Überholt der Traktor bald das Auto?
8. September 2023Tesla ist ein besonderer Autohersteller. Der Börsenwert des US-Unternehmens beträgt gut 800 Milliarden Dollar und liegt damit höher als der der nächstgrößten acht Autokonzerne zusammen. Erfolgreich sind die Amerikaner aber nicht allein deshalb, weil sie gefragte Elektroautos bauen. "Der Wert des Unternehmens beruht in erster Linie auf dem autonomen Fahren", zitiert das Manager Magazin in seiner Juli-Ausgabe den Tesla-Chef Elon Musk. Und auch wenn der Börsenwert seines Unternehmens zurzeit etwas abnimmt - das "grandiose Geschäft mit dem autonomen Fahren" stehe erst noch bevor, verkündet Musk bei jeder Gelegenheit.
Autonomes Fahren auf dem höchsten Level prophezeit der große Unternehmensboss allerdings bereits, seit der erste Tesla-Autopilot im Oktober 2015 eingeführt wurde - zunächst als Assistenzsystem für zeitweises autonomes Fahren unter menschlicher Aufsicht. Der Durchbruch zum vollautonomen Fahren wird seitdem von Tesla und den an ähnlichen Systemen arbeitenden Konkurrenten aber immer weiter in die Zukunft verschoben.
Zwar sind bereits Testflotten autonomer Taxis unter besonderer Behördenaufsicht in einigen chinesischen und US-amerikanischen Städten unterwegs, doch kommt es immer wieder zu Unfällen, die die Alltagstauglichkeit der Systeme infrage stellen. Das liegt vor allem an Softwareproblemen der Autopiloten, denen es oft nicht gelingt, im tosenden Großstadtverkehr die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Erfolge in der Landwirtschaft
In einem ganz anderen Bereich scheint das besser zu funktionieren - die Rede ist von der Landwirtschaft. "Autonome Landmaschinen sind bereits in Nord- und Südamerika im Einsatz und auch in Europa setzen die ersten Landwirte autonome Maschinen in der Viehhaltung und im Ackerbau ein", sagt Matthias Mumme von der Firma Claas, einem der weltweit führenden Hersteller von Landmaschinen, gegenüber der DW. "In der Landwirtschaft wird Autonomie sicher früher als im Straßenverkehr auch in der Breite Teil des Alltags sein."
Der Geschäftsführer des Branchenverbandes VDMA Landtechnik, Tobias Ehrhard, teilt auf Anfrage mit: "Für die Branche sind autonome Landmaschinen- und Traktorenkonzepte ein wichtiger Bestandteil des technologischen Lösungsraumes von morgen. Schließlich ermöglichen präzise Sensorik und intelligente Software spürbare Effizienz- und Nachhaltigkeitsgewinne im Ackerbau."
Umwandlung in softwarezentrierte Systeme
Im Straßenverkehr und in der Landwirtschaft geht es gleichermaßen darum, konventionelle Fahrzeuge, bei denen die Hardware wie Motor und Antriebsstrang im Vordergrund steht, in softwarezentrierte Systeme umzuwandeln. Diese Transformation auf der Straße und auf dem Acker voranzutreiben, hat sich die Firma Apex AI auf die Fahnen geschrieben. Ihr Spezialgebiet: Software für autonomes Fahren. Das US-Unternehmen mit deutschen Wurzeln hat seinen Hauptsitz im Silicon Valley und betreibt Niederlassungen in Europa und Asien.
Zu den Partnern von Apex AI gehören Autokonzerne und Zulieferer wie Toyota, Volkswagen und Continental, aber auch Landmaschinenhersteller wie Agco Fendt, Krone und Lemken. Apex AI entwickelt spezielle Softwarepakete, die es den Kunden ermöglichen, eigene Anwendungsprogramme schneller zur Serienreife zu bringen.
Digitale Entwicklungsumgebung für neue Programme
Jan Becker, CEO und Mitbegründer von Apex AI, vergleicht gegenüber der DW seine Produkte mit der Technologie, die auch beim Handy zur Anwendung kommt, wenn neue Apps für verbreitete Betriebssysteme wie Android oder IOS entwickelt werden. Dafür benötigt wird eine digitale Entwicklungsumgebung (englisch Software Development Kit, SDK) für neue Software.
"Statt Mobiltelefonen geht es bei uns um Fahrzeuge, die viele Sensordaten von Kameras, Radar oder Lidar dazu nutzen, um sich im öffentlichen Raum, auf dem Feld oder in Fabrikhallen und Logistikzentren autonom zu bewegen", so Becker.
Diese Bewegungen "funktional sicher" zu machen sei aufwändig, denn im Gegensatz zum Mobiltelefon könne eine Arbeitsmaschine auf dem Feld nicht einfach mal "abstürzen und neu starten" sondern müsse jederzeit stoppen, ausweichen oder warnen können.
Weltweit einzigartige Sicherheitszertifizierung
"Wir haben 2021 eine Sicherheitszertifizierung des TÜV Nord und damit als einziger Hersteller weltweit den Nachweis erhalten, dass Systeme, die Apex AI als Softwareentwicklungsumgebung nutzen, die höchsten Anforderungen an funktionale Sicherheit erfüllen", erklärt Becker stolz.
Dass Fortschritte bei autonomen Landmaschinen auch einen Schub für das autonome Fahren im Straßenverkehr bringen könnten, glaubt der Experte allerdings nicht. "Der Vorteil der Agrartechnik ist, dass dort das Thema einfach schneller in den Markt eingeführt werden kann." Die Hersteller seien agiler, die Flotten kleiner. "Außerdem sind die Sicherheitsanforderungen im Agrarbereich anders", sagt Becker, "und machen die ganze Sache etwas leichter als im Straßenverkehr."
"Autonomer Traktor könnte schneller kommen"
Die Landwirte seien seit Jahren im Umgang mit teilautonomen Systemen geübt. GPS- gesteuerte Saat- und Erntemaschinen seien Standard und erhöhten die Effizienz. "Ein serienreifer autonomer Traktor wird damit deutlich eher in der Praxis zu finden sein." Und der Apex AI-Chef fügt hinzu: "Ein PKW auf der Straße ist deutlich schneller unterwegs als ein Traktor, die Verkehrssituationen sind komplexer. Es müssen im Pkw in kürzerer Zeit viel mehr Sensordaten ausgewertet werden, um adäquat reagieren zu können." In Sachen Praxistauglichkeit könnte der autonome Traktor das Auto wohl bald überholen.