Beerdigung zweiter Klasse für TTIP
11. November 2016Es hat Massendemonstrationen in mehreren Städten Europas ausgelöst und eine eigene Protestbewegung provoziert: Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union. Und jetzt stirbt es schon zwei Tage nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten einen schnellen und unspektakulären Tod. Nach 14 Gesprächsrunden in gut zwei Jahren wird es keine weiteren Verhandlungen geben. Mit knappen Worten erklärte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Freitag, "dass das hier nicht die größte Priorität für die neue Regierung sein dürfte".
Schon am Tag nach dem politischen Erdbeben in Washington hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eingeräumt, dass es mit den Handelsgesprächen "in den nächsten zwei Jahren" wohl nichts mehr werde. Längst ist in Brüssel klar: TTIP ist zum Symbol einer bürgerfernen "Elitenpolitik" geworden, die Europa-weit massiven Widerstand hervorruft. Das Abkommen gilt als nicht mehr durchsetzbar. Die Wahl von Trump mit seiner pauschalen Absage an sämtliche Handelsabkommen versetzt ihm nur den Todesstoß. Trump hat für viele Linke, Attac und andere Protestbewegungen die Arbeit erledigt.
Wackelkandidat CETA
Einen Vorgeschmack darauf hatte schon die mühsame Rettung des EU-Kanada-Abkommens vor zwei Wochen gegeben. Dabei ging es vielen Gegnern weniger um die kaum bekannten Details der Vereinbarung, sondern ums Prinzip: "TTIP und CETA, das ist alles dasselbe", hatten Demonstranten in der belgischen Region Wallonie skandiert, deren Parlament den Vertrag mit Kanada in letzter Minute fast zu Fall gebracht hätte.
Viele Bürger lehnen weitere Schritte hin zu einem offenen Welthandel schon lange ab, weil sie sich davon überfahren fühlen und ihre Interessen geschädigt sehen. Wie in den USA wird auch in Europa TTIP als Jobkiller betrachtet. Es fiel dem wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette quasi exemplarisch zu, sich zum Fürsprecher der kleinen Landwirte und der schwachen Industriestandorte seiner Region zu machen. Erst nach weiteren Zusicherungen für die umfassende Einhaltung europäischer Sozial- und Umweltnormen lenkte er ein. Nun könnte aber ein mögliches Referendum in den Niederlanden das nächste Hindernis sein. Auch die Zukunft von CETA bleibt ungewiss.
TTIP in der Sackgasse
Die Gespräche über TTIP sind längst festgefahren: Bei der jüngsten Runde im Juli gab es noch große Differenzen beim Marktzugang für Dienstleistungen, bei Beschaffungswesen der US-Regierung und beim sogenannten Investitionsschutz. Hinter letzteren verbergen sich insbesondere die heißumstrittenen Schiedsgerichte, wo die USA wenig Kompromissbereitschaft zeigen. Es war eine Illusion zu glauben, die EU würde für eine solche parallele Gerichtsbarkeit die Zustimmung der Bürger und Parlamente in Europa bekommen.
Auch bei der wichtigen Frage, ob europäische Unternehmen an staatlichen Ausschreibungen von US- Regierungsstellen teilnehmen dürften, gibt es keinen Fortschritt. Sie sollen weiter ausgesperrt bleiben. Auch die jüngsten Verhandlungsergebnisse enthalten weiter eine Unwucht: Die USA verlangen in den Augen vieler Europäer mehr Marktzugang und Konzessionen, als sie selbst bereit sind, der EU einzuräumen.
Erreichtes sichern
Die Frage ist jetzt, was mit dem erreichten Zwischenstand geschieht: Die EU-Kommission versucht, wenigstens die technischen Fortschritte festzuhalten, die etwa bei der Angleichung von Regulierungen schon für einzelne Industriebereiche erreicht worden sind. Das gilt auch für gewisse Ergebnisse beim Umwelt- oder Arbeitsschutz. Sollte TTIP irgendwann einmal wieder zum Leben erweckt werden, will die EU nicht bei Null anfangen, sondern zumindest in den komplexen technischen Fragen schon auf dem Erreichten aufbauen. Gut zwei Jahre schwieriger Gespräche sollen nicht ganz vergeblich gewesen sein.
Sollte sich die neue US-Regierung wie angekündigt vom pazifischen Handelsabkommen TPP abwenden, sieht die EU darin eine neue Chance für sich: Sie plant mehr Einzelverträge mit kleineren asiatischen Partnern, etwa mit Vietnam, wo die Verhandlungen schon abgeschlossen sind. Für solche Abkommen dürfte auch der öffentliche Widerstand geringer sein. Und es eröffneten sich alternative Chancen für die europäische Wirtschaft, die einer Abkehr der USA vom freien Welthandel mit Unruhe entgegensieht.