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Begegnungen: Juli Zeh in Bosnien

Cornelia Rabitz2. September 2006

Wiederholt ist die Schriftstellerin Juli Zeh nach Bosnien gereist. Die Erfahrungen und Beobachtungen auf diesen Reisen spiegeln sich in mehreren ihrer Werke.

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Die Autorin und Juristin Juli ZehBild: PA/dpa

Als Juli Zeh zum ersten Mal nach Bosnien aufbrechen will, hat sie bei den Reisevorbereitungen das Gefühl, dass es sich offenkundig um ein unzugängliches, ein geradezu verrufenes Land handelt.

“Als ich angefangen habe darüber nachzudenken, konkret hinzufahren, habe ich mich vor allem gefragt, ob es das Land überhaupt noch gibt."

Es gab diesen selbständigen Staat Bosnien seit 1992. Freilich war er, sechs Jahre nach dem Balkankrieg, längst aus den Schlagzeilen der Weltpresse verschwunden. Juli Zeh ist als Jugendliche mit den Nachrichten aus dem fernen Kriegsgebiet aufgewachsen. Der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien, die Kämpfe dort haben sie politisiert, sagt sie.

Mit Hund und Rucksack

Die aus dem Krieg hervorgegangenen Staaten bleiben zunächst abstrakt. Eine Art leere Fläche, die Juli Zeh später, als sie sich entschließt hinzufahren, mit eigenen Bildern füllen muss. Und sie muss das Gefühl überwinden, dass das, was sie da vorhat, etwas ziemlich Gefährliches ist. Sie fliegt nach Zagreb, nimmt von dort den Bus. Juli Zeh reist in Begleitung ihres Hundes Othello.

"Ich hatte immer, vielleicht dadurch, dass ich mit Hund und Rucksack eine etwas seltsame Erscheinung war, sofort jemanden, der mich fragte: 'Was machst du hier?', und ich habe dann immer gesagt 'ich bin Tourist', was für Heiterkeitsausbrüche gesorgt hat, weil es im Jahr 2001 überhaupt nicht üblich war, dass man als Tourist dorthin fährt."

Für viele Bosnier ist Deutschland die zweite Heimat

Juli Zeh gibt grundsätzlich keine Interviews zu Hause. Wir treffen uns daher im Frühstücksraum eines Leipziger Hotels, in dem viele Tische schon für den nächsten Morgen gedeckt sind. Ihren Hund Othello hat sie nicht dabei. Eine kühle, aseptische Atmosphäre umgibt uns. Bosnien ist hier sehr weit weg. Und dennoch merkt man ihr an, wie gerne sie von ihren Begegnungen im Land, in dem der Krieg so viele Narben hinterlassen hat, spricht. Überrascht hat sie dies:

"Manche waren erst zurückgekehrt aus Deutschland nach Bosnien und das gab besonders skurrile Sorten von Kontakt - weil das sind Menschen, die sich so sehr mit Deutschland als einer Zweitheimat identifizieren, dass ich dann oft das Gefühl hatte, Deutsche im Ausland zu treffen - obwohl sie natürlich Bosnier im eigenen Land sind und ich war die Ausländerin! Aber das drehte sich wirklich um sich selber und spiegelt ganz gut die dortige Problemlage wider, weil diese Leute fühlen sich oft zur Hälfte inzwischen als Deutsche, nachdem sie sieben, acht Jahre in Deutschland gewohnt und gearbeitet haben."

"Pathologisch schlechtes Gedächtnis"

Mit Rucksack und Hund ist sie in Tuzla und in Mostar, in Sarajewo und in Srebrenica, fährt mit einem Leihwagen über holperige, staubige Straßen und schreibt und schreibt.

"Weil ich häufig, wenn ich unter starkem Eindruck stehe von etwas, das Bedürfnis habe, es sofort zu notieren. Das tue ich dann wirklich bei jeder Gelegenheit, weil ich ein sehr schlechtes Gedächtnis habe, also fast schon pathologisch schlecht, und muss Dinge sofort aufschreiben - und mach das wirklich gehend, fahrend. Als ich mit dem Auto unterwegs war, bin ich sehr, sehr häufig - auch auf kurzen Fahrstrecken - alle zehn Minuten stehen geblieben und habe mir aufgeschrieben, was mir gerade durch den Kopf ging. Und abends dann noch einmal auf den Hotelzimmern, mit intensiverem Nachdenken, Resümees über die Tage. Ich habe dann da wirklich in allen Varianten notiert und geschrieben und skizziert."

In ihrem Buch "Die Stille ist ein Geräusch“ hat sie Eindrücke aus mehreren Reisen verwoben, destilliert. Es ist ein sehr persönliches Buch geworden.

"Ich habe wirklich sehr lange überlegt, ob ich es überhaupt veröffentlichen soll. Weil ich so ein diffuses Gefühl hatte, das sei moralisch vielleicht nicht einwandfrei, was ich da mache. Ich hatte so die Sorge, es könnten sich Menschen vielleicht beleidigt fühlen. Weil ich einfach dahin komme, ich habe keine Ahnung, ich bin kein Balkanexperte oder irgendwas, sondern guck’s mir einfach an und schreibe einfach nieder, was ich erfahren habe. Ohne den Anspruch zu erheben, irgendwelche Wahrheiten zu verkünden - aus sehr subjektiver Sicht. Und natürlich dann auch oft mit nicht nur guten, sondern auch negativen Gefühlen. Da kann man sich natürlich beleidigt fühlen. Es ist aber, Gott sei Dank, kaum passiert. Und ich habe auf dieses Buch hin Leserzuschriften bekommen wie auf kein anderes - es war überwältigend."

Balkan und Europa

Bis heute treibt sie die Frage um, wie Europa umgehen soll mit Menschen, die auf eine Zukunft hoffen, obwohl sie sich ausgegrenzt fühlen, heraus gefallen aus einem europäischen Zusammenhalt, entwurzelt und abgestempelt, weil Krieg war und Zerstörung.

"Was man hier total vergisst: Leider sind das Länder, die nicht zum Kernbereich Europas gehören, wie wir ihn nach dem Krieg definiert haben. Sich an der Peripherie fühlen und eigentlich gern zu Europa gehören möchten, aber immer den Eindruck haben, man lässt sie nicht. Und Bosnien ist während des Krieges komplett raus gefallen aus dieser europäischen Idee, weil alle Staaten sofort die Haltung eingenommen haben: typisch Balkan. Was mir vorher gar nicht klar war - wie wichtig die europäische Idee für Menschen sein kann, für die sie nicht selbstverständlich ist. Wir schimpfen nur über Europa, aber für andere ist das tatsächlich etwas ganz Wertvolles."

Juli Zehs Buch über ihre Fahrten nach Bosnien wurde von vielen dort so empfunden, als reiche jemand über einen tiefen Graben die Hand.

Schriftstellerin ist Juli Zeh erst seit wenigen Jahren - aber geschrieben hat sie immer schon. Lange vor Bosnien und vor ihrem ersten Roman "Adler und Engel“, der übrigens auch vor dem Hintergrund des Balkankonflikts spielt.

Der juristische Blick ist hilfreich

Seit einigen Jahren kann sie vom Schreiben leben - ein luxuriöser Zustand, wie sie empfindet, ein großes Glück, das Freiheit erlaubt und Zeit. Juli Zeh bleibt dennoch vorsichtig. Wer weiß, wie lange dieser Glückszustand anhält. So beschäftigt sie sich auch immer mit ihrem anderen Beruf, denkt nach über staatsrechtliche und rechtsphilosophische Fragen, schreibt über Politik. Der kühle, analytische, juristische Blick hilft ihr auch über manche Klippen ihrer schriftstellerischen Arbeit hinweg.

Juli Zeh ist mittlerweile eine bekannte, gefeierte und mit vielen Preisen überhäufte Schriftstellerin. Sie lehrt am Literaturinstitut Leipzig. Sie urteilt als Jurorin über andere, noch jüngere Autoren, sie schreibt an einem neuen Buch und will nun vieles anders machen. Ihre ersten beiden Romane - nach "Adler und Engel“ folgte "Spieltrieb“ - sind in einem quasi anarchischen Prozess entstanden: "Das Schreiben selber war ein absolut chaotischer Akt, und so war das bei mir immer."

Schreiben - eine krisenhafte Tätigkeit

Jetzt versucht sie, für ihr neues Werk eine richtige Architektur zu finden, weg von Chaos und Intuition, hin zum Bau komplexer Strukturen - eine Qual, wie sie sagt. Schreiben ist für Juli Zeh eine krisenhafte Tätigkeit. Selten ist sie zufrieden mit dem was sie zu Papier bringt.

"Ich bin so streng mit mir, dass keine Kritik der Welt mir so miese Sachen sagen könnte, wie ich sie mir selbst sage. ... Ich mache es mir schwer. Das ist leider so. ... Das hat ein bisschen den Vorteil, dass es eine Art Enttäuschungsprophylaxe ist."

Die verabredete Stunde ist um. Juli Zeh muss jetzt weg. Draußen regnet es. Ihr Fahrrad steht vor der Tür. An einem Kino in der Leipziger Innenstadt warten Freunde. Der "Da Vinci Code“ steht auf dem Programm. Eigentlich, sagt sie, interessiert mich der Film überhaupt nicht. Und radelt im strömenden Regen davon.