"Berlin East Side Gallery"
8. Januar 2015Als kreative Schnittstelle zwischen spontaner Straßenkunst und urbaner Stadtpolitik sehen die beiden Dokumentarfilmer Karin Kaper und Dirk Szuszies die berühmte "East Side Gallery" - nach dem Touristenmagnet Checkpoint Charly der wohl am meisten fotografierte Ort in Berlin. Sechs Jahre lang haben sie die sichtbaren Veränderungen dieses 1,3 Kilometer langen Mauerstücks mit der Kamera begleitet. Auch ein Stück Berliner Lokalgeschichte: "Jeder Berliner hegt ja sein eigenes profundes Vorurteil zur East Side Gallery", sagt Filmemacher Szuszies.
Kunst im Niemandsland
Der Film zeigt, dass das Areal zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke immer noch ein Niemandsland mit viel unbebauter Fläche geblieben ist. Einheimische meiden diesen unwirtlichen Bereich eher. Das Mauerstück der East Side Gallery war zu DDR-Zeiten Teil der sogenannten Hinterlandmauer, die als "Bollwerk für Republikflüchtlinge" noch vor dem Todestreifen und der eigentlichen Berliner Mauer stand. Zwischen den beiden Mauern befanden sich die Wachtürme, der berüchtigte Todestreifen und der Weg für die patroullierenden DDR-Wachposten.
Als historische Schnittstelle zwischen Ost und West und Mahnmal des Kalten Krieges zieht die East Side Gallery seit 25 Jahren Touristen aus aller Welt an. In den sozialen Netzwerken kursieren Selfies mit den bekannten Graffitis im Hintergrund, und es gibt zahlreiche Videoclips auf Youtube-Plattformen. Postkarten der Straßenkunst gehören längst zum Standardrepertoire der Berliner Touristenläden. Selbst Hochzeitsfotos werden gern vor dieser historischen Kulisse geschossen, immer öfter auch von ausländischen Brautpaaren.
Berliner Bau-Geschichte
Seit der umstrittenen Sanierung 2009 dokumentieren die beiden engagierten Filmemacher Kaper und Szuszies, welchen Umbrüchen dieses Stück Mauer im Laufe der Jahre ausgesetzt war. Damals wurde die "Straßenkunst" in einer großen Aktion von Touristen-Kritzeleien befreit. Aktivisten, Berliner Bürger und Studenten fanden sich damals in ihrem Kampf gegen eine Zerstörung der Gallery zusammen. Inzwischen sind ganze Mauerstücke herausgebrochen. Die Berliner Baupolitik und skrupellose Investoren haben ihre Spuren hinterlassen.
Auch das ist in dem Dokumentarfilm zu sehen, den sie bewusst als unabhängige Filmemacher produziert haben, so betonen Kaper und Szuszies immer wieder. Keiner der lokalpolitischen Initiativen, die sehr unterschiedliche Interessen verfolgen, wollten sie ein Forum geben: "Unterschiedlichste Akteure kommen da zu Wort", erklärt Kaper. Sie haben deshalb auch auf jeglichen Kommentar verzichtet. "Es kann keine allmächtige Erzählerfigur oder den allwissenden Autor geben, der sich anmaßen dürfte, dem Zuschauer die vermeinliche Wahrheit über die East Side Gallery allein aus seiner subjektiven Anschauung heraus zu vermitteln." So könne sich der Zuschauer ein eigenes Bild machen.
1990 fand an dem prominenten Stück Mauer ein legendäres Happening von 118 Künstlern aus 21 Ländern statt, erst danach wurde die damals so genannte East Side Gallery vom Berliner Senat zum Baudenkmal erklärt. Seitdem ist sie den - auch politischen - Wetterlagen, der klirrenden Ostkälte und den Touristenmassen ausgesetzt. Der Zahn der Zeit nagt an dem bröckeligen Beton. Um so wichtiger, das Kultur-Denkmal wenigstens filmisch zu erhalten, sagen die Filmemacher. Der Dokumentarfilm "Berlin East Side Gallery" hatte am Dienstag im Berliner Babylon Welt-Premiere und ist ab diesen Donnerstag im Kino zu sehen.