Ausstellung: Koelbls Porträts von Angela Merkel
29. April 2022Kurzhaarfrisur, Strickjäckchen, Rollkragenpullover - als Angela Merkel 1991 für ihre ersten Porträts mit Herlinde Koelbl in die Kamera blickt, wirkt die 37-jährige Politikerin wie eine unkomplizierte Freundin, eine gute Zuhörerin, nicht wie eine künftige Staatenlenkerin. "Bei unserem ersten Termin 1991 war sie noch etwas ungelenk, ja scheu, blickte von unten in die Kamera. Sie wusste nicht so recht, was sie mit ihren Händen oder Armen machen sollte. Das hat sich verändert, aber in gewisser Weise blieb bis zuletzt in ihrer Kanzlerschaft diese Verlegenheit", so Koelbl.
Auf den Spuren der Macht
Die Fotografin begann ihre Merkel-Porträtserie mit dem Projekt "Spuren der Macht". Zwischen 1991 und 1998 traf die Fotografin jedes Jahr dieselben 15 Menschen in Machtpositionen. Sie porträtierte und interviewte sie.
Merkels Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers, Gerhard Schröder, gehörte dazu, ebenso Joschka Fischer, lange Jahre eine Galionsfigur der Grünen und unter Schröder Außenminister.
Zu Beginn des Projekts war Angela Merkel gerade vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zur Ministerin für Frauen und Jugend ernannt worden und hatte es 1998 als Generalsekretärin an die Spitze der CDU geschafft.
Porträts über 30 Jahre Macht
Mit einer kurzen Unterbrechung setzte Herlinde Koelbl während der 16-jährigen Kanzlerschaft Merkels regelmäßig ihr Ritual fort. So entstanden bis zum Herbst 2021, als Angela Merkels Amtszeit endete, 47 Porträts aus drei Jahrzehnten Politikerinnen-Dasein. Die Porträtserie, die bereits als Buch beim Verlag Taschen erschienen ist, kann nun unter dem Titel "Herlinde Koelbl. Angela Merkel Portraits 1991-2021" im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin im Original betrachtet werden.
Koelbl ließ Angela Merkel für alle Porträts vor einer weißen Wand posieren, "um eine größtmögliche Objektivität über diesen langen Zeitraum zu erreichen", wie sie im Vorwort des Fotobandes schreibt. Ihre einzige Anweisung an ihre Modelle lautete: "Schauen Sie mich mit offenem Blick an, also in die Kamera".
Diese "metaphysische Frontalität" sei es, "die eine innere Differenzierung ermöglicht und die feinsten Veränderungen sichtbar macht", kommentierte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp die Fotoserie bei einer Diskussion in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Die Veränderung in Merkels Körpersprache während der Aufnahmen in den ersten acht Jahren sei "extrem" gewesen, so Koelbl. Die Politikerin habe nie eine eitle Haltung gegenüber der Kamera eingenommen - anders als die meisten ihrer männlichen Kollegen, betont die Fotografin im Gespräch. Sie habe sich nicht in die Öffentlichkeit gedrängt, sondern einfach akzeptiert, dass es zu ihrem Job gehörte, fotografiert zu werden.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt der Zusammenarbeit mit Merkel besteht für die Fotografin darin, dass sie sich nie in die Auswahl der Fotos eingemischt oder versucht habe, irgendeinen Teil des Prozesses zu kontrollieren, was Koelbl bei anderen Personen in Machtpositionen selten erlebt habe.
Zwischen Kuchenbacken und politischen Gegnern
Um einen Blick auf den Menschen hinter dem Amt zu erhaschen, führte die Fotografin in den 1990er-Jahren mehrere Interviews mit Merkel, in der die aufstrebende Bundestagsabgeordnete ihre Vorstellungen von Politik darlegte, aber auch über ihre Kindheit und ihr Privatleben sprach.
Eines der ersten Statements, das Merkel der Fotografin 1991 auf die Frage nach ihren Ambitionen gab, klingt wie die Zusammenfassung ihrer ganzen Karriere: "Ganz ohne Ehrgeiz wird es wohl nicht gehen. Wobei ich nicht sagen kann, wo sich die Freude an der Tätigkeit und der Ehrgeiz zu unterscheiden beginnen, zumal in meinem Falle Ehrgeiz nur bedingt notwendig war. Mein Ehrgeiz bestand darin, die jeweilige Aufgabe vernünftig zu bewältigen, und das hat bisher zu einem ziemlich schnellen Aufstieg geführt, der mich eher ängstigt."
Merkels rasanter Aufstieg
Einige Antworten Merkels waren erstaunlich offen und machen klar, dass sie schon damals wild entschlossen war, ihre männlichen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Das zeigt sich zum Beispiel 1996 in einer Aussage, die sie gegenüber Gerhard Schröder machte: "Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn irgendwann genauso in die Ecke stellen werde. Ich brauche dazu noch Zeit, aber eines Tages ist es so weit. Darauf freue ich mich schon."
1997 stellte sie klar, dass sie in einem Jahr als Politikerin viel gelernt habe und definitiv eine bessere Pokerspielerin geworden sei. "Früher war ich etwas zu vertrauensselig und habe jedem von meinen Plänen erzählt. Aber Erfahrung macht klug."
Koelbl wollte nicht nur Angela Merkels politische Ambitionen beleuchten, sie interessierte sich auch dafür, ob die Politikerin Zeit zum Abschalten und für ihren Partner hatte. Nachdem Merkel 1991 Frauenministerin geworden war, merkte sie in ihrem ersten Interview an, dass sie gar keine Zeit mehr habe, Pflaumenkuchen zu backen, obwohl die Früchte doch gerade reif seien und das sonst alljährlich im Herbst anstünde. Seitdem fragte Koelbl in den folgenden Gesprächen immer wieder nach, ob die Politikerin nicht doch noch Zeit zum Backen gefunden habe.
Stabilität und Wandel
Mit dem Projekt erzählt Koelbl auch die Geschichte Angela Merkels: von der Pastorentochter aus Ostdeutschland, die Physikerin wurde, bevor sie nach dem Fall der Mauer in die Welt der Politik einstieg und dort als "Mädchen" des damaligen Kanzlers Helmut Kohl schnell Karriere machte.
Kohl gab ihr im wiedervereinigten Deutschland direkt einen Ministerposten, denn er brauchte politische Köpfe aus der ehemaligen DDR, die dort nicht mit dem Regime zusammengearbeitet hatten. Die unerfahrene Angela Merkel füllte diese Rolle perfekt aus. Aber sie bewies ziemlich schnell, dass sie nicht nur als "Quotenpolitikerin aus dem Osten" taugte, sondern viel mehr beizusteuern hatte.
Der Historiker Paul Nolte merkte zu Koelbls Merkel-Porträts und ihrem Buch an: In den Fotos komme eine Ambivalenz zum Ausdruck, eine Ambivalenz zwischen der Beharrlichkeit im Blick, in ihren Augen und der Veränderung in der Körpersprache. "Von diesem Spannungsverhältnis ausgehend kann man einen zeithistorischen Blick auf Angela Merkel und ihre Kanzlerschaft werfen." Die Fotos, so Nolte, "reflektieren die Ära Merkel": Sie habe für Stabilität und Kontinuität gestanden, aber auch für die Umbrüche im wiedervereinten Deutschland.
Adaption aus dem Englischen: Kevin Tschierse und Suzanne Cords
Dies ist die aktualisierte Version eines Artikels vom November 2021, erschienen anlässlich der Publikation des Bildbands im Taschen-Verlag. Die Ausstellung "Herlinde Koelbl. Angela Merkel Portraits 1991-2021" läuft vom 29.04. bis 04.09.2022 im Deutschen Historischen Museum in Berlin.