Berliner Mauer im Müll
30. Juli 2016Die Berliner Mauer inmitten übelriechender Müllberge - bis vor kurzem hat man sich das nicht vorstellen können. Doch wenige Tage vor dem 55. Jahrestag des Berliner Mauerbaus machte die DW einen aufsehenerregenden Fund: Sie entdeckte Teile der Berliner Mauer auf der Berliner Müllsortieranlage von Alba, einem der großen Abfallunternehmen Deutschlands. Sie werden dort als Trenn- und Stützelemente für die Zwischenlagerung von Abfall genutzt. Davon war der breiten Öffentlichkeit bisher nichts bekannt.
Die Mauer trennt - auch Abfallberge
Selbst Mauerexperten wie Gerhard Sälter von der Gedenkstätte Berliner Mauer wussten nichts von der Mauer im Müll. Von den mehr als 300 Mauersegmenten auf dem Gelände von Alba "stammt ein Gutteil von der Berliner Mauer", bestätigte Sälter der DW nach einer eingehenden Prüfung auf der Müllsortieranlage. Kriterien für die Echtheit sind unter anderem die Segmenthöhe von 3,60 Meter und der Verwitterungsgrad der Oberkante, auf der die runden Asbestrohre befestigt waren. Die anderen Mauersegmente bei Alba stammen laut Sälter aus anderweitigen Verwendungen. Er verweist darauf, dass die DDR damals Mauersegmente nicht nur für den Bau der Berliner Mauer herstellte, sondern unter anderem auch für die Landwirtschaft. Dort wurden sie - ähnlich wie auf der Müllsortieranlage heute - für die Lagerung von Ernteerträgen und Abfällen genutzt.
Auftrag zum Abbau der Mauer
Wie die Mauerteile auf die Müllkippe kamen, schildert Alba-Geschäftsführer Uwe Küber der DW. Er war damals Augenzeuge. Gemeinsam mit anderen Unternehmen hatte Alba nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 den Auftrag erhalten, die 155 Kilometer lange Berliner Mauer zu demontieren und die abgebauten Mauerelemente zu beseitigen. "Ich war dabei, als wir diese Mauerelemente hier abgeladen haben", bezeugt Küber gegenüber der DW. Sie wurden dann nicht wie an anderen Orten zerkleinert, geschreddert und als Baustoff für den Straßenbau verkauft, sondern auf dem Gelände aufgestellt. Hier dienen sie bis heute als Trenn- und Stützelemente für die Zwischenlagerung zuvor getrennter Wertstoffe wie Plastik oder Eisen.
Albas Müllsortieranlage ist eine der größten und modernsten ihrer Art in Deutschland. Dort werden jährlich mehr als 140.000 Tonnen Müll getrennt und bis zur Weiterverarbeitung zwischengelagert. Der Müll stammt von gut sieben Millionen Menschen aus Berlin und dem Berliner Umland.
Menschen hatten genug von der Mauer
Auch wenn der Mauerexperte Gerhard Sälter nichts von den Mauersegmenten bei Alba wusste, kommt der Fund für ihn nicht völlig unerwartet. Als im Frühsommer des Jahres 1990 mit dem Abbau der Mauer begonnen wurde, hätte die Mauer für die Menschen keinen besonderen Wert gehabt, sagt Sälter. Im Gegenteil: "Ost- und Westberliner, Politiker und die einfache Bevölkerung waren sich in einem Punkt wirklich einig. Dass sie von der Mauer genug hatten und dass sie weg gehört. Deshalb ist es für mich wirklich nicht überraschend, dass sie an solchen Plätzen wie diesem Müllhof gelandet ist", erklärt Sälter.
Nachdem die Berliner Mauer am 9. November 1989 unter dem Jubel zehntausender Menschen geöffnet wurde, waren nachfolgend zunächst nur einzelne Mauerdurchbrüche geschlagen worden, um die Grenze zwischen Ost- und Westberlin durchlässiger zu machen. Erst am 29. Dezember 1989 fasste die DDR-Übergangsregierung von Hans Modrow den Beschluss, die Mauer abzureißen. Damit entsprach sie einer weit verbreiteten Erwartung. Der frühere SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler Willy Brandt formulierte eine Minderheitsmeinung, als er bereits am 10. November 1989 bei einer Rede im Rathaus Schöneberg forderte, dass einige Teile der Berliner Mauer erhalten und unter Denkmalschutz gestellt werden müssten.
"Ich finde die Mauer auf dem Müll sehr passend"
Für viele Menschen in der Welt ist die Berliner Mauer zweierlei: ein Mahnmal für die Opfer des Kalten Krieges und ein Symbol für den Freiheitswillen der Deutschen. Dennoch hat Gerhard Sälter von der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Verwendung von Mauersegmenten inmitten von Abfallbergen nichts auszusetzen. Den Mauerteilen will er keinen besonderen Nimbus zugestehen, weil man damit auch der DDR einen Nimbus einräumen würde. Nach dem Rundgang über die Müllsortieranlage fügt Sälter noch hinzu: "Ich finde das hier überhaupt nicht respektlos. Da hat die Mauer ja nach Meinung vieler Deutschen vor 1989 immer hingehört. Und insofern finde ich die Mauer auf dem Müll sehr passend."
Verkauf nicht ausgeschlossen
Auch Alba-Geschäftsführer Uwe Küber will daran vorerst nichts ändern. Ihm ist bewusst, dass er einen "Schatz" hortet. Schon Krümel von der Berliner Mauer sind weltweit begehrt. Und einzelne Mauersegmente werden inzwischen für weit mehr als 10.000 Euro gehandelt. "Wir wollen die Mauerteile erst einmal weiternutzen und warten noch eine Weile, bis sie noch wertvoller werden", gibt er sich cool und sagt dann augenzwinkernd: "Wenn es dann soweit ist, werden wir sie verkaufen und ein gutes Geschäft machen."