Transformation oder Untergang
30. März 2019"Die Branche befindet sich in einer sehr schwierigen Situation: sie muss viele Milliarden Euro in neue Technologien wie die Elektromobilität investieren, mit denen sie zunächst kein Geld verdienen wird", sagt Marcus Berret, der das weltweite Automobilgeschäft der Unternehmensberatung Roland Berger leitet. "Gleichzeitig schwächeln fast alle wichtigen Märkte; insbesondere der Markt, wo aktuell das meiste Geld verdient wird: China."
Langfristig könnte die Branche sogar vor noch viel massiveren Veränderungen stehen, die sogar existenzbedrohend werden könnten. Der Grund: Das Auto mit Verbrennungsmotor und sogar der gesamte Individualverkehr in der heutigen Form sind möglicherweise Auslaufmodelle.
Selbst, wenn es den Herstellern gelingt, massentaugliche Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen, sind Tausende von Jobs in Gefahr. Der Grund: E-Autos sind wesentlich einfacher aufgebaut als konventionelle Fahrzeuge. Alleine der E-Motor besteht nur aus einem Bruchteil der Bauteile eines Verbrennungsmotors.VW-Chef Herbert Diess spricht von 30 Prozent weniger Arbeitsaufwand. Eine Studie des Ifo-Instituts rechnet vor, dass ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 in Deutschland 620.000 Beschäftigten den Job kosten könnte.
Viele Menschen werden sich kein eigenes Auto mehr anschaffen. Sie werden über Online-Dienste einen selbstfahrenden Pkw zu ihrem Standort rufen, eine definierte Strecke zurücklegen, und das Fahrzeug am Zielort einfach stehen lassen. Das Pooling von Fahrten und Carsharing-Konzepte werden dazu führen, dass immer mehr Verkehr mit immer weniger Fahrzeugen bewältigt werden kann. Das spart Energie, reduziert Emissionen und verhindert Staus. Eine Studie der Beratungsfirma Berylls rechnet vor: Neue Mobilitätsangebote haben das Potenzial, im Jahr 2035 die Produktion von 23 Millionen Privat-Pkw zu ersetzen.
Welche Strategien hat VW?
Volkswagen, der größte Autohersteller der Welt, leidet noch immer an den Folgen der Diesel-Affäre. Umso ehrgeiziger sind seine Pläne in Sachen Elektroautos. Der VW-Konzern will bis 2025 ein Viertel seiner Fahrzeuge als Hybrid- oder reine E-Autos verkaufen. Rund 44 Milliarden Euro sollen bis 2023 in die Entwicklung dieser Sparte fließen. Die eigens dafür entwickelte Plattform namens MEB (eine Art standardisierter Baukasten) soll auch anderen Herstellern offen stehen. Das soll die Kosten für die E-Mobilität insgesamt senken. "Der MEB soll als Standard der E-Mobilität etabliert werden", sagte VW-Konzernchef Herbert Diess kürzlich auf der Automesse in Genf. Ein erster Partner ist der Elektrofahrzeughersteller E.Go des Aachener Professors Günther Schuh.
Volkswagen verhandelt zudem bereits seit geraumer Zeit mit dem US-Autobauer Ford über die Nutzung des MEB. Eine Lizenzierung durch die Nummer zwei in den USA würde VW Größenvorteile verschaffen. Gemeinsam will man Transporter und Pick-ups bauen.
Der neue Trend in der deutschen Autoindustrie: Mit anderen Herstellern zusammenarbeiten und sich die Ausgaben teilen - für den Roland-Berger-Autochef Marcus Berret ist das der richtige Weg. "Nicht einmal die Größten der Branche können alle nötigen Investitionen alleine stemmen. Es macht keinen Sinn, wenn zehn oder 15 Unternehmen gleichzeitig den Antriebsstrang oder das Fahrwerk neu erfinden."
Auch bei der Digitalisierung geht Volkswagen Allianzen ein. Mit Hilfe des US-Technologieriesen Amazon will VW seine Reserven mobilisieren und die Produktivität auf dem Weg zu einem Anbieter von Elektroautos steigern. Die beiden Weltkonzerne wollen gemeinsam eine "Industrie-Cloud" aufzubauen, in der künftig die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus weltweit allen 122 Fabriken des VW-Konzerns zusammengeführt werden. Auch hier gilt: Die Plattform soll auch anderen offen stehen.
Dies ist nicht die einzige Kooperation mit einem der amerikanischen Tech-Riesen: Volkswagen arbeitet bei Cloud-Diensten auch mit Microsoft zusammen, um seine Autos voll zu vernetzen.
Aber natürlich geht es bei VW angesichts dieser Milliarden-Investments nicht ohne Sparprogramm und Stellenstreichungen. In den nächsten fünf Jahren sollen zusätzlich 5000 bis 7000 Stellen wegfallen. Mit automatisierten Routinearbeiten, Materialeinsparungen und geringerer Modellvielfalt sollen ab 2023 die Kosten weiter gesenkt und eine Gewinnverbesserung von 5,9 Milliarden Euro jährlich erzielt werden.
Was machen die anderen?
BMW verliert an Boden. Der erfolgsverwöhnte Münchner Autobauer kündigt auch für dieses Jahr einen Gewinnrückgang an und will nun noch stärker auf die Kostenbremse treten, um sich die hohen Investitionen in die E-Mobilität und selbstfahrende Autos leisten zu können.
"Die Transformation unserer Industrie ist in vollem Gange", sagt BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter. "In diesem Umfeld ist nachhaltig hohe Profitabilität entscheidend, um weiterhin Treiber des Wandels zu sein." Ein Sparprogramm - Stellenabbau inklusive - soll bis Ende 2022 mindestens zwölf Milliarden Euro bringen. Dazu gehört auch ein Personalabbau, den der Konzern sozialverträglich gestalten will. Bisher hätten 1500 Mitarbeiter Angebote zur Frühverrentung angenommen, weitere 2500 kämen dafür in Frage.
Soweit, so zu erwarten. Was aber bis vor kurzem noch undenkbar erschien, wurde im Februar Wirklichkeit. Die beiden harten Konkurrenten BMW und Daimler wollen künftig in einigen Geschäftsfeldern zusammenarbeiten. Nachdem eine Woche zuvor bereits die Zusammenlegung ihrer Carsharing-Dienste bekannt gegeben worden war, kündigten die Autobauer Ende Februar an, ihre Kräfte auch beim automatisierten Fahren zu bündeln.
BMW testet das automatisierte Fahren bereits heute weltweit mit 70 Fahrzeugen, unter anderem auch in München. Bei der Entwicklung arbeitet BMW bereits mit Intel, Mobileye, FiatChrysler, Continental und Magna zusammen.
Daimler will dieses Jahr zusammen mit dem Zulieferer Bosch im Silicon Valley in den USA selbstfahrende Fahrzeuge ohne Lenkrad und Gaspedal in Städten auf die Straße bringen.
Auch die Nutzer von Carsharing und Mitfahrdiensten bekommen künftig ein gemeinsames Angebot der sonst konkurrierenden Autobauer. Damit wollen Daimler und BMW ihre weltweite Position auch auf diesem umkämpften und wachsenden Markt ausbauen. Die Konzerne investieren mehr als eine Milliarde Euro, um ihre bestehenden Angebote zu erweitern und zu verzahnen, wie sie in Berlin zum offiziellen Start des Zusammenschlusses mitteilten. Sie bringen demnach eine Kundenbasis von mehr als 60 Millionen aktiven Nutzern mit.
Das Ende der Kooperationsbereitschaft zwischen BMW und Daimler scheint noch nicht erreicht. Zwar scheint in Zukunft noch eine gemeinsame Fahrzeugarchitektur nicht geplant und schon gar nicht erwünscht zu sein. Doch wenn die aktuelle Dynamik fortgesetzt wird, könnten auch die strengsten Tabus eines Tages fallen. "Ich habe mir abgewöhnt, in unserer Branche weiter als fünf Jahre in die Zukunft zu schauen", sagt BMW-Chef Harald Krüger - zu viel sei derzeit im Wandel.
New kid on the block
Beim Carsharing mischt neuerdings auch ein großer Player mit, der bislang nur als größter Autovermieter Deutschlands bekannt war.
Das Münchener Unternehmen Sixt startet sein eigenes Carsharing und vernetzt alle Angebote auf einer App. Strategievorstand Alexander Sixt betont: "Mit Sixt Share starten wir nicht einfach noch eine Carsharing-Marke, sondern definieren durch die Verschmelzung von Autovermietung und Carsharing eine neue Produktkategorie."
Gründer und Vorstandschef Erich Sixt sagt, das Unternehmer komme seiner "Vision eines globalen Anbieters individueller Mobilität ein großes Stück näher".
Alexander Sixt hält Carsharing allein nur für "Stückwerk" und einen "Nischenmarkt", die Autovermietung dagegen habe ein Marktvolumen von 58 Milliarden Dollar, Taxi und Ridehailing - private Mitfahrgelegenheiten - sogar von 285 Milliarden Dollar. Die Zusammenführung dieser Angebote eröffne ein enormes Potenzial.
Was jetzt zu tun ist
Um eine Kernschmelze der deutschen Autoindustrie zu verhindern, sind laut dem Autoexperten Stefan Bratzel neben drastischen Schritten der Unternehmen auch neue Initiativen der Politik notwendig.
"Die Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen für die Zukunftsfähigkeit der Branche setzen und diese dann scharf kontrollieren und sanktionieren", so Bratzel. Dies bedeute etwa strenge Vorgaben für Grenzwerte von Luftschadstoffen und Klimaschutz anstatt bestimmte Technologien wie Elektromobilität zu fördern.
Die Zukunft der Mobilität, die zunehmend emissionsfrei und intermodal sein werde, werde künftig wesentlich aus den Hauptelementen Software und Dienstleistungen geschöpft. Die langfristige Dekarbonisierung des Autoverkehrs sei auch unter den Automobilherstellern ein unumstrittenes Ziel. Entsprechend sollten die regulativen Vorgaben die Dekarbonisierung stärker unterstützen. Sinnvoll erscheine daher die Einführung eines Quotensystems für Null-Emissionsfahrzeuge, die ähnlich wie künftig in China einen Anteil an Zero-Emission-Fahrzeugen an den Neuzulassungen vorschreiben.
Gleichzeitig erscheine die Förderung von neuen - intermodalen - Mobilitätskonzepten als zukunftsweisend. Diese reichten von Unterstützungen von Carsharing und Car-Pooling bis hin zur testweisen Einführung von Roboter-Taxis in Stadtregionen. "Hier könnte die Politik in Deutschland deutlich stärker Akzente setzen, gerade in den von Stau und Luftqualität belasteten Städten", meint Bratzel.
(Der Artikel wurde am 03.04.2019 verändert. Statt einer Studie der TU München wird eine Studie der Beratungsgesellschaft Berylls zitiert.)