Auf einen Tee mit der PKK
9. September 2014Eine graue Linoleum-Treppe führt zu der unscheinbaren Tür in dem mehrstöckigen Gebäude irgendwo im nördlichen Zentrum von Berlin. Draußen rauschen die Autos über eine dicht befahrene Straße, drinnen hocken mehrere Männer an einem langen Tisch. Vor ihnen stapeln sich aufgeschlagene Zeitungen, überfüllte Aschenbecher und halbvolle Gläser mit bitterem Schwarztee. Ein riesiger Fernseher dröhnt die neuen Entwicklungen von der irakischen Front in den Raum: Männer und Frauen in Uniformen robben zu schriller Militärmusik über den Bildschirm, ihre Gewehre im Anschlag. Der Lärm der Musik mischt sich mit der hitzigen Debatte der Männer und dem Zigarettenrauch, der durch das Zimmer wabert.
Hinter einer etwas schmierigen Theke serviert ein älterer Mann Tee, das Glas kostet 50 Cent, Zucker inklusive. Er deutet auf eine kleine Schüssel mit Zuckerstückchen: "Nehmen Sie ruhig, den werden Sie vielleicht brauchen." Er grinst. Unter seinem Jackett lugt ein etwas ausgeblichener Abdullah Öcalan hervor. Der inhaftierte Chef der Kurdischen Arbeiterpartei, PKK, starrt grimmig von dem grellgrünen T-Shirt in den Raum.
Seit 1993 ist die PKK in Deutschland verboten: In den frühen 1990er Jahren war der Bürgerkrieg zwischen der militanten kurdischen Organisation und dem türkischen Staat mit einer Anschlagswelle auf türkische Institutionen, Reisebüros und Geschäfte in deutschen Großstädten auch nach Deutschland geschwappt. Es folgten ein Verbotsverfahren und die Einstufung als terroristische Vereinigung, später auch durch die EU. Wer heute eine grün-gelb-rote PKK-Fahne in Berlin schwenkt, macht sich strafbar. Knöpft der Mann also sein Jackett zu, wenn er die kleine Wohnung verlässt, frage ich Ali, der mich am U-Bahnhof abgeholt und zum Vereinshaus geführt hat. Ali, Mitte 50, akkurater Schnurrbart, zuckt die Schultern. Dann schüttelt er den Kopf: "Wir haben keine Angst." Und, fügt er dann hinzu, oft würde die Polizei sowieso ein Auge zudrücken.
"Wir haben keine Alternative"
Ali führt mich in den kleinen Innenhof, der von tristen Bürogebäuden überschattet wird und deutet auf einen Plastikstuhl und einen wackeligen Tisch. Ali ist, wie er sagt, für "die Öffentlichkeitsarbeit von diesem Ort" zuständig. Er macht eine vage Handbewegung, die die Männer vor dem Fernseher und zwei junge Frauen, die in einer Ecke des Innenhofs rauchen, einschließt: Sie alle, sagt Ali, würden die PKK unterstützen. Im Verein seien übrigends nicht nur Kurden - es gebe durchaus auch Deutsche, die von der militanten linken Ideologie der PKK angezogen seien.
Auf viele Fragen antwortet Ali indirekt und schweift in lange Lobesreden über die PKK ab: Wie sie die Gleichberechtigung von Männern und Frauen vorantreibt in der kurdischen Gesellschaft, ihre grunddemokratische Einstellung oder aber ihr Kampf gegen den Kapitalismus. Wird er unterbrochen, dann runzelt er die Stirn, lehnt sich zurück, wenn er eine Frage irrelevant findet - etwa, warum er die PKK unterstützt. "Wir sind Kurden, wir haben keine Alternative", wieder zuckt er mit den Schultern.
Alis Stimme, die rollenden Rs und weichen Vokale, deuten auf seine Kindheit in einer Kleinstadt irgendwo im Osten der Türkei. Er flüchtete 1972 nach Deutschland, nachdem er von Polizisten brutal zusammengeschlagen worden war: Denn Ali hatte mit seinen Schulfreunden Kurdisch geredet. "Sie haben uns gedroht, dass sie uns töten, dass sie unseren Familien schaden." Ali breitet die Hände aus: Er könne einen langen Roman schreiben über die Schikanen, die Schläge und Misshandlungen.
Viele seiner Freunde verschwanden
Damals, in den frühen 1970ern, verfolgte die türkische Regierung eine repressive, oft brutale Politik der Zwangsassimilation der Kurden. Wer kurdische Musik hörte oder seinem Kind einen kurdischen Vornamen gab, konnte verhaftet werden - und wer sich für die Rechte der Kurden stark machte, sowieso. Als Antwort begann die PKK 1984 einen Guerillakrieg gegen den türkischen Staat. Viele seiner ehemaligen Klassenkameraden in der Türkei hätten sich dem Kampf angeschlossen, darunter auch viele Frauen, sagt Ali. Wäre er in der Türkei geblieben, davon ist er überzeugt, "dann wäre ich längst tot". Viele seiner Freunde seien einfach verschwunden.
Stattdessen engagierte sich Ali so gut er konnte in Berlin: Zusammen mit anderen Kurden organisierte er Demonstrationen und marschierte bei Kundgebungen durch die Großstadt. Spenden für die PKK aber, das betont er, habe er nie gesammelt. Kein Wunder: Aufgrund ihrer Einstufung als Terrororganisation machen sich alle strafbar, die aktiv Gelder für die Kämpfer eintreiben. Wenn jemand aber für kurdische Organisationen im Ausland spenden wolle, habe er nichts gegen, erklärt Ali und trommelt mit den Fingern auf den Tisch. "Natürlich machen wir das, wir sind ja ein Volk." Aber das sei immer freiwillig, betont er. Vorwürfe von Drohung und Zwang weist er umgehend zurück.
PKK "tief verwurzelt" in Deutschland
800.000 Kurden leben nach Angaben des Verfassungsschutzes in Deutschland, das macht sie zur größten kurdischen Diaspora in Europa. Es gibt Kurden, die aus dem Iran, Irak und Syrien nach Deutschland gezogen sind, der Großteil aber stammt aus der Türkei. In Deutschland ist die PKK "tief verwurzelt", sagt Gülistan Gürbey von der Freien Universität Berlin. Der Verfassungsschutz schätzt die Anzahl der PKK-Anhänger auf etwa 13.000, Gürbey aber glaubt, dass die Sympathisantenbasis erheblich größer sein dürfte.
Die Politikwissenschaftlerin spricht sich klar für eine Neubewertung des PKK-Verbotes in Deutschland und Europa aus: Seit Jahren sei die PKK nicht mehr gewaltbereit in Europa aufgetreten. Auch von ihrer Maximalforderung - einem eigenen Staat - sei sie vor 20 Jahren abgewichen, stattdessen fordere sie nun mehr Autonomie innerhalb der Türkei. Doch der eigentliche Grund, warum die PKK ihr Image tatsächlich verbessern könne, liege in ihrem Kampf gegen die sunnitisch-radikalen Milizen des "Islamischen Staates" - davon ist Gürbey überzeugt. Die Sichtbarkeit der PKK als regionaler Sicherheitsfaktor habe "sicherlich auch zu einer positiveren Wahrnehmung der PKK hier im Land geführt".
Gürbey bezieht sich auf Äußerungen einzelner Politiker, unter anderem der langjährigen Unterstützer der PKK in der Linken, die seit längerem für eine Aufhebung des Verbots plädieren. Aber auch andere haben sich der Diskussion angeschlossen, etwa Rolf Mützenich von der SPD. Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, so der Außenpolitiker im Gespräch mit der DW, "sich nochmal zu vergegenwärtigen, was es in den letzten Monaten, wenn nicht sogar Jahren, an Entwicklungen gegeben hat." Er meint damit auch den Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK seit 2012, der zu einem Waffenstillstand geführt hat. Sollte der Friedensprozess erfolgreich sein, könne es tatsächlich zu einer Neubewertung des Status der PKK kommen, glaubt Mützenich. Allerdings könnte der Prozess noch Jahre dauern. Der SPD-Politiker betont aber auch, dass er die Thematik aus einer außenpolitischen Perspektive begleite: Innenpolitiker könnten durchaus skeptischer sein, was eine mögliche Neubewertung angehe. Andere Kollegen, wie etwa der Unionspolitiker Volker Kauder, sagen, es finde gar keine politische Debatte darüber statt. "Nein, am Status der PKK, da wird nicht darüber nachgedacht", so Kauder auf Nachfrage der DW. Auch das Innenministerium weist die Forderung zurück, über eine Aufhebung des Verbotes nachzudenken. Das Verhältnis der PKK zur Gewalt bleibe "taktisch motiviert", so eine Sprecherin.
"Wenn ich noch die Kraft hätte, würde ich auch viel machen"
Gewalt? Zübeyir Aydar widerspricht dem Vorwurf vehement. "Wir halten uns an deutsche Gesetze", so der hochrangige Funktionär des politischen Arms der PKK in Europa, der KCK. Aydar lebt wie viele kurdische Politiker und Aktivisten in Brüssel, von dort verfolgt er die Debatte in Deutschland genau. Eine Neubewertung sei überfällig, betont er. Allerdings, das gibt er schließlich zu, könnte es tatsächlich sein, dass es zu neuen Kämpfen zwischen der PKK und dem türkischen Staat kommen könnte, falls die Friedensgespräche scheitern sollten. "Aber das wollen wir nicht. Wir wollen eine friedliche Lösung mit legalen Mitteln", so Aydar.
Im grauen Innenhof des kurdischen Vereins in Berlin runzelt Ali wieder die Stirn. Was er täte, falls seine Kinder sich dem bewaffneten Kampf der PKK anschließen würden? Nach einer Weile zuckt er die Schultern: Er würde weder ja, noch nein sagen. Er lehnt sich über den Tisch: "Wenn ich noch die Kraft hätte, würde ich auch viel machen." Dann steht er abrupt auf und verschwindet im Vereinshaus, in dem der Fernseher weiter laute Musik spielt. Nach ein paar Minuten kommt er zurück und stellt zwei Gläser Tee auf den Tisch, dann setzt er sich wieder.