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Warum Exil-Russen ihre Personalausweise verlieren

Alexey Strelnikov | Sergey Dik
21. Juli 2024

Gegner von Russlands Krieg gegen die Ukraine, die von den russischen Behörden verfolgt werden, haben plötzlich keine gültigen Ausweise mehr. Menschenrechtler fürchten Repressionen. Die DW hat mit Betroffenen gesprochen.

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Ein russischer Personalausweis in einer Hand
Ohne Reisepass oder Personalausweis geht in Russland fast nichtsBild: AFP/Getty Images

Russischen Aktivisten, die den Angriffskrieg ihres Landes gegen die Ukraine verurteilen, wurden die Personalausweise annulliert. Die Ausweise werden innerhalb Russlands gebraucht, während für den Grenzübertritt ins Ausland ein Reisepass erforderlich ist. Ausgenommen sind die Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Nach Beginn des Ukraine-Krieges und der anschließenden Mobilmachung in Russland sind viele Russen nur mit einem Personalausweis in diese Länder geflohen. Nach Berechnungen des russischen Portals "The Bell" haben etwa über 110.000 Russen allein in Armenien Zuflucht gefunden.  

Die Mitbegründer der Organisation "Omsk Civil Association", Daniil Tschebykin und Richard King, waren die ersten, die meldeten, ihre Ausweise seien annulliert worden. Die "Omsk Civil Association" prangert Probleme in ihrer Stadt an, protestiert gegen den Ukraine-Krieg und befasst sich mit Korruptionsbekämpfung. Die Organisation wird von den russischen Behörden als "extremistisch" eingestuft. Beide Aktivisten hatten Russland nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine verlassen. Nach einer Weile hatten die Männer aus Omsk keinen Zugang mehr zu ihren russischen Banking-Apps und SIM-Karten. Später konnten sie über die Website des russischen Innenministeriums in Erfahrung bringen, dass ihre Personalausweise von den Behörden für ungültig erklärt worden waren. Und dies ist kein Einzelfall.

Weder Personalausweis noch Reisepass

Tschebykin und King sagen im Gespräch mit der DW, dass sie ohne Personalausweise auch ihrem Anwalt keine Vollmachten erteilen könnten. Der Anwalt vertritt ihre Interessen vor einem russischen Gericht, wo die Aktivisten versuchen, die von den russischen Behörden vorgenommene Einstufung der "Omsk Civil Association" als "extremistisch" und als "ausländischen Agenten" anzufechten. Tschebykin fügt hinzu, dass er jetzt weder über einen gültigen Personalausweis noch über einen Reisepass verfüge.

Die Probleme mit ihren Ausweisen seien aufgetreten, nachdem sie sich an die russische Botschaft in Armenien gewandt hätten, um Reisepässe zu beantragen. Dabei sei Tschebykin darüber informiert worden, dass sein Personalausweis "durch einen neuen ersetzt" worden sei. Der Mitarbeiter der Botschaft habe dem Aktivisten erklärt, er müsse "das Problem in seiner Heimat lösen", also in Russland.

Schild am Tor des russischen Generalkonsulats in Bonn
Russische Oppositionelle berichten über Probleme mit russischen Auslandsvertretungen Bild: Marc John/IMAGO

Auch die Aktivistin Olesja Kriwzowa aus Archangelsk wollte einen Reisepass beantragen, woraufhin auch ihr Personalausweis für ungültig erklärt wurde. In Russland steht sie auf der Liste der "Terroristen und Extremisten", wegen des Vorwurfs, die "Streitkräfte der Russischen Föderation diskreditiert" und "Terrorismus rechtfertigt" zu haben. Die junge Frau wurde 2023 verhaftet, sie konnte jedoch aus dem Hausarrest nach Norwegen fliehen, wo sie heute als Journalistin tätig ist.

Kriwzowa sagte der DW, dass sie zufällig von der Annullierung ihres Personalausweises erfahren habe. Sie wollte den Status des Dokuments überprüfen, nachdem sie von dem Problem ihrer Omsker Kollegen gelesen hatte. "Vor vier Monaten war noch alles in Ordnung. Damals hatte ich das russische Konsulat aufgesucht und ein Mitarbeiter scannte meinen Personalausweis ein. Die Aktivistin vermutet, dass die Annullierung auf ihre ungewöhnliche Unterschrift im Dokument zurückzuführen sein könnte. "Als ich ihn erhielt, unterschrieb ich ihn nicht, sondern setzte unter das Dokument das Wort Freiheit und das Pazifismus-Symbol", erzählt sie. Dies könne aber kein Grund für die Annullierung des Ausweises sein, sagen ihre Anwälte. Um den Grund herauszufinden, müsste man gegen die Annullierung des Ausweises Klage in Russland einreichen.

Gründe für eine Annullierung von Dokumenten

Die russischen Behörden führen einen formellen Grund für die Annullierung von Ausweisen an, zum Beispiel, "dass im Dokument falsche Angaben gemacht wurden", so der Anwalt des russischen Menschenrechtsprojekts "Pervyi Otdel" (Erste Abteilung), Maxim Olenitschew. Die Gemeinschaft von Anwälten und Journalisten verteidigt Bürger, denen in Russland zu Unrecht Verbrechen gegen den Staat vorgeworfen werden. Olenitschew weist darauf hin, dass es ohne einen gültigen russischen Ausweis unmöglich sei, in Russland irgendwelche Transaktionen durchzuführen, einschließlich Banküberweisungen oder Immobilienverkäufen. Ohne einen Personalausweis können die russischen Bürger auch keinen Reisepass erhalten, der für eine Weiterreise in andere Länder und für den Aufenthalt dort erforderlich ist. 

Der ehemalige Berater der russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in Genf, Boris Bondarjew, der gegen den Ukraine-Krieg eintritt, glaubt, dass die Annullierung russischer Ausweise derzeit noch keinen systematischen Charakter angenommen habe. Er macht aber darauf aufmerksam, dass vor allem regionale Behörden in der Russischen Föderation diese Methode der Repression anwenden. Der einstige Diplomat schließt nicht aus, dass sie in Zukunft auch auf andere Oppositionelle ausgeweitet wird.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk