Baustelle Griechenland
22. Januar 2015Die Armut in Athen - man sieht sie erst auf den zweiten Blick: Den Tavernenbesitzer, der eine Spur zu verzweifelt versucht, mich in sein Lokal zu locken, die Schmuckverkäuferin, die mich zum Geldautomaten begleiten will, als ich sage, dass ich nicht genug Bargeld dabei habe oder die jungen Leute, die früh um sechs Uhr in der Altstadt mit ihrem Hab und Gut unterwegs sind, wenn es noch dunkel ist und niemand sie sehen kann. Zehntausende leben mittlerweile auf der Straße, darunter auch viele Familien. Sie mussten ihre Wohnungen verlassen, weil sie den Kredit, mit dem sie ihr Zuhause gekauft haben, nicht mehr bedienen können.
Syriza will das Land radikal umbauen
In den aktuellen Umfragen vor der griechischen Parlamentswahl am 25. Januar liegt die linke Syriza-Partei vorn. Ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist groß, denn viele Griechen haben genug vom jahrelangen Sparen. Theodorus Paraskevopoulos hat Syriza mitgegründet und ist heute Wirtschaftsberater von Parteichef Alexis Tsipras. Er versteht die Wut seiner Landsleute: "Den Leuten wird Einkommen genommen - ohne eine Aussicht auf bessere Zeiten. Man kann mit einem strengen Austeritätsprogramm ein Land nicht aus der Krise ziehen, das wird Ihnen jede ökonomische Schule sagen!
Der Ökonom gibt sich siegesbewusst. Es werde einen radikalen Umbau in Griechenland geben, so sein erklärtes Ziel. "Wir brauchen eine Atempause, die Schulden können sowieso nicht bedient werden, einfach weil sie zu hoch sind." Mittlerweile ist liegt der Schuldenberg bei über 180 % der jährlichen Wirtschaftsleistung. Paraskevopoulos fordert stattdessen, wie er es nennt, "ein Schnellprogramm zur Wiederbelebung der Wirtschaft". Der Mindestlohn soll von jetzt 560 auf mindestens 700 Euro angehoben, Kleinunternehmern Zahlungsaufschub gewährt und Banken verstaatlicht werden.
Von vielen Unternehmern kommt Kritik
Doch wie realistisch sind die Versprechungen? Das Wachstumsprogramm von Syriza soll vor allem mit höheren Steuern finanziert werden. Viele griechische Unternehmer sehen die Pläne der Sozialisten kritisch. Wie der Druckereibesitzer Kostantinos Diplaris. Vor fast fünfzig Jahren wurde die Firma von seinem Vater gegründet, er übernahm das Familienunternehmen 1998. Seitdem hat er schon so einiges miterlebt. Kurz vor der Wirtschaftskrise hat er in eine neue Produktion investiert und dann brach die Nachfrage ein. Die Druckerei stellt Verpackungen zum Beispiel für Bäckereien, Imbisse und Restaurants her.
Früher hätten die Kunden aufwändige und personalisierte Designs bestellt - jetzt ordern sie nur noch die billigsten Produkte. Noch musste er niemanden seiner 50 Mitarbeiter entlassen, aber Steuererhöhungen kann der Firmenchef im Moment am wenigsten gebrauchen. "Was wir wollen, ist vor allem Stabilität. Die Unternehmen habe nach sechs Jahren Rezession ihr Limit erreicht. Immer und immer wieder wurden die Steuern erhöht. Aber was wir brauchen, ist Liquidität."
Kaum Produktion im eigenen Land
Und was dringend wieder aufgebaut werden muss, ist die Produktion im eigenen Land. Nur so kann echtes Wirtschaftswachstum entstehen. Typisch für die Entwicklung vieler griechischer Unternehmen ist zum Beispiel die von Petros Petropoulos. Mehr als einhundert Jahre gibt es die Familienfirma in Athen bereits. Der Firmensitz liegt etwas außerhalb der Stadt - ein riesiges Gelände von über 16.000 qm. Aber hergestellt wird in den Hallen schon lange nichts mehr. Stattdessen überall ausländischer Marken wie die schwedischen LKW von Scania oder Autos von Isuzu.
Früher wurden hier Motoren, Traktoren und Stromgeneratoren gefertigt - doch nach und nach verschwand die Produktion. Der Konkurrenz aus dem Ausland konnten die Griechen nicht standhalten. Heute werden alle Maschinen aus Europa oder Asien importiert. Petropoulos übernimmt lediglich noch kleinere Anpassungen und bietet einen Reparaturservice an. Der griechische Wirtschaft fehlt die Basis einer eigenen Herstellung. Die Wertschöpfung findet nicht im eigenen Land statt. Für den Chef ist genau das das größte Problem: "Dass wir nicht konkurrenzfähig sind, das müssen wir ändern. Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist zu niedrig und sie sinkt immer weiter."
Mut haben, trotz Krise
"Es ist schwer, optimistisch zu sein, aber andererseits sind wir es auch gewohnt uns immer wieder an schwierige Umstände anzupassen." Erietta Tosidou und Melina Pispa entwerfen luxuriöse Design-Badetücher und verkaufen sie in ihrem Online-Shop "Sun of a beach" in ganz Europa und bis nach Japan oder in die USA. Ihre Marke soll das Lebensgefühl des endlosen griechischen Sommers verkörpern. Die beiden Jungunternehmerinnen, 35 und 28 Jahre alt, wollen die lokalen Produzenten unterstützen und lassen die Handtücher in einer Schneiderei in Athen nähen. Sie erhoffen sich nach den Wahlen vor allem Stabilität, um ihr kleines Unternehmen voranbringen zu können. "Unsere Generation kann etwas verändern, wir wollen handeln und nicht länger nur zuschauen, was passiert."