Der Weg zur Deutschen Einheit
28. Januar 2015Chefsessel sehen üblicherweise anders aus als die klobigen Holzklötze im Lichthof des Auswärtigen Amtes in Berlin. Doch auf den rustikalen Naturstühlen sitzen Mitte Juli 1990 tatsächlich weltpolitische Schwergewichte: der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow, Bundeskanzler Helmut Kohl und der (west)deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Am Rande des Kaukasus-Örtchens Archys sprechen die drei mitten in der Natur über eine lange für unmöglich gehaltene politische Sensation: die deutsche Wiedervereinigung. Keine drei Monate später ist sie Wirklichkeit - am 3. Oktober 1990.
Das historische Mobiliar ist Teil der Ausstellung "Der Weg zur Deutschen Einheit". Damit niemand auf den Gedanken kommt, es sich auf den unkonventionellen Sitzmöbeln gemütlich zu machen, sind sie von einer roten Kordel eingerahmt. Daran erkennen die Besucher sofort, dass es sich um etwas Besonderes handeln muss. Auf dem kleinen Tisch zwischen den Stühlen steht jenes Bild, das vor 25 Jahren um die Welt ging. Hinter Gorbatschow und seinen Gästen aus Deutschland stehen die Frau des Kreml-Chefs, Raissa, und zahlreiche hochrangige Vertreter beider Länder.
So leicht und locker, wie es dieses Foto suggeriert, ist der deutsche Vereinigungsprozess aber natürlich nicht. Dafür ist die Zustimmung aller Siegermächte des Zweiten Weltkriegs nötig. Neben der Sowjetunion müssen also die USA, Großbritannien und Frankreich Grünes Licht geben. Entsprechend heißt das entscheidende Dokument "Zwei-Plus-Vier-Vertrag". Hier die beiden deutschen Staaten, dort die alliierten Siegermächte. Von einem "Meisterstück der Diplomatie" spricht Staatssekretär Stephan Steinlein anlässlich der Ausstellungseröffnung.
Eppelmann: Minister für Abrüstung und Verteidigung
Als letzter DDR-Botschafter in Paris habe er den Vereinigungsprozess miterleben dürfen, sagt Steinlein, und begrüßt seinen damaligen Chef und Außenminister Markus Meckel. Auch Lothar de Maizière ist da, der einzige frei gewählte DDR-Ministerpräsident. In seiner Nähe steht Rainer Eppelmann, von 1990 bis zum Tag der Wiedervereinigung Minister für Abrüstung und Verteidigung. Der gelernte Maurer und spätere Pfarrer verweigerte einst den Wehrdienst in der DDR und landete deswegen im Gefängnis. Heute ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Auch Meckel engagiert sich in dieser Institution.
Die Rolle der DDR-Politiker von 1990 im deutschen Vereinigungsprozess gerät meistens ein wenig in Vergessenheit. Das spiegelt sich auch auf den im Halbkreis angeordneten 20 Bild- und Texttafeln der Ausstellung wider und in den Filmsequenzen, die über einem zentral platzierten Bildschirm flimmern. Wenn es um die politisch Verantwortlichen geht, dominieren die Staatsmänner Gorbatschow, Kohl und Genscher. Meckel legt aber Wert auf "unterschiedliche Perspektiven": Ohne den Runden Tisch in den Wochen nach dem Mauerfall am 9. November 1989, ohne die einzigen freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben.
Meckel: Wiedervereinigung war nicht selbstverständlich
"Wir wollten eine verhandelte Deutsche Einheit", betont Meckel. Dafür seien ein frei gewähltes Parlament und eine "legitimierte Regierung" nötig gewesen. Zwischen den Zeilen ist deutlich herauszuhören: Helmut Kohl, der oft als "Kanzler der Einheit" bezeichnete westdeutsche Regierungschef, ist in Meckels Augen nicht der alleinige "Macher" der Wiedervereinigung. "Diesem Bild widerspreche ich gerne", betont Meckel. Das Ende der deutschen Teilung sei nicht "selbstverständlich" gewesen. Zu den wichtigen Voraussetzungen habe die Anerkennung der polnischen Westgrenze gehört.
Belege für Meckels Einschätzungen finden sich in der Berliner Ausstellung viele. "Neuanfang: Deutschland und Polen" heißt ein Kapitel, "Einheit und europäische Integration" ein anderes. Dazwischen wichtige Stationen wie die "Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion" im Juli 1990, drei Monate vor dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober. All das wird im Laufe des Jahres deutschlandweit in Rathäusern und Schulen zu sehen sein. Die Nachfrage sei groß, freuen sich das Auswärtige Amt und die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur. Gemeinsam haben sie die Ausstellung unter der Leitung des Historikers Ulrich Mählert konzipiert. Zu den Besonderheiten gehört, dass es sie in 14 Sprachen gibt - von Arabisch bis Türkisch. Mit der Unterstützung deutscher Botschaften und Kulturinstitutionen in den Gastländern soll der "Weg zur Deutschen Einheit" auf Weltreise gehen. Eine Station wird Korea sein, ein nach wie vor geteiltes Land.