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Kevin Lick: "Ich habe immer auf Deutschlands Hilfe gehofft"

Sergey Satanovskiy
6. August 2024

Der Deutschrusse Kevin Lick wurde als 17-Jähriger in Russland inhaftiert. Nun kam er mit anderen politischen Gefangenen durch einen Austausch zwischen Moskau und dem Westen frei. Mit der DW sprach er über sein Schicksal.

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Portrait von Kevin Lick
Kevin Lick beim Treffen mit Journalisten am 2. August in BonnBild: Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

Der heute 19-jährige Kevin Lick ist russischer und deutscher Staatsbürger. Er gehört zu den 16 politischen Gefangenen, die am 1. August im größten Austausch seit dem Kalten Krieg von Moskau und Minsk freigelassen wurden.

Lick ist die jüngste Person überhaupt, die in Russland jemals wegen Hochverrats verurteilt wurde. Er wurde im Jahr 2022 als 17-jähriger Schüler im südrussischen Maikop festgenommen und im Jahr 2023 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Laut Gerichtsurteil hat er "einen ausländischen Staat - Deutschland - bei Aktivitäten unterstützt, die sich gegen die Sicherheit der Russischen Föderation richten".

Die Ermittler erklärten, Lick habe Fotos von Militäreinheiten in Maikop gemacht und diese an einen "Vertreter eines ausländischen Staates" geschickt. Das Verhalten des jungen Mannes wurde damit begründet, dass er "mit dem politischen Kurs" der Russischen Föderation und mit der Durchführung der "speziellen Militäroperation", wie in Russland der Krieg gegen die Ukraine genannt wird, nicht einverstanden gewesen sei.

Am 2. August nahm Lick an dem Treffen der befreiten russischen politischen Gefangenen mit Journalisten in Bonn teil. Im Gespräch mit der DW spricht er über die Zeit im Gefängnis und seine persönlichen Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz sowie bekannten russischen Oppositionellen.

DW: Herr Lick, wie fühlen Sie sich in Deutschland in Freiheit?

Kevin Lick: Es kommt einem vor, als wäre der Körper in Freiheit, aber die Seele noch immer im Gefängnis. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit, mich umzuziehen oder Dokumente einzupacken (Lick erschien vor den Journalisten in Gefängniskleidung - Anm. d. Red.). Mir wurde auch nicht die Möglichkeit gegeben, Briefe mitzunehmen, auf die ich noch nicht geantwortet habe. Alles ging so schnell.

Ich hätte nicht gedacht, dass es einen Austausch geben würde. Am Samstagabend (27.07.) verließ ich den Speisesaal. Ein Wärter kam auf mich zu und sagte mir, ich solle Zahnpasta und eine Zahnbürste mitnehmen - und das war's. An diesem Tag war ich dann sechs Stunden lang im Hauptgebäude eingesperrt.

Zu dem Zeitpunkt befand ich mich im Gefängnis der Stadt Welsk in der Region Archangelsk. Dort hatte ich genau einen Monat verbracht. Später wurde ich von einer Spezialeinheit abgeholt (...) und nach Archangelsk gefahren. Ich wurde von drei Mitarbeitern des Föderalen Sicherheitsdienstes FSB begleitet. Weiter ging es in einem Zivilflugzeug nach Moskau zum Flughafen Scheremetjewo. Dort kam ich dann in einen Konvoi des FSB und wurde ins Lefortowo-Gefängnis gebracht, wo ich in eine Einzelzelle gesteckt wurde. Mir wurde nichts gesagt. Es hieß nur, niemand wisse, dass ich in Lefortowo sei.

Mauer mit Stacheldraht des Lefortowo-Gefängnisses in Moskau
Abgeschirmt: Hinter der Mauer mit Stacheldraht befindet sich das Lefortowo-Gefängnisses in MoskauBild: Vlad Karkov/IMAGO/ZUMA Wire

All diese Tage war ich verwirrt, ich wusste nicht, was geschah. (...) Wir (die für den Austausch bestimmten Gefangenen - Anm. d. Red.) wurden aus verschiedenen Gefängnissen im europäischen Teil Russlands abgeholt und in Einzelzellen gesteckt. Wir wussten nicht voneinander, dass wir alle in Lefortowo waren. Erst beim Bus, nachdem sie mich aus der Zelle geholt hatten, habe ich gesehen, dass Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa dabei waren.

Wir wurden angetrieben und man schrie uns an. Wir wurden von 15 bis 16 FSB-Männern in Sturmhauben empfangen. Einem Gefangenen wurden sogar die Hände verdreht, weil er sich im Bus umgesehen hatte. Ein FSB-Mann schrie mich an: "Hast Du etwa Freiheit gespürt? Wir schicken Dich gleich wieder zurück!"

Sie wussten zu dem Zeitpunkt nicht, was in den nächsten Stunden passieren würde?

Natürlich habe ich auf eine solche Möglichkeit gehofft, aber mir war auch klar, dass es sehr naiv war, darauf zu hoffen. Die Chance für einen Austausch liegt bei nahezu Null, und es ist auch ziemlich schwierig, auf die Liste für einen Austausch zu kommen.

Hatten Sie denn während Ihrer Zeit im Gefängnis noch Hoffnung?

Ich habe immer sehr gehofft, dass (die deutschen Behörden - Anm. d. Red.) helfen würden. Als ich in Bonn aus dem Flugzeug stieg, empfing uns Bundeskanzler Scholz. Ich sagte ihm: "Ich bin Ihnen sehr dankbar und bin mir des humanitären Aspekts bewusst." Die ganzen anderthalb Jahre, die seit meiner Inhaftierung im Alter von 17 Jahren vergangen sind, habe ich gehofft, dass mir irgendwie geholfen wird.

"Ich würde sehr gerne nach Russland zurückkehren"

Sie haben einen russischen Ausweis in Ihrer Tasche…

Neben der russischen habe ich auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber alle meine Reisepässe - sowohl den deutschen als auch den russischen - hat man mir weggenommen und den Unterlagen des Strafverfahrens beigefügt. Man hat mir nur einen russischen Personalausweis gegeben, mit dem ich nach Deutschland geflogen bin. Ich denke, dass ich in naher Zukunft nicht nach Russland zurückkehren kann, obwohl ich es sehr gerne würde. Aber ich denke, dass wir in Russland noch eine schöne Zukunft erleben werden.

Was war Ihr erster Wunsch, als Sie frei waren?

Mich mit meiner Mutter zu treffen. Sie hat sich große Sorgen um mich gemacht, und ich vermisse sie sehr. Persönlich habe ich sie zuletzt im Mai gesehen (Licks Mutter lebt in Russland - Anm. d. Red.).

Bundeskanzler Olaf Scholz steht auf dem Rollfeld des Flughafens Köln/Bonn und im Hintergrund ist die Maschine zu sehen, mit der die freigelassenen politischen Gefangenen aus Russland angekommen sind.
Bundeskanzler Olaf Scholz wartete am Flughafen Köln/Bonn auf die freigelassenen politischen Gefangenen aus RusslandBild: Marvin Ibo Güngör/Bundesregierung/Getty Images

Als Ihr Flugzeug am Abend des 1. August am Flughafen Köln/Bonn landete, trafen Sie auf Olaf Scholz. Was haben Sie da empfunden?

Um ehrlich zu sein, habe ich mich gefreut, ein paar Worte mit Olaf Scholz zu wechseln, aber eine noch größere Freude war es, so starke Menschen wie Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin und Andrej Piwowarow kennenzulernen.

Worüber hat der Kanzler mit Ihnen gesprochen?

Wir haben nur ein paar Worte gewechselt. Er hat uns in der Bundesrepublik Deutschland herzlich begrüßt und uns die Hand geschüttelt. Er hat gesagt, dass es eine schwierige Entscheidung gewesen sei, den "Tiergarten-Mörder" (FSB-Offizier Wadim Krassikow - Anm. d. Red.) bei dem Gefangenenaustausch freizulassen. Aber dafür sind sehr viele Menschen freigekommen. Doch das sind nicht alle politischen Gefangenen. Es gibt in Russland Tausende politische Gefangene, die jetzt noch immer hinter Gittern sitzen.

Das Gespräch führte Sergey Satanovskiy