl 2021 stimmten 29 Prozent der Greizer für die einwanderungsfeindliche Partei Alternative für Deutschland (AfD) - damit wurden die Sozialdemokraten (SPD) mit 22 Prozent locker auf den zweiten Platz verwiesen.

Greiz, Thüringen, Deutschland: Frauen in einer Kleiderkammer
Kritiker sagen, die Bezahlkarte diskriminiere Geflüchtete: Ehrenamtliche in einer KleiderkammerBild: Ben Knight/DW

"Mit so einer Bezahlkarte kann ich viele Unwahrheiten oder Fake News entkräften", sagt Steiniger. "Die Leute können damit einkaufen, aber sie können kein Bargeld abheben. Sie haben keine Möglichkeit, irgendwelche Schleuser zu bezahlen." Dieser letzte Punkt ist ihm wichtig geworden. Vor allem, wenn er mit Einheimischen spricht, die davon überzeugt sind, dass das Geld sofort ins Ausland geschickt wird - obwohl es dafür keine eindeutigen Beweise gibt.

Der Abgeordnete sagt auch, das System habe für die lokalen Behörden viele bürokratische und sicherheitsrelevante Probleme beseitigt. Bisher musste das gesamte Bargeld direkt zum Monatsanfang verfügbar sein.

Das Einzige, was Steiniger kritisiert, ist die Beschränkung auf das Postleitzahl-Gebiet. Somit können sich Asylbewerber weniger frei bewegen. "Wir sind froh, dass die Residenzpflicht abgeschafft worden ist, und über die Karte führen wir sie durch die Hintertür in gewisser Weise wieder ein", sagte der Linke-Politiker. "Die Einkaufsmöglichkeiten im Landkreis Greiz sind nicht unbedingt die besten. Das ist ein bisschen das Problem."

Die Angst, Kritik laut zu äußern

Doch andere sind mit der neuen Maßnahme und der offensichtlichen Begeisterung in den politischen Reihen Deutschlands nicht so glücklich. So auch Peter Lückmann, Vorsitzender der Flüchtlingshilfsorganisation Aufandhalt in der Nachbarstadt Gera. Laut Lückmann sind Asylsuchende, denen er hilft, mit der Regelung unzufrieden, aber sie trauen sich nicht, darüber zu sprechen.

Greiz, Thüringen, Deutschland: Stadtrat Holger Steiniger, Linkspartei
Blickt auf die "Stimmung in der Bevölkerung": Stadtrat Holger Steiniger von der LinksparteiBild: Ben Knight/DW

"Wir finden niemanden, der den Mut hat", sagte Lückmann der DW, weil die Meinungen kritisch wären. "Sie haben schlicht und ergreifend Angst", dass herauskomme, wer die Kritik geäußert hat. "Dann haben die Behörden Handlungsspielräume, um ihnen das Leben noch mehr zu erschweren."

Die Bezahlkarte sei nur zu eingeschränkt nutzbar, habe er von den Asylbewerbern gehört. Sie könne nicht überall genutzt werden, da sie praktisch eine Kreditkarte sei. Wenn Geschäfte Kartenzahlung anbieten, heißt das in Deutschland nicht automatisch, dass auch Zahlungen per Kreditkarte akzeptiert werden. "Wenn die Karte so wäre, dass man sie überall wie eine normale Bankkarte nutzen kann - im Café, beim Friseurversuch -, dann wäre das eine Geschichte, die man durchaus mal versuchen sollte", sagt Lückmann.

Das größere Problem ist, dass es einen guten Grund dafür gibt, warum Asylbewerber Geld ins Ausland schicken. Viele der Menschen, die Lückmann berät, schicken tatsächlich Geld nach Hause - "damit ihre Familien in den Herkunftsländern überleben können".

Aus dem Englischen adaptiert von Uta Steinwehr

Dieser Artikel wurde aktualisiert.