Beirut-Explosion: Regierungschef angeklagt
10. Dezember 2020Im August erschütterte eine gewaltige Explosion im Hafen von Beirut den Libanon. Mehr als 190 Menschen starben, über 6000 wurden verletzt. Noch immer gibt es keine Gewissheit, wie es dazu kommen konnte. Jetzt hat ein libanesischer Ermittlungsrichter Anklage gegen den amtierenden Regierungschef Hassan Diab und drei Ex-Minister erhoben. Ihnen werde Fahrlässigkeit und Mitschuld an der großen Zahl der Opfer vorgeworfen, hieß es aus Justizkreisen in der Hauptstadt.
Die vier Beschuldigten sollen nächste Woche zu den Vorwürfen befragt werden. Danach fällt die Entscheidung, ob sie sich vor Gericht verantworten müssen. Diab zeigte sich in einer ersten Reaktion überrascht.
Mehr als 6000 Verletzte nach Explosion
Die Detonation hatte große Teile des Hafens und der umliegenden Wohngebiete stark zerstört. Ausgelöst wurde sie durch große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die über Jahre ungesichert im Hafen gelagert worden waren.
Die Regierung steht unter dem dringenden Verdacht, davon gewusst, aber nichts unternommen zu haben. Zudem klagen Kritiker sowie Angehörige der Opfer, die Ermittlungen seien bisher weitestgehend ergebnislos geblieben. Das Büro des Regierungschefs teilte in einer kurzen Erklärung mit, Diab habe ein "reines Gewissen". Er sei überzeugt, dass seine Hände sauber seien und er verantwortungsvoll gehandelt habe. Diab hatte erst sieben Monate vor der Explosion ein Kabinett bilden können.
Neben dem Premier wurde die Anklage auch gegen Ex-Finanzminister Ali Hassan Chalil und zwei ehemalige Minister für Öffentliche Arbeiten erhoben. Gegen den schiitischen Politiker Chalil hatten die USA im September Sanktionen erlassen. Sie werfen ihm vor, die eng mit dem Iran verbundene schiitische Hisbollah-Organisation zu unterstützen.
Corona-Pandemie verschärft die Lage
Der Ministerpräsident und seine Regierung hatten kurz nach der Explosion ihren Rücktritt erklärt und sind nur noch geschäftsführend im Amt. Dem mit der Regierungsbildung beauftragten Politiker Saad Hariri ist es bislang wegen interner Machtkämpfe zwischen den führenden Blöcken nicht gelungen, ein neues Kabinett zu bilden.
Der Libanon erlebt seit Monaten eine der schwersten politischen und wirtschaftlichen Krisen seiner Geschichte und braucht dringend ausländische Hilfe. Die Corona-Pandemie und die Explosion haben die Lage weiter verschärft. Große Teile der Bevölkerung sind in Armut abgerutscht.
Weil dem Land die Devisenvorräte ausgehen, will die Regierung Subventionen für Importgüter kürzen. Das libanesische Pfund hat in den vergangenen Monaten gegenüber dem US-Dollar mehr als 80 Prozent seines Wertes verloren. Die Inflation liegt nach Angaben des libanesischen Statistikamtes bei mehr als 130 Prozent. Beobachter warnen vor sozialen Unruhen, sollten Subventionen gekürzt werden.
Geldgeber verlangen Reformen
Deutschland, Frankreich und andere europäische Staaten sind bereit, dem Libanon in der Krise zu helfen, verlangen aber als Bedingung weitgehende politische Reformen. Dazu zählt nicht zuletzt ein härteres Vorgehen gegen die weit verbreitete Korruption. Kritiker werfen der politischen Elite vor, sie habe das Land ausgebeutet und klammere sich an die Macht. Vor mehr als einem Jahr war eine Welle von Anti-Regierungsprotesten im Libanon ausgebrochen.
nob/rb (dpa, ap)