Badawis Ehefrau kämpft für die Freilassung ihres Mannes
23. Juni 2015"Ich bin eigentlich gar keine Menschenrechts-Aktivistin", sagt Ensaf Haidar im Gespräch mit der DW. "Ich wollte eigentlich nur ein normales Leben führen. Ein ganz normales Leben - mit meinen Kindern und mit meinem Mann." Eigentlich. Doch an ein "normales Leben" ist nicht zu denken, seitdem der Ehemann in ihrem Heimatland Saudi-Arabien mit 1000 Stockhieben bedroht wird und die Kinder zusammen mit ihrer Mutter im Exil in Kanada um das Überleben ihres inhaftierten Familienvaters bangen müssen.
Drei Jahre ist es her, dass der Blogger Raif Badawi wegen angeblicher "Beleidigung" des Islam und weiterer Vorwürfe verurteilt wurde. Die große Solidarität, die ihr Mann seitdem international erfährt, hat Ensaf Haidar zu einem großen Teil selbst mit angestoßen. Die 36-Jährige reist kreuz und quer über die Kontinente, um Hilfe und Unterstützung zu mobilisieren; sie trifft sich mit Menschenrechtlern und Politikern, um über das Schicksal ihres Mannes zu informieren, gibt Medien-Interviews, ist auf Twitter und Facebook aktiv. Am Dienstag (23.06.2015) wird sie sich - per Videobotschaft – ein weiteres Mal an die deutsche Öffentlichkeit wenden. Wenn ihr Mann im Rahmen des Global Media Forums der Deutschen Welle in Bonn den "DW Freedom of Speech Award" verliehen bekommt.
Zu liberal für Saudi-Arabien
Schon bevor das saudische Regime die lebensbedrohliche Gewaltstrafe gegen ihn verhängte, hatte sie leidenschaftlich um ihn kämpfen müssen – innerhalb ihrer eigenen Familie. Die Ehe mit Raif Badawi kam vor 14 Jahren gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern zustande. "Raif hat damals um mich gekämpft", sagt sie mit trauriger Stimme. "Heute kämpfe ich für ihn."
Die Probleme begannen 2006. Ihr Mann Raif Badawi gründete die Webseite "Die Saudischen Liberalen". Dort forderte Badawi u.a. die Abschaffung der saudischen Religionspolizei und bekam dafür zunehmend internationale Aufmerksamkeit. Das Regime fühlte sich herausgefordert und sagte dem freiheitsliebenden Blogger den Kampf an. Ensaf Haidar riet ihrem Mann, das Land zu verlassen: "Ich sagte zu Raif: Lass uns weggehen, bevor sie ein Ausreiseverbot gegen Dich verhängen. Aber er meinte, er könne nirgendwo anders leben als in Saudi-Arabien."
"Lass uns von hier weggehen"
2008 verboten ihm die Behörden tatsächlich, das Land zu verlassen. Seine Bürgerrechte wurden eingeschränkt: er durfte nicht mehr über sein eigenes Geld verfügen und konnte auch keine amtlichen Papiere mehr beantragen.
2012 wurde Raif Badawi schließlich festgenommen und inhaftiert. Neben "Beleidigung" der Religion wurde ihm ebenfalls "Apostasie" vorgeworfen: Der Richter erklärte ihn zu einem "Ungläubigen", der vom Islam abgefallen sei. Darauf steht in Saudi-Arabien die Todesstrafe. Beweise für diesen Anklagepunkt gibt es nicht. Dennoch wurde der Blogger zu zehn Jahren Haft, tausend Peitschenhieben und einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 194.000 Euro verurteilt.
Die ersten und bisher letzten 50 Stockhiebe erhielt Raif Badawi am 9. Januar 2015 auf einem öffentlichen Platz in Jidda. Er wurde dabei so schwer verletzt, dass die Fortführung der mittelalterlich anmutenden Bestrafungsaktion aus "medizinischen Gründen" bis auf weiteres ausgesetzt wurde.
Badawis Vater für "besonders harte Strafe"
Unterstützung aus der Familie gibt es nicht. Der Vater von Raif Badawi hat sich nicht nur öffentlich von seinem Sohn distanziert, sondern in einem saudischen TV-Sender sogar erklärt, er wünsche sich für seinen Sohn eine besonders harte Strafe - Badawis Familie ist ähnlich konservativ wie die seiner Ehefrau Ensaf Haidar. Einzig Badawis Schwester Samar, ebenfalls Menschenrechtsaktivistin, hielt von Beginn an zu ihrem Bruder. Allerdings unterliegt sie in Saudi-Arabien einem Reiseverbot. Zudem sitzt ihr Mann Walid Abu Al-Khair, zugleich Anwalt von Raif Badawi, selbst aus politischen Gründen in Haft. Auch die eigene Familie von Ensaf Haidar schweigt. "Nicht einmal einen Anruf habe ich von meiner Familie erhalten", berichtet sie.
Ensaf Haidar flüchtete 2012 mit ihren Kindern Najwa (heute 11 Jahre alt), Dudi (10) und Mariam (7) zunächst nach Kairo und anschließend nach Beirut, wo sie in der kanadischen Botschaft Asyl bekam. Seit November 2013 lebt sie in Kanada im Exil. In Quebec versucht sie, gemeinsam mit ihren Kindern, so gut es geht, ein neues Leben zu führen. Die Kinder vermissen ihren Vater und halten die Erinnerung an ihn wach, indem sie Teile der neuen Wohnung in seinen Lieblingsfarben streichen ließen, berichtet die Mutter. "Sie verstehen nicht, warum ihr Vater im Gefängnis sitzt", erzählt Ensaf Haidar. "Manchmal fragen sie mich ganz unschuldig: Wäre es nicht besser gewesen, Papa hätte mit all dem, was er gesagt hat, gewartet, bis er mit uns nach Kanada zieht?"
Angst und Hoffnung im kanadischen Exil
Das Einzige, was Ensaf Haidar und ihre Kinder tröstet, sind Raif Badawis Anrufe. Etwa zweimal pro Woche klingelt das Telefon. "Ich frage ihn dann immer, wie es ihm geht", erzählt seine Frau, "und jedes Mal versichert er mir dann, es gehe ihm gut. Aber ich merke an seiner Stimme, dass das nicht stimmt."
Sorge und Angst sind Ensaf Haidars ständige Begleiter, besonders wenn Raif Badawi für einige Zeit nicht anruft. Dann tröstet sie sich so gut sie kann - mit Phantasie, mit Illusionen, mit Hoffnung. "Ich sage dann zu mir selbst: Vielleicht hat er nur deshalb nicht angerufen, weil er mich gleich hier überraschen will - das hat er ja früher auch immer so gemacht", sagt Ensaf Haidar. "Ich stelle mir dann vor: Gleich klingelt es hier an unserer Tür und plötzlich kommt Raif herein und wir hören gemeinsam unser altes Lieblingslied." Es stammt von der legendären ägyptischen Sängerin Umm Kulthum - Titel: "Die Geschichte einer Liebe."
Bisher wartet sie vergeblich.