Was beim Klimagipfel auf dem Spiel steht
4. November 2022Während Russlands Krieg in der Ukraine und die Proteste im Iran die Schlagzeilen beherrschen, nahm der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, die Vorbereitungen zum Weltklimagipfel in Ägypten zum Anlass für eine dringende Mahnung: Staats- und Regierungschefs dürften nicht den "Kampf um Leben und Tod aus den Augen verlieren". Denn um nichts weniger geht es laut Guterres beim Kampf gegen die Klimakrise.
In einem Gespräch mit Reportern in New York im Oktober drängte der UN-Generalsekretär darauf, dass die führenden Industrienationen ihre kollektiven Verpflichtungen, einschließlich der jährlich zugesagten 100 Milliarden Dollar (102 Milliarden Euro) zur Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern, in vollem Umfang einhalten müssen.
"Die Vorstellungen der Industrie- und Schwellenländer gehen einfach nicht auf", so Guterres. "Die derzeitigen Zusagen und politischen Maßnahmen reichen nicht einmal dafür, dass wir den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad Celsius begrenzen können - geschweige denn das 1,5-Grad-Ziel erreichen."
Nach den jüngsten verheerenden Überschwemmungen in Pakistan sowie rekordverdächtigen Hitzewellen und Dürren rund um den Globus wird das Thema "Verluste und Schäden" bei den UN-Klimaverhandlungen im November im ägyptischen Scharm el Scheich eine zentrale Rolle spielen.
Die Idee, gefährdete Länder für wirtschaftliche und kulturelle Verluste zu entschädigen, die sie im Zusammenhang mit Klimakatastrophen erleiden, wurde erstmals auf dem Klimagipfel 2013 in Warschau geäußert. Doch bisher gibt es dabei nur wenige Fortschritte. Reiche Länder wie die USA oder die europäischen Staaten zögern, sich auf einen entsprechenden Fonds einzulassen, der ihre hohen Treibhausgasemissionen kompensieren soll. Die Zusage der Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimahilfen für ärmere Staaten zu mobilisieren, wurde bislang nicht eingehalten.
Entwicklungsländer brauchen Klimafinanzierung
Einen finanziellen Ausgleich für Klimaschäden zu bekommen, ist vor allem für Inselstaaten wichtig. Denn sie sind am stärksten durch den Anstieg des Meeresspiegels und immer heftigere Stürme gefährdet.
"Wir haben keine Zeit mehr - unsere Inseln werden immer schwerer und immer häufiger von Auswirkungen des Klimawandels getroffen, und der Wiederaufbau geht zu Lasten unserer Wirtschaftsentwicklung", so Walton Webson, Vorsitzender der Alliance of Small Island States, auf der UN-Generalversammlung im September. Es reiche nicht aus, so Webson, sich nur auf Anpassungsmaßnahmen zu konzentrieren. "Woher sollen wir das Geld für den Wiederaufbau nehmen? Warum müssen unsere Inseln, die am wenigsten zu den Treibhausgasemissionen beitragen, den höchsten Preis zahlen?"
Der ägyptische Sonderbeauftragte für den kommenden Klimagipfel, Wael Aboulmagd, erklärte Anfang des Jahres auf einer Pressekonferenz, dass die COP27 dem Thema Priorität einräumen werde. Man werde "Finanzmittel für Länder finden, die in extremer Not sind, um die unmittelbaren Verluste und Schäden zu bewältigen, die einen erheblichen Teil ihres jährlichen Bruttoinlandprodukts auslöschen."
Umstellung auf erneuerbare Energien inmitten der Energiekrise
Der kommende UN-Klimagipfel ist der erste seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine Anfang des Jahres. Als Reaktion auf die Sanktionen vieler Staaten gegen Russland hat Moskau seine Energielieferungen an andere Länder stark gedrosselt. Die dadurch vor allem in Europa entstandene Energiekrise zeigt, wie dringend notwendig ein Übergang zu erneuerbaren Energien ist.
Die ägyptische Präsidentschaft der Klimakonferenz hat "das Versprechen von Innovation und sauberen Technologien" zu einem zentralen Bestandteil der Agenda in Sharm el-Sheikh gemacht. Gleich an mehreren Tagen geht es auf der COP27 um grünen Wasserstoff und die Dekarbonisierung der Energie.
Auf dem vergangenen Klimagipfel in Glasgow lag der Schwerpunkt auf dem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, insbesondere bei der Stromerzeugung. Mehr als 30 Länder sagten zu, ihre öffentlichen Ausgaben "für den internationalen Energiesektor, der unvermindert auf fossile Energieträger setzt" bis Ende 2022 zu beenden. Diese belaufen sich auf geschätzt rund 24 Milliarden Dollar. Doch in der kriegsbedingten Energieknappheit greifen einige Länder - darunter auch Deutschland - wieder auf Kohle und Öl zurück, um die Lücke in ihrem Energiemix zu schließen.
Die Frage, wie sich der Übergang zu erneuerbaren Energien inmitten der aktuellen Unsicherheiten beschleunigen lässt, wird ebenfalls ein zentrales Thema der bevorstehenden Weltklimakonferenz sein.
Warum afrikanische Staaten an fossilen Energien festhalten
Während die Mehrheit der Wissenschaft, Klimaorganisationen und die Vereinten Nationen die erneuerbaren Energien als einzigen Weg in eine sichere Zukunft ansehen, sprechen sich afrikanische Umwelt- und Finanzminister gegen eine rasche Abkehr von fossilen Brennstoffen aus. Sie fürchten anderenfalls Gefahren für ihr Wirtschaftswachstum.
Einige Länder hätten keine andere Wahl, erklärt die nigerianische Finanzministerin Zainab Ahmed. "Wenn wir keine günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für die Entwicklung von Gas zur Verfügung haben, verweigern wir unseren Bürgern jede Möglichkeit für eine grundlegende Wirtschaftsentwicklung", mahnte Ahmed auf dem Treffen der afrikanischen Ministerinnen und Minister im September in Kairo.
Viele afrikanische Länder sind darauf angewiesen, Öl und Gas zu exportieren, um Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren - etwa den Ausbau der erneuerbaren Energien oder Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.
Der globale Süden braucht eine bezahlbare Energiewende
Da Ägypten sich während der COP27 auf die Vertretung afrikanischer Interessen konzentriert, wird eine "gerechte und bezahlbare Energiewende" für Afrika ein zentrales Thema sein.
Nach einer Schätzung der Afrikanischen Entwicklungsbank beläuft sich die Klimafinanzierungslücke des Kontinents auf rund 108 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Länder Afrikas erhalten weniger als 5,5 Prozent der weltweiten Klimafinanzierung. Das liegt zum Teil an ihrer erhöhten Anfälligkeit für Risiken sowie an unterentwickelten grünen Finanzmärkten.
"Die Wahrheit ist, dass die Gelder, die wir brauchen, freigegeben werden müssen", forderte Amina J. Mohammed, stellvertretende UN-Generalsekretärin und ehemalige Umweltministerin Nigerias, im September im Gespräch mit der DW. "Wir brauchen Lösungen, damit diese Ressourcen fließen können. Das ist bis heute nicht der Fall. Dabei hätte das schon bis gestern passieren müssen."
Auch der Schuldenerlass könnte bei den Gesprächen auf der COP27 eine wichtige Rolle spielen, vor allem im Zuge der Wirtschaftskrise, die durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurde. Einer aktuellen Analyse des Internationalen Instituts für Umwelt und Entwicklung (IIED ) zufolge könnte ein sofortiger Schuldenerlass für 58 Entwicklungsländer - mehr als drei Viertel von ihnen liegen in Afrika südlich der Sahara - rund 105 Milliarden Dollar an staatlichen Finanzmitteln für Klimabemühungen freisetzen.
"Angesichts der Tatsache, dass Millionen von Menschen in den am stärksten verschuldeten Ländern bereits unter Überschwemmungen, Waldbränden und sengender Hitze leiden, würde ein Programm, das neben der Klimakrise und dem Verlust der biologischen Vielfalt auch die Staatsverschuldung in Angriff nimmt, dreifachen Nutzen bringen", so Sejal Patel, Umweltökonomin beim IIED. "Gut konzipierte Klima- und Naturprogramme würden die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit dieser Länder und damit ihre Fähigkeit stärken, künftige Schulden zu tragen."
"Dies ist eine Umsetzungs-COP. Sie findet in Afrika statt", betont Mohammed. "Wenn wir zu diesem Zeitpunkt keine Verpflichtungen gegenüber Afrika nachweisen können, dann sind die Versprechen wirklich gebrochen."
Redaktion: Tamsin Walker
Übersetzung: Jeannette Cwienk