Bastian: Griechenland hat viel geleistet
20. April 2015DW: Herr Bastian, die internationalen Gläubiger haben immer wieder Strukturreformen von Griechenland gefordert. Sie haben aber gesagt, dass sie bisher wenige Ergebnisse gesehen haben. Welche von diesen Reformen hat Griechenland umgesetzt und welche nicht?
Jens Bastian: Zunächst ist folgendes festzuhalten: Das Wort "Strukturreformen" ist in Griechenland aufgrund der Erfahrungen mit der Troika in den vergangenen vier Jahren hoch belastet. Das heißt, zunächst einmal ist es unabhängig von der politischen Einfärbung der Regierung wichtig, in der Öffentlichkeit wieder eine positive Definition des Wortes "Reform" zu erreichen. Das andere ist, dass bisher von keiner Regierung in den vergangenen fünf Jahren, egal ob links, rechts oder Mitte, in der griechischen Öffentlichkeit dafür geworben oder gar gefochten worden ist, warum wir Reformen brauchen, wie diese in Eigenregie definiert werden.
Also auch nicht von Antonis Samaras oder von Alexis Tsipras?
Weder noch. Gleichzeitig ist wichtig zu unterstreichen, dass fälschlicherweise der Eindruck vermittelt wird, als ob in den vergangenen fünf Jahren in Griechenland überhaupt nichts passiert sei. Es haben Reformen (Stichworte: Zentralhaushalt, Bankensektor, Renten, Arbeitsmarkt) stattgefunden. Diese waren wichtig, allerdings auch sehr schmerzvoll und mit erheblichen sozialen Folgen verbunden.
Welche sind das?
Es kommt nicht von ungefähr, dass wir zum Beispiel in Griechenland seit zwei Jahren einen Primärüberschuss im Haushalt haben. Das ist Ergebnis einer sehr schmerzlichen Sparpolitik. Wir haben zugleich eine enorme Reform im Bereich der Finanzmarktstabilität Griechenlands. Der Finanzsektor Griechenlands ist geprägt davon, dass wir weniger Banken haben, dass eine Rekapitalisierung der Banken 2012 erfolgte. Gleichzeitig haben im Bereich der Kreditvermittlung für Klein- und Mittelbetriebe Innovationen stattgefunden, die auch mithilfe deutscher Expertise und Startfinanzierung möglich wurden. Der Mindestlohn wurde abgesenkt, das gesetzliche Renteneintrittsalter wurde erhöht, die Renten gekürzt. All das sind Reformen gewesen, die in der griechischen Gesellschaft in hohem Maße umstritten sind, aber wo es nicht korrekt ist zu sagen, dass keine Reformen stattgefunden haben.
Was sind denn nach wie vor die schwierigsten Probleme des Landes?
Das ist zum einen: Griechenland braucht Investitionen, einheimische und ausländische Direktinvestitionen. Griechenland kann zurzeit, um die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden, diese Mittel nicht aus eigener Kraft stemmen. Das heißt, wir brauchen hier von Dritten Investitionsanreize. Das ist natürlich jetzt gerade sehr schwer. Denn es gibt das Damoklesschwert: Bleibt Griechenland im Euro oder nicht? Das behindert Investitionen. Außerdem haben wir eine enorme Kreditklemme in der griechischen Realwirtschaft, die seit über zwei Jahren anhält. Das heißt, wir haben eine rückläufige Kreditbereitstellung durch die griechischen Banken, denen es erheblich an Liquidität fehlt.
Die griechische Realwirtschaft kann nur mithilfe der Banken wieder auf die Beine kommen. Dazu müssen die griechischen Banken allerdings auch in die Lage versetzt werden, dass sie Kredite zeitnah und zinsgünstig zur Verfügung stellen. Während die EZB (Europäische Zentralbank) zurzeit Liquidität zu einem Zinssatz von 0,25 Prozent zur Verfügung stellt, kann ein griechischer Klein- und Mittelstandsunternehmer, der einen Kredit von 500.000 Euro braucht, weil er einen Großauftrag aus Deutschland hat, diesen Kredit bei seiner griechischen Hausbank nur zu Zinssätzen von sechs Prozent und mehr bekommen. Das ist nicht zu finanzieren unter den gegebenen Umständen. Das heißt, hier brauchen wir gezielte Förderprogramme, die zum Teil auch mithilfe europäischer Strukturmittel auf den Weg gebracht werden können.
Sehen sich die Griechen mit den Forderungen nach Reformen vom Ausland gegängelt, oder machen sie Reformen zu ihrem eigenen Anliegen?
Selbstverständlich kommt dieser Antrieb aus der Mitte der griechischen Gesellschaft. Wir haben in Griechenland einen hohen Bedarf und auch eine hohe Unterstützung für Reformen. Aber es ist wichtig: Wer definiert die Reformen und wie? Warum brauchen wir diese Reformen? Das heißt, diese Reformen kosten Zeit und auch Geld. Und dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Dialogs: Was ist das Ziel dieser Reformen? Und wie können die Reformen in Eigenregie definiert und umgesetzt werden?
Wir haben die Belastung in den vergangenen fünf Jahren, dass durch die Politik mit der Troika Reformen zunehmend in der Öffentlichkeit kommuniziert worden sind und auch so wahrgenommen worden sind als etwas, was von außen verlangt wird, weil es Teil der Bedingungen von Kredittranchen ist.
Das macht es enorm schwer, Reformen dann positiv zu besetzen, als Begriff, aber auch als Handlungsanleitung. In diesem Prozess glaube ich, dass die neue Regierung eigentlich eine große Chance hat, dass sie nämlich sagen kann: Wir möchten im Rahmen eines umfassenden gesellschaftlichen Mitbestimmungsprozesses diesen Reformbegriff positiv besetzen. Wir möchten gleichzeitig definieren: Wo liegen die Schwerpunkte griechisch definierter Reformen? Und wir möchten dann auch Signale aussenden, dass wir dies mithilfe unserer europäischen Partner umsetzen wollen.
Der deutsche Ökonom Jens Bastian ist unabhängiger Wirtschaftsberater bei der griechischen Denkfabrik "Makropolis". Er lebt seit 16 Jahren in Griechenland.
Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.