Von der Terrororganisation zum Verbündeten?
30. August 2014Sommer 1993: PKK-Anhänger stürmen das türkische Generalkonsulat in München. Sie nehmen Geiseln und fordern von Bundeskanzler Helmut Kohl, dass er sich verstärkt für Kurdenrechte einsetzt. Im selben Jahr greift die PKK Dutzende weitere türkische Einrichtungen in Deutschland an, oft sind es Brandanschläge. Der Kampf, den die Kurdische Arbeiterpartei seit den 1980er Jahren gegen die Türkei führte, war 1993 damit auch in Deutschland angekommen.
Die Kurden kämpften lange Zeit für einen eigenen Staat, ein eigenständiges Kurdistan. Denn ihre Siedlungsgebiete sind auf die Länder Türkei, Syrien, Iran und Irak verteilt. Bei den gegenseitigen Angriffen wurden vor allem in der Osttürkei und im benachbarten Grenzgebiet zehntausende Menschen getötet: türkische Soldaten, PKK-Kämpfer und auch tausende Zivilisten.
Viele Länder stufen die marxistisch orientierte PKK seitdem als Terror-Organisation ein. So sehen es auch die Europäische Union und die NATO. PKK-Anführer Abdullah Öcalan sitzt seit Jahren in der Türkei in Haft, was der Popularität der Organisation unter den Kurden nicht geschadet hat. Im Gegenteil.
Zeichen stehen auf Entspannung
Doch die Zeiten haben sich geändert: Man redet wieder miteinander. PKK-Führer Abdullah Öcalan hat zum Gewaltverzicht aufgerufen. Seit vergangenem Jahr ist ein Waffenstillstand beschlossen. Das Ziel "eigenständiger Staat" scheint längst passé, jetzt geht es um mehr Autonomie und Rechte für Kurden in ihren Siedlungsgebieten. Der neue türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte zum Amtsantritt an, dass der Friedensprozess mit der kurdischen Minderheit wieder Fahrt aufnehmen würde. Schon am kommenden Montag (01.09.2014) wollen die türkische Regierung und die PKK-Führung dazu Stellung nehmen.
Das Bild der Kurden in der Türkei scheint sich langsam zu wandeln. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der kurdische Kandidat bei der Präsidentenwahl ein beachtliches Ergebnis erreicht hat", sagt der SPD-Politiker Rolf Mützenich. Selahattin Demirtaş bekam bei der Wahl fast zehn Prozent der Stimmen. Er setzt sich für Gewaltfreiheit ein und vertritt die Ansicht, dass man mit der türkischen Regierung über mehr Rechte für Kurden verhandeln kann.
Von Terroristen zu Terror-Bekämpfern
Die Gewalt der PKK, die sich in den vergangenen Jahrzehnten gegen die Türkei gerichtet hat, wendet sich mittlerweile gegen einen gemeinsamen Feind: die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). PKK-Kämpfer haben schon mehrere militärische Erfolge gegen die IS-Miliz verbuchen können. PKK-Verbündete halfen offenbar auch, irakische Jesiden zu befreien, die vor den IS-Schergen ins Gebirge geflüchtet waren. Die kampferprobte PKK scheint sogar erfolgreicher zu sein als die Streitkräfte der autonomen Region Kurdistans im Norden des Iraks, die sogenannten Peschmerga.
In die Peschmerga setzt der Westen seine Hoffnungen im Kampf gegen die Terroristen des "Islamischen Staates". Die Kurdentruppe soll mit Waffen beliefert werden, aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, und sie werden von den USA aus der Luft unterstützt, auch weil das kurdische Autonomiegebiet im Nordirak keine eigene Luftwaffe hat.
Einige Male sollen auch Peschmerga und PKK-Anhänger Seite an Seite gegen die IS-Miliz gekämpft haben. Eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Kurden-Organisationen während der Kampfhandlungen - wie Bundeskanzlerin Angela Merkel sie erhofft - scheint es also nicht zu geben. Merkel hatte klargestellt, dass sie deutsche Waffen zwar an die Peschmerga liefern wolle, keinesfalls aber an die PKK.
Auf die Türkei blicken und dann handeln
Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sieht Waffenlieferungen in Krisengebiete ohnehin skeptisch, auch wenn sein Parteikollege, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sich letztendlich dafür ausgesprochen hat: als absolute Ausnahme, man sei hier in einer Sondersituation.
Aber eine Diskussion über die Einstufung der PKK als Terrororganisation in Deutschland hält Mützenich schon seit längerem für sinnvoll, und damit ist er nicht allein. Oppositionspolitiker Frithjof Schmidt von den Grünen sieht es ähnlich. Er sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), es gebe allen Anlass, die Einstufung zu überprüfen. Denn die PKK werde als politischer Akteur in der Türkei und der angrenzenden Krisenregion langfristig eine Rolle spielen. Wenn schon die türkische Regierung ihre Haltung zur PKK zu ändern scheine, könne man auch in Deutschland darüber nachdenken.
Langwierige Diskussion
SPD-Mann Mützenich argumentiert: "Das, was zurzeit in der Türkei versucht wird, wird wohl auch - in absehbarer Zeit - seine Wirkung in Deutschland und anderen europäischen Ländern haben." Auf diese Diskussion müsse man sich jetzt einstellen, meint der Außenpolitik-Experte, "und das ganz bewusst nicht vor dem Hintergrund von Waffenlieferungen." Auch der Grünen-Politiker Konstantin von Notz meinte in der FAZ, die Debatte dürfe nicht als Hebel benutzt werden, um Waffenlieferungen an die PKK zu begründen.
Mit einer schnellen Entscheidung zur Legalisierung der PKK in Deutschland rechnen aber nur wenige. Die Europäische Union als Ganzes hat die PKK als Terror-Organisation eingestuft, also müsste die EU das auch wieder einheitlich zurücknehmen. Aber schon in Deutschland selbst sieht es - trotz der jetzt möglicherweise beginnenden Diskussion - nicht nach einer Meinungsänderung der Regierung aus.
Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte der Neuen Rhein Zeitung, er sehe "keinen grundlegenden Wandel" der PKK. Dem bewaffneten Kampf habe sie nicht abgeschworen. Im Verfassungsschutzbericht der Bundesregierung steht zwar, dass die PKK seit über einem Jahr kaum noch gewaltsame Aktionen in Deutschland durchgeführt habe. Das Innenministerium stellte in dieser Woche aber noch einmal klar, die Kurdische Arbeiterpartei sei nach wie vor eine Gefahr für die innere Sicherheit.