Ausnahmezustand am Alpenrand
Klar: nicht jeder mag das Oktoberfest. Für manche bedeuten die 17 "Maß-vollen" Tage mit Schuahplattler, Busserl und Watschn der Höhepunkt im Kalender der urbajuwarischen Gemütlichkeit. Für andere ist die Wiesn eher der Kulturschock schlechthin: eine Weide voller Ochsen und Kühe, die aus großen Behältern trinken und sich dabei aufführen wie eine Herde wild gewordener Büffel. Aber wer es noch nie miterlebt hat, dem fehlt einfach eine Erfahrung.
Mammutkirmes und Zechgelage
Schon seit 1810 erfreut sich das Oktoberfest einer ungebrochenen Beliebtheit. In dem Jahr ehelichte der bayerische Kronprinz und spätere König Ludwig Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Gefeiert wurde fünf Tage lang - auf einer Wiese vor den Toren der Stadt, die seitdem den Namen der Prinzessin trägt. Und weil es so gemütlich war, wurde im nächsten Jahr wieder gefeiert: das Oktoberfest war geboren.
24 Mal in der Geschichte wurde die Wiesn, diese Mischung aus Mammutkirmes und gigantischem Zechgelage, abgesagt - unter anderem kriegs- und cholera-bedingt. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 fiel nur das traditionelle Anzapfritual durch den Oberbürgermeister - "O'zapft is" - aus. Gefeiert wurde trotzdem, auch wenn der Besucherandrang deutlich geringer war als sonst.
"Rauschhafte Verbrüderung"
In diesem Jahr aber werden wieder über sechs Millionen Besucher auf der Theresienwiese erwartet. Sie kommen vor allem aus Bayern, aber auch aus Übersee - und sogar aus Preußen. Gesucht wird vor allem "zwischenmenschlicher Kontakt", wie es in einer psychologischen Studie heißt. Man will sich der "rauschhaften Verbrüderung" hingeben. Letzteres findet dann vor allem in den 14 Bierzelten statt, in denen die Blaskapellen tapfer, aber meistens vergeblich, den Lärmpegel zu kontrollieren versuchen. Die größte dieser Festhallen bietet mehr als 10.000 Besuchern feuchtfröhlichen Unterschlupf.
Milch darf ausgeschenkt werden - seit 1989. Allerdings wird Bier deutlich bevorzugt. Durchschnittlich fließen gut sechs Millionen Liter durch die Kehlen - aktueller Preis für das Maß: bis zu 7,10 Euro. Als Grundlage dienen 488.000 Brathendl, 190.000 Schweinswürstel und 90 Ochsen. Und falls jemand mal "muss": 1214 Wiesn-Gäste können gleichzeitig müssen, so die stolze Statistik - 522 im Stehen, 692 im Sitzen.
Saufen und raufen
Tausend Sanitäter halten sich auf der Wiesn für Hilfestellung bereit. Ganz selten ist der Einsatz nicht. Denn zu einer richtigen Gaudi gehört nach landläufiger bajuwarischer Meinung nun einmal eine anständige Prügelei. Eine beliebte "Waffe" bei Auseinandersetzungen ist der Maßkrug. Aber daran allein liegt es nicht, dass nach jedem Oktoberfest Tausende von Maßkrügen spurlos verschwunden sind: Der Maßkrug ist nun mal ein beliebtes Souvenir. Weniger sportliche Zeitgenossen können den übrigens auch käuflich erwerben.
Geschätzt wird, dass die Besucher während des 17-tägigen Volksfestes etwa 450 Millionen Euro ausgeben werden - allein auf dem Festgelände. Der gesamte Wirtschaftswert für die bayerische Landeshauptstadt liegt vermutlich mehr als doppelt so hoch.