Zusammenarbeit in schwierigen Zeiten
8. April 2019In der Lobby des Steigenberger Hotels in Stuttgart hat Alper Kanca nicht viel Zeit. Gleich wird der Mitfünfziger mit den wachen Augen und dem offenen Lächeln vor einer Gruppe von Wirtschaftsexperten und Unternehmern einen Vortrag zum Wirtschaftsstandort Türkei halten. Kanca ist der Präsident des türkischen Autozuliefererverbandes Taysad. Er hat in München und Wien studiert. Die Verbindung nach Deutschland liegt ihm am Herzen: "Unsere Mitglieder machen jedes Jahr 22 Milliarden Euro Umsatz. Deutschland ist einer unserer größten Märkte. Ungefähr 20 Prozent unseres gesamten Exportumsatzes geht unmittelbar nach Deutschland."
Deutschland, das wird an diesem Nachmittag immer wieder betont, ist der wichtigste Exportmarkt für die Türkei und gerade in Zeiten einer strauchelnden türkischen Wirtschaft ein enorm wichtiger Partner. In der Türkei sind rund 7.300 deutsche Unternehmen registriert. In Deutschland sind immerhin rund 1.300 türkische Unternehmen registriert.
Türkische Wirtschaft angeschlagen
Wie sehr diese Wirtschaft gerade strauchelt, beschreibt Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul: "Die Rezession hat inzwischen große Teile der Mittelschicht erfasst. Das bedeutet: Nicht nur Lebensmittel werden teurer, die Inflation frisst einfach große Teile der Löhne der Menschen auf." Dass der Lira-Kurs so stark gefallen sei, so der Türkei-Experte, habe Industrien wie der Export-orientierten Automobilindustrie auf den ersten Blick bisher zwar eher genutzt. Das liege vor allem an den niedrigeren Produktionskosten. Andererseits, so Brakel, sei es so, dass eine generelle Unzufriedenheit in der Gesellschaft auch in den Firmen zu spüren sei: "Da auch die Angestellten den Preisdruck spüren, macht sich das natürlich auch dort bemerkbar. Das gilt natürlich auch für die Zulieferbetriebe. Es gibt viele kleine und mittelständische Unternehmen, die Konkurs angemeldet haben oder das vielleicht tun müssen. Autobauer berichten schon, dass einige Zulieferbetriebe wegfallen."
Türkische Standortvorteile für deutsche Unternehmen
Auch Muhammat Yildiz ist nach Stuttgart gekommen. Yildiz, am Schwarzen Meer geboren, im Schwarzwald aufgewachsen, spricht lieber über die Standortvorteile der Türkei als über die Krise. Er ist Geschäftsführer von Odelo, einem mittelständischen Betrieb aus Stuttgart, der sich auf die Fertigung von Automobilbeleuchtung spezialisiert hat: "Wir glauben in Deutschland manchmal: Wir haben das Auto erfunden, und wir wissen wie es geht. Gerade, wenn es um Schwellenländer wie die Türkei geht, nehmen wir die Standards nicht ganz so ernst." Die Erfahrung mit den türkischen Partnern, so Yildiz, habe ihn allerdings eines Besseren belehrt: "Wir sichern den Standort in Stuttgart auch mit den guten Leuten, die uns aus der Türkei zuarbeiten."
Politische Debatten stören
Die Worte Yildiz' dürften wie Wasser auf die Mühlen von Alper Kanca wirken. Wie ein Mühlstein erscheinen ihm dagegen eher die Auseinandersetzungen zwischen Ankara und Berlin. Sein Lächeln schwindet, wenn das Gespräch auf die Politik kommt: "Auf der Ebene der Geschäftsbeziehungen gibt es zwischen den beiden Ländern keine Probleme. Allerdings stören diese ständigen politischen Debatten. Sie behindern unser Geschäft und unser tägliches Leben." Investoren, die in die Türkei investieren wollten, fühlten sich bedroht. Auch türkische Unternehmer, die Interesse hätten, etwas aus Deutschland zu importieren, hätten Angst und würden sich fragen, ob sie Probleme bekommen würden. Das sei "alles unnötig" sagt er zum Abschied und eilt dann die Treppen zum Konferenzraum im ersten Stock hoch. Er hat keine Zeit mehr, sein Vortrag steht an.