Der Terror reißt nicht ab
23. August 2014Ihre Forderung ist einfach und eindringlich: Die entführten Mädchen von Chibok sollen sofort und lebendig zurückkommen. Seit Monaten schon wollen das die Aktivisten von #BringBackOurGirls und treffen sich nach wie vor jeden Nachmittag in Nigerias Hauptstadt Abuja. Mittlerweile sind mehr als 130 Tage vergangenen. Von den gekidnappten Schülerinnen konnten zwar einige fliehen, doch noch immer befinden sich knapp 220 in den Händen der Terrorgruppe Boko Haram.
Anfangs sorgte das für weltweite Schlagzeilen. Doch heute sind die Mädchen kaum noch ein Gesprächsthema auf den Straßen Nigerias. Maryam Uwais, Rechtsanwältin von #BringBackOurGirls, sucht nach Gründen: "In Nigeria passiert so viel. Es gibt so viele neue Krisen. Jetzt ist es Ebola. Daher ist das gerade auf der Titelseite." Genau deshalb sei es wichtig, die Proteste weiter zu führen, damit die Mädchen nicht in Vergessenheit geraten, erklärt Uwais.
Neue Entführungen und Angriffe auf Dörfer
Die Gewalt geht in Nordnigeria ungehindert weiter, die islamistische Terror-Organisation Boko Haram gewinnt weiter an Boden. Erst am Donnerstag (21.08.2014) eroberten die Islamisten Städte in den Bundesstaaten Borno und Yobe. Vergangene Woche waren nach Überfällen auf Dörfer dutzende Jungen gekidnappt worden. Es gilt als gut möglich, dass sie als Kämpfer ausgebildet, aber auch sexuell missbraucht werden. Mitte Juli wurde ein deutscher Ausbilder im Bundesstaat Adamawa entführt.
Am Mittwoch nun haben mutmaßliche Anhänger von Boko Haram Augenzeugen zufolge eine Polizeischule bei Gwoza im Bundesstaat Borno besetzt. Gwoza selbst leidet seit Wochen unter den Angriffen der Islamisten. Mittlerweile heißt es, die Stadt sei längst in ihren Händen. Doch Gwoza ist kein Einzelfall. Makmid Kamara, Nigeria-Experte von Amnesty International (AI), nennt die Lage "prekär", ganz besonders im Bundesstaat Borno. "Viele Menschen sind in einer Spirale von Gewalt gefangen", sagt Kamara.
Kritik an der Armee wächst
Verantwortlich dafür sei, so der Nigeria-Experte, aber nicht nur Boko Haram. Auch durch die Sicherheitskräfte seien viele Menschen ums Leben gekommen. Das bestätigt auch Idayat Hassan, Leiterin des Zentrums für Entwicklung und Demokratie (CDD) in Abuja. "Die nigerianischen Sicherheitsdienste haben versagt, Herz und Verstand der Menschen zu gewinnen", kritisiert sie. Das Misstrauen im Norden ist deshalb groß. "So lange sich das nicht ändert, kann auch nicht diese unsichere Situation beendet werden“, lautet ihre düstere Prognose.
Aber auch innerhalb der Armee rumort es. Mittlerweile tauchen immer neue Berichte auf, dass Soldaten desertieren. Deren Frauen hatten bereits am 11. August in Maiduguri protestiert und kritisiert, dass ihre Männer viel zu schlecht im Kampf gegen die Terroristen ausgerüstet seien.
Einsätze in Nordnigeria sind teuer
Analysten verschiedener Menschenrechtsgruppen hatten das schon vor Monaten bemängelt. Auch für den AI-Experten Makmid Kamara ist das eine besorgniserregende Entwicklung: "Wir wissen, dass für Einsätze in Nordnigeria sehr viel Geld ausgegeben wird. Doch ob es die Basis erreicht, ist eine andere Frage, die einer genauen Untersuchung bedarf." Er sieht nun nigerianische Behörden und Politiker in der Pflicht.
Viele Politiker sprechen derzeit aber nicht darüber. Stattdessen hat schon jetzt der Wahlkampf für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Februar 2015 begonnen. Seit Tagen sind in der Hauptstadt Abuja viele Gruppierungen unterwegs, die Werbung für Präsident Goodluck Jonathan machen. Obwohl erst im nächsten Jahr gewählt wird, lächelt Jonathan plötzlich wieder an jeder Straßenecke. Von Chibok ist aber nirgendwo die Rede. "Ich würde sagen, dass die Regierung und der Präsident nicht genug tun, um die Mädchen zu befreien", ärgert sich Dino Melaye, früheres Mitglied im Repräsentantenhaus und Anhänger der Oppositionspartei All Progressives Congress (APC).
Die Hoffnung auf Rückkehr
In ihrem Büro in Abuja wünscht sich die Anwältin Maryam Uwais, dass die Mädchen so schnell wie möglich zurückkehren. Sie selbst möchte sich aber nicht nur auf die Schülerinnen fokussieren. "Natürlich sind Frauen ein Ziel, denn die Mehrheit will Frauen. Aber auch gegenüber den Jungs gibt es Gewalt. Wir dürfen nicht verharmlosen, was passiert. Das schadet der ganzen Gesellschaft."