Belarus: Aktivist Andrej Gniot kämpft gegen Auslieferung
28. August 2024Schon wieder entscheidet ein Gericht in Serbiens Hauptstadt Belgrad über das Schicksal von Andrej Gniot - es ist seine letzte Hoffnung. Seit dem 27. August erörtern die Richter die Berufung des belarussischen Aktivisten gegen den Entscheid der serbischen Justiz, ihn an Belarus auszuliefern. Gniot sitzt seit rund zehn Monaten in Serbien in Haft.
Offiziell haben die belarussischen Behörden gegen ihn Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben. Doch Gniot und seine Anwälte bestehen darauf, dass er aufgrund seiner politischen Aktivitäten gegen Diktator Alexander Lukaschenko verfolgt wird. Er hatte sich mit unterschiedlichen Aktionen den Protesten gegen die gefälschte Präsidentenwahl im Sommer 2020 angeschlossen.
Einer Interpol-Fahndung ins Netz gegangen
Der 41-jährige Andrej Gniot dreht Fernsehwerbung und Musikvideos, er ist Regisseur, Journalist und politischer Aktivist. Seit seiner Flucht aus Belarus lebt er in Thailand. Verhaftet wurde er am 30. Oktober 2023, als er aus Bangkok nach Belgrad kam.
"Das war bereits meine zweite Reise, ich war kurz vorher im August schon zu Dreharbeiten in Serbien gewesen. Festgenommen wurde ich gleich bei der Passkontrolle am Flughafen, dann zur Polizei gebracht und dort darüber informiert, dass Interpol nach mir fahndet, auf Antrag des belarussischen Interpol-Büros", so Gniot im Gespräch mit der DW.
Dabei erfuhr er, dass gegen ihn in Belarus ein Strafverfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung in Höhe von rund 300.000 Euro eröffnet wurde. Der Regisseur betont, der Vorwurf sei politisch motiviert. Nach seiner Festnahme teilte Gniot öffentlich mit, er sei einer der Gründer der belarussischen Freien Sportlervereinigung SOS BY, einer Initiative, die nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2020 gegründet wurde.
Dem Verband war es gelungen, Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen, Belarus die Eishockey-Weltmeisterschaft der Herren 2021 zu entziehen. Er konnte auch erreichen, dass das Nationale Olympische Komitee von Belarus fürs erste nicht weiter finanziert wird. Im Jahr 2022 erklärten die belarussischen Behörden die Vereinigung zu einer "extremistischen Gruppierung".
Haft, Hausarrest und Fußfessel
Unmittelbar nach seiner Festnahme wurde Andrej Gniot in das Belgrader Zentralgefängnis gebracht. Etwa anderthalb Monate nach seiner Festnahme entschied die serbische Justiz, ihn an Belarus auszuliefern. "Mitte Dezember 2023 erhielt ich ein Papier, in dem stand, dass Serbien meine Auslieferung für möglich erachtet und keine Hindernisse dafür sieht", erzählt er. "Das war für mich natürlich ein Schock."
Doch im März 2024 hob ein Berufungsgericht den Auslieferungsentscheid mit der Begründung auf, dass es Verfahrensfehler gegeben habe: Es seien nicht alle Umstände des Falles geklärt worden und Gniot selbst habe keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme erhalten. Der Fall musste erneut vor Gericht angehört werden.
Berufungsverfahren und banges Warten
Am 6. Juni 2024 kam Gniot aus der Haft frei und wurde unter Hausarrest gestellt. Freunde hatten für ihn zuvor eine Wohnung in Belgrad angemietet. "Sie haben mir eine elektronische Fessel angelegt. Ich darf die Wohnung einmal am Tag verlassen, aber nur genau für eine Stunde."
Dann folgten wiederholte Anhörungen - und an deren Ende bestätigte der Oberste Gerichtshof im Juni 2024 den Auslieferungsentscheid. Gniot und seine Verteidiger legten erneut Berufung ein. Sie wird nun seit dem 27. August geprüft.
"Wenn sich das Berufungsgericht nicht auf meine Seite stellt, wird der Justizminister die Auslieferungspapiere unterzeichnen müssen. Serbien wird mich dann in den sicheren Tod schicken", betont Gniot. "In Belarus erwarten mich Gewalt, Folter sowie die Zerstörung meiner physischen und psychischen Gesundheit. Mir steht ein schwerer Kampf bevor, aus dieser Wohnung in mein Zuhause zurückkehren zu können und nicht von einer Diktatur vernichtet zu werden."
Internationale Unterstützung für Andrej Gniot
Bereits im Frühjahr 2024 sperrte die internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol den Zugriff auf die Daten von Andrej Gniot. Im Juli 2024 teilte Interpol der Delegation der Europäischen Union in Serbien mit, dass es keinen Grund dafür gebe, dass Gniot mit einem Haftbefehl auf der internationalen Fahndungsliste stehe.
Im Vorfeld der Gerichtsanhörung in Belgrad sagte Marie Struthers, Direktorin für die Region Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International, dass es "angesichts der anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen in Belarus" und der eindeutigen Risiken für Andrej Gniot wichtig sei, dass die serbischen Behörden "das Auslieferungsverfahren sofort stoppen". Jemand, der an regimekritischen Aktivitäten beteiligt gewesen sei, "sollte unter keinen Umständen der Regierung von Alexander Lukaschenko übergeben werden".
Das Belgrader Zentrum für Menschenrechte ist pessimistisch: Serbien habe bei Auslieferungsverfahren wiederholt die Rechte von Menschen verletzt. "Die bisherige Praxis hat gezeigt, dass Gerichte in ihren Entscheidungen oft ausdrücklich erklären, dass sie nicht darüber entscheiden, ob einer Person bei Abschiebung in ihr Heimatland Folter drohe", sagt Petar Vidosavljevic vom Menschenrechtszentrum im DW-Gespräch. "Das fällt aus Sicht der Richter entweder in die Zuständigkeit der Asylbehörde oder in die Zuständigkeit des Justizministeriums, denn der Justizminister kann die Auslieferung stoppen, wenn es um politische Straftaten geht."
Unterdessen gab es in rund 20 Ländern weltweit Kundgebungen für Andrej Gniot. Hundert Kulturschaffende haben einen offenen Brief zu seiner Unterstützung unterzeichnet, den die Belarussische Unabhängige Filmakademie (BIFA) veröffentlicht hat - darunter die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die Präsidentin der Europäischen Filmakademie Juliette Binoche, die Filmregisseure Wim Wenders und Yorgos Lanthimos, Theatermacher Kirill Serebrennikow und die Schauspielerinnen Sandra Hüller und Margarethe von Trotta.
Mitarbeit: Sanja Kljajic, Belgrad
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk