Auftakt im Streit um Corona-Aufbauplan
10. Juni 2020"Der deutsch-französische Vorschlag ist klug", sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz schon vor dem Treffen mit seinen europäischen Kollegen. Damit meinte er den Plan für ein Konjunkturpaket von 500 Milliarden Euro, das Angela Merkel und Emmanuel Macron im vergangenen Monat vorgestellt hatten.
Kurz darauf hatte die EU-Kommission noch einmal nachgelegt und Investitionen von 750 Milliarden Euro gefordert, um vor allem den von der Corona-Pandemie schwer getroffenen südeuropäischen Ländern zu helfen. Wie erwartet kam umgehend Widerspruch von den "sparsamen Vier" unter Führung der Niederlande, die schon den deutsch-französischen Vorschlag abgelehnt hatten.
Kompromisse gesucht
Mit der Diskussion unter den EU-Finanzministern wurde nun offiziell der Streit über das Konjunkturpaket der EU-Kommission eröffnet. Entscheiden werden allerdings nicht sie, sondern die Regierungschefs. Und zwar nicht auf dem anstehenden Gipfeltreffen in der kommenden Woche, sondern voraussichtlich im Juli bei einem oder vermutlich eher zwei Sondertreffen. Die sollen, wenn möglich, wieder im realen Raum stattfinden. Denn die Internet-Konferenzen der letzten Monate erwiesen sich beim Schmieden von Kompromissen in der EU nicht als hilfreich.
Am 1. Juli übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft der EU, den rotierenden Vorsitz der Ministertreffen und Gipfel. Dann also wird Angela Merkel die widerstrebenden Wünsche der Südländer und der "Sparsamen Vier" unter einen Hut bringen müssen. Keine leichte Aufgaben, sollte es bei den verhärteten Fronten bleiben.
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Zwar stellten der niederländische Außen- und der Finanzminister in einer Erklärung für die zweite Parlamentskammer in Den Haag gerade noch einmal fest, dass sie das Ziel einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung durch "europäische Zusammenarbeit" grundsätzlich unterstützen. Aber sie machten auch deutlich, dass sie die Finanzierungspläne für das avisierte Paket der EU-Kommission ablehnen. Man wolle sich mit "Gleichgesinnten" für Veränderungen einsetzen, hieß es.
Schulden ja, aber wie und wie viele?
Der Hinweis von Olaf Scholz auf das kleinere 500-Milliarden Paket könnte eine gute Vorlage für die Bundeskanzlerin. Scholz spricht von einem "Pfad für Verständigung". Der deutsche Finanzminister machte auch deutlich, dass die Rückzahlung der EU-Schulden viel schneller in Gang kommen soll, als von der Kommission vorgeschlagen. Darüber hinaus wolle er das umstrittene Wort der "Konditionalität" vom Tisch nehmen, so Scholz - also die speziellen Bedingungen für die Auszahlung von Mitteln aus dem Wiederaufbaufonds.
Auf diese reagiert Italien allergisch - zu sehr erinnern sie an Finanzkrise und demütigende Auflagen. Am liebsten würde Rom die Mittel nach eigenem Geschmack verwenden. Dagegen setzt Scholz die Forderung nach "konkreten Investitionen". Damit baut er den Niederlanden und ihren Freunden eine Brücke, die mit den europäischen Wiederaufbauhilfen nur Zukunftsinvestitionen, etwa dem Ausbau einer klimafreundlichen Wirtschaft, unterstützen wollen.
Und schließlich geht es um den Anteil von Zuschüssen und Krediten. Die sparsamen Vier wollen das Geld ausschließlich als Kredite vergeben, aber überschuldete Südländer wie Italien lehnen das ab, denn es würde ihren kaum noch tragbaren Schuldenstand weiter in die Höhe treiben. Sie wollen Zuschüsse oder gar nichts. Auch hier muss ein Kompromiss gefunden werden. Das Zauberwort in Brüssel dazu heißt: "Der richtige Mix".
Wer wird neuer Eurogruppen-Chef?
Der portugiesische Finanzminister Mario Centeno nimmt seinen Hut, sowohl in der Regierung in Lissabon als im Kreise der Eurogruppe. Vor kurzem war noch spekuliert worden, ob der zu Hause so erfolgreiche Centeno für eine zweite Amtszeit kandidieren würde. Aber er machte den Gerüchten jetzt ein Ende, so dass es mitten im Streit um den Wiederaufbau-Plan nach Corona im nächsten Monat einen Amtswechsel geben wird.
Als Kandidaten werden der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna, sein irischer Kollege Paschal Donohoe und die Spanierin Nadia Calvino gehandelt. Von ihr heißt es, dass sie gute Arbeitsbeziehungen zu Olaf Scholz habe. Außerdem ist sie Sozialistin vom fiskalisch konservativen Flügel, was sie dem Herzen des deutschen Finanzministers noch näher bringen dürfte. Und schließlich werden die Südländer darauf dringen, in turbulenten Zeiten ihren Einfluss in der Eurogruppe zu erhalten, insbesondere nachdem sich der Franzose Bruno Le Maire aus dem Rennen zurückgezogen hat.
Olaf Scholz sagte zu dem Thema nur, Deutschland habe seine Vorstellungen. Sollte Nadia Calvino tatsächlich als erste Frau das informelle aber einflussreiche Amt der Eurogruppen-Chefin gewinnen, wartet auf sie eine gut gefüllte Agenda. Sie müsste in den nächsten zweieinhalb Jahren alle Streitigkeiten über den Wiederaufbaufonds, das zusätzliche, 540 Milliarden schwere Kreditpaket und die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone in Bahnen lenken. Außerdem gibt es ein paar liegengebliebene Großprojekte, etwa die Bankenunion. Aber noch ist nichts entschieden und der Bundesfinanzminister hält seine Karten nah an der Brust.