Wie fühlt sich Europa an?
23. März 2007Der Lautsprecher des Bahnhofes kündigt den Zug der City Night Line nach Italien an. Von da aus geht die Suche nach Europa weiter durch Maastricht, Dorohusk und Brüssel. Der erste Halt ist aber Rom - das ehemalige Zentrum der Macht, der Regierungssitz Caesars. Er hat als erster Europa geeint, wenn auch mit Waffengewalt. Noch heute berufen sich Historiker auf das antike Rom, die griechisch-romanische Hochkultur, wenn sie den europäischen Geist, die gemeinsame europäische Identität beschwören.
Im Zug sitzen die ersten sonnenhungrigen Touristen: Niederländer, Ungarn, Deutsche - oder einfach Europäer? Eine Ungarin sagt, sie fühle sich wie eine Europäerin - halb, halb jedenfalls. "Ich meine, wie man in Ungarn und in Deutschland denkt, ist das gleiche." Die Ökonomie und das Leben und wie viel Geld die Leute haben, das sei etwas anders. In Ungarn seien die Leute noch ein bisschen ärmer. Ein Italiener sagt, er fühle sich mehr italienisch als europäisch. "Aber bevor es den Euro gab, hatte man eher das Gefühl, dass man sich in unterschiedlichen Ländern aufhält." Heute gebe es überall den Euro und dadurch fühle man sich ein wenig wie zuhause.
Aufklärung schuf den europäischen Menschen
Kurz hinter Mannheim zieht eine niederländische Schulklasse durch den Liegewagen. Die Schüler sind bereits in Schlafanzügen. Einer von ihnen sagt, europäische Identität bedeute für ihn nichts. Dann fällt ihm doch noch etwas ein: "Euromünzen", sagt er.
Wissenschaftler verweisen meist auf historische Grundlagen, wenn sie nach europäischer Identität gefragt werden: Sie nennen die griechisch-romanische Antike mit ihren Wissenschaftlern, Künstlern und Philosophen. Außerdem beschreiben sie die spätere christliche Religion als ideologisches Abgrenzungskriterium gegenüber dem Osten. Für die Neuzeit nennen sie die Aufklärung als Grundlage für unser europäisches Bild vom Menschen als selbstbestimmtes, freies Subjekt, von dem sich auch die Menschenrechte ableiten. Doch wie viel Bedeutung haben die gemeinsamen kulturelle Werte, hat Europa und die Europäische Union für seine Bürger heute noch?
Die Geburt der EG
Der Kapitolshügel in Rom war schon in der Antike das Zentrum der Stadt. An diesem Nachmittag führt ein österreichischer Lateinlehrer seine motivierten Elftklässler über den Platz. "Zu unserer Linken das Gebäude, das die eigentliche Bezeichnung Kapitolinische Museen trägt, zur Rechten der Konservatorenpalast, hier der Senatorenpalast der römischen Stadtregierung…."
Der Lehrer spricht über einen symbolträchtigen Ort. Hier wurden 1957 die Römischen Verträge von Italien, Frankreich, den Beneluxstaaten und Deutschland unterzeichnet und damit die Grundlage für die Europäische Gemeinschaft geschaffen. Die Ziele der Römischen Verträge gelten bis heute: Der engere Zusammenschluss der europäischen Völker, wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt und somit die Verbesserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen. Außerdem die Wahrung von Frieden und Freiheit. Institutionell stand die Europäische Gemeinschaft zunächst auf zwei Säulen: einem gemeinsamen Wirtschaftsmarkt, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, und einem Vertrag über die friedliche Nutzung von Atomenergie, der Euratom. Die Römischen Verträge gelten heute als Startpunkt eines geeinten Europas.
Die Idee " Europa" ist mindestens 500 Jahre alt
Die Idee ist schon sehr viel älter: Bereits vor 500 Jahren hatte der niederländische Philosoph Erasmus von Rotterdam zu einem Europäischen Völkerbund aufgerufen. Später traten Montesquieu, Leibniz und auch Victor Hugo für ein geeintes Europa ein. "Der Tag wird kommen, an dem du, Frankreich, du, Russland, du, Italien, du, England und du, Deutschland, all ihr Völker dieses Erdteils, zu einer höheren Einheit verschmelzen werdet, ohne eure verschiedenen Vorzüge und eure ruhmreiche Einzigartigkeit einzubüßen, und ihr werdet eine europäische Bruderschaft bilden…", sagte Europa-Vater Hugo einst. Als er 1851 zur Gründung der Vereinigten Staaten von Europa aufrief, erntete er nur Hohn und Spott.
In den europäischen Staaten erstarkte das Nationalbewusstsein, das im deutsch-französischen Krieg und später im Ersten und Zweiten Weltkrieg mündete. Erst danach wurde die Vision eines friedlichen und geeinten Europas Wirklichkeit: Mit der Gründung des Europarats, der Montanunion und schließlich der Unterzeichnung der Römischen Verträge. "Ich glaube, dass zum ersten Male in der Geschichte, Geschichte der Länder der letzten Jahrhunderte, Länder freiwillig und ohne Zwang auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten wollen", sagte Konrad Adenauer 1951 im Deutschen Bundestag. Dieser Vorgang erscheine ihm wie das Ende des Nationalismus.
Erfahren Sie im zweiten Teil dieser Reise etwas über das Städtchen Maastricht, dass dem Vertrag über die Europäische Union vor 15 Jahren seinen Namen gab. Wie hat sich Maastricht durch diese neue Bekanntheit verändert?
Mit dem Zug geht es weiter nach Maastricht. 46 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge wurde das kleine, gemütliche Städtchen mit etwa 120.000 Einwohnern wegen der Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union bekannt. Die 23-Jährige Stefanie Eich studiert hier European Studies. Sie sagt, die Maastrichter würden die Bekanntheit heute für sich und das Image ihrer Stadt nutzen. "Selbst auf dem Freithof, so der Hauptplatz der Stadt, sind Sterne in den Boden eingelassen. Und die Sterne, die ja eigentlich zur EU-Fahne gehören, sind auch irgendwie Symbole der Stadt." Stefanie und ihre Kommilitonen sitzen in einem kleinen Straßencafé und trinken "Kaffee verkehrt". Dass sie in diesem verschlafenen Städtchen studieren, verdanken sie dem europäischen Image von Maastricht.
Vertrag von Maastricht - EU wird gegründet
Vor dem Maastrichter Vertragswerk ging die europäische Einigung in kleinen Schritten voran. Weitere Länder traten der Gemeinschaft bei und das Ziel eines gemeinsamen Marktes wurde langsam umgesetzt: 1968 wurden die Binnenzölle abgeschafft, 1979 das Europäische Währungssystem eingeführt. In den 80er Jahren wuchsen die Probleme: Es kam zu Wirtschaftskrisen in den Mitgliedsstaaten, die EG-Institutionen waren nach mehreren Erweiterungsrunden zu ineffizient. Das Wort Eurosklerose machte die Runde. Erst 1992 gelang den mittlerweile 12 Mitgliedsstaaten mit den Maastrichter Verträgen ein großer Schritt nach vorn.
Die Europa-Uni ist nur ein paar Meter vom Studenten-Café entfernt. Hier unterrichtet die Dozentin Madalina Ivanica. Sie ist aus Rumänien nach Maastricht gekommen und kann die große Bedeutung der vor 15 Jahren geschlossenen Verträge nur so runterrattern: "Sie führten das Drei-Säulen-System ein, also eine gemeinsame Sicherheits- und Innenpolitik." So seien innenpolitische Belange der Mitgliedsstaaten zu EU-Politik geworden. "Der Vertrag hob auch andere Gebiete auf EU-Ebene, wie etwa Umwelt und Sozialpolitik." Der Vertrag habe die EU-Kompetenzen also von der reinen Wirtschaftsebene auf andere Bereiche ausgeweitet. Deswegen glaubt Madalina Ivanica, dass Maastricht ein Meilenstein in der Geschichte war.
Europäische Identität durch den Euro?
Auch dass mit den Verträgen von 1992 aus der Wirtschaftsgemeinschaft eine politische Union werden sollte, beschreibt sie: "Außerdem bewirkte Maastricht Änderungen in der institutionellen Struktur." Das Parlament habe durch die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens mehr Macht bekommen, was auch mehr Legitimation durch die Europäischen Bürger bedeutet habe.
Darüber hinaus wurden in Maastricht die Termine für die Einführung der gemeinsamen Währung, des Euros, festgelegt. Eigentlich nur Münzen und Scheine im einheitlichen Design, jedoch hat kaum etwas die Europäer näher zueinander rücken lassen. Das findet auch eine Studentin von Madalina Ivanica, die sich an einen Artikel erinnert, den sie am Anfang ihres Studiums gelesen habe, wie sie sagt: "Darin ging es darum, wie Geld die Identität formt und ich fand es furchtbar albern. Aber seit wir den Euro haben, finde ich, es ist wahr." Stefanie Eich glaubt, dass das europäische Gefühl sich auch dann einstellt, wenn man sein eigenes Land verlässt. "Ich bin jetzt auch schon das vierte Jahr im Ausland und es ist auch schon das dritte Land." Die Studenten fühlen sich nicht nur als Europäer, für sie ist Europa ein Lebenskonzept. Wenn man von einer neuen, europäischen Generation sprechen möchte: Hier in diesem Maastrichter Studentencafé sitzt sie.
Treffen Sie im dritten Teil dieser Reise den polnischen Krystof Lecki und auch einige Bewohner des polnischen Dorohusk. Was hat sich in Osteuropa verändert, seit der Eiserne Vorhang gefallen ist?
Früher endete die Europäische Gemeinschaft schon am Eisernen Vorhang - dahinter die DDR, dann Polen und Russland - eine unbekannte Welt. Wie sieht diese Welt heute aus? An einer Autobahnraststätte auf der A2 kurz hinter Wolfsburg stehen jede Menge Trucks mit unterschiedlichsten Europa-Kennzeichen: Niederländer, Deutsche, Polen, Russen, Tschechen. Die Fahrer machen Pause, trinken Kaffee, palavern in kleinen Gruppen - bis es für sie weiter geht, quer durch Europa. Truck-Fahrer kennen nur das Straßennetz, das sich von Faro bis nach Italien, vom Ural bis nach Portugal zieht. Der 53-jährige Pole Krystof Lecki ist schon seit 35 Jahren auf Achse. "Viele denken daher, wir können so viel besichtigen, würden ganz Europa schon kennen. Das stimmt nicht." Truckfahrer würden von den Ländern nur die Autobahnen kennen.
Lecki beschreibt, woran sie merken, dass Polen jetzt zur EU gehört: "Wir müssen nicht mehr, wie vor dem Beitritt zur EU, an der Grenze warten." Manchmal habe er drei oder sogar vier Tage an der Grenze warten müssen, um aus Polen nach Deutschland oder aus Deutschland nach Polen zu fahren. Jetzt gehe das schneller.
Wo sind die Grenzen der EU?
Ende des Zweiten Weltkriegs, 1945: Der Kalte Krieg beginnt den Kontinent in Ost und West zu spalten. Für die junge Bundesrepublik unter Bundeskanzler Konrad Adenauer verheißt die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft Schutz und Stärkung gegenüber dem Osten. Für die DDR eine Provokation. Der Präsident der DDR, Wilhelm Pieck: "Alle Losungen von der Vereinigung Europas, von der europäischen Industrie und der europäischen Armee, enthalten nur einen realen Kern." Das sei die Bildung des aggressiven Kriegsblocks. Es seien die Losungen mit denen die Völker ins Lager des Krieges gelockt würden sollen, beschrieb Pieck.
Erst im Zuge der Annährungspolitik Willy Brandts begannen die starren Fronten langsam aufzubrechen. 1989 schwindet der eiserne Vorhang und etliche neue Länder wollen in die EU. Eine Entwicklung, die die alten EU-Staaten verunsichert. Mit ihr beginnt die Debatte, wo die Grenzen der EU sind, die bis heute aktuell ist. Helmut Kohl sprach in seiner Regierungserklärung 1991 darüber: "Meine Damen und Herren, natürlich wissen wir alle, dass die Europäische Gemeinschaft nicht das ganze Europa ist. Deshalb muss die Gemeinschaft offen sein und zwar grundsätzlich offen sein für andere europäische Länder."
In Dorohusk hält sich die Begeisterung in Grenzen
2004 treten zehn weitere Staaten der EU bei. Seit drei Monaten sind außerdem Rumänien und Bulgarien Mitglieder. Die Grenze der EU hat sich von Deutschland aus um mehr als 800 Kilometer nach Osten verschoben. Warschau boomt, es gibt unterirdische Hauptbahnhöfe und postmoderne Hochhausschluchten. An Polens ukrainischer Grenze liegt das Dorf Dorohusk. Seit drei Jahren endet hier die EU. Seitdem scheint sich nichts geändert zu haben. Auf der Hauptstraße gibt es eine Drogerie, ein kleines Bekleidungsgeschäft und einen Lebensmittelladen. Der 60-jährige Wladyslaw Cieplinski sitzt auf einer Bank vor den Läden und genießt die ersten warmen Tage. "Ich fühle mich nach dem EU-Beitritt genau wie vorher. Für mich hat sich hier nichts geändert." Es sei nur eine neue Straße gebaut worden, sonst nichts. "Früher fuhren alle Autos durchs Dorf, jetzt fahren die Autos nicht mehr direkt vor unseren Häusern, sie stören uns nicht mehr."
Doch von dem wirtschaftlichen Aufschwung in Polen ist nichts zu sehen. Eigentlich müssten hier begeisterte Europäer anzutreffen sein. Denn laut einer Umfrage sehen sich 70 Prozent der Polen als entschiedene Befürworter der Gemeinschaft - ein Spitzenwert unter den Mitgliedsstaaten. Doch in Dorohusk hält sich die Begeisterung in Grenzen. Vor dem EU-Beitritt profitierte das Dorf immerhin noch vom Grenzverkehr. Der ist heute weitgehend versiegt. Wladyslaw Cieplinski erzäht, früher sei er häufiger in die Ukraine gefahren. "Jetzt geht es nichts mehr so oft, denn früher konnte man noch mit dem Fahrrad über die Grenze, heute nur noch mit dem Auto." Wenn er heute rüber fährt, kaufe er eine Flasche Wodka, eine Stange Zigaretten oder Hosen. Die seien dort viel billiger als in Polen. "Vor dem Beitritt konnte ich mehr Zigaretten mitbringen. Jetzt kontrolliert der Grenzschutz sehr genau."
Die Verkäuferin im Lebensmittelladen sieht das ähnlich: "Ich fühle, dass die EU hier bei uns endet, das spüre ich sehr gut. Ich denke im Westen Polens merken die Leute mehr vom EU-Beitritt." Sie sagt, sie würde sich gerne wie eine Europäerin fühlen, fühle sich aber nicht so. "Ich hoffe aber, dass die EU auch zu uns hier kommt und sich hier auch einiges ändert." Sie wünsche sich, dass die Leute im Osten Polens zumindest so leben können, wie die im westlichen Polen. "Wenn wir mehr verdienen würden, würden wir die EU stärker spüren, denn dann könnten wir ins Ausland reisen."
Erfahren Sie im vierten Teil dieser Reise etwas über das EU-Parlament in Brüssel. Wie viele unserer Gesetze werden eigentlich auf EU-Ebene bearbeitet?
Die Reise geht weiter nach Brüssel: Im Regierungsviertel schieben sich EU-Beamte in Anzug und Kostümchen durch die Sicherheitsschleusen im Foyer des Europäischen Parlaments. Eine Besuchergruppe, Nachwuchsjournalisten aus Rheinland-Pfalz, wartet auf ihre Führung. Jemand vergleicht die Architektur des Gebäudes mit einem Raumschiff: "Glasbauten, Glas, Stahl, Beton, mitten in die alte Stadt reingefallen, ja, und ein extra Viertel, eine eigene Welt, die für sich funktioniert."
Selbst hier, im vermeintlichen Herzen der Union, scheint Europa weit weg. Nach 50 Jahren europäischer Einigung und zwei gescheiterten Verfassungsreferenden haben auch die Brüsseler Regierungsbeamten erkannt, dass die EU ein Kommunikationsproblem hat. Kommissionspräsident José Manuel Barroso und seine Kommissarin Margot Wallström riefen den "Plan D" aus: Diskussion, Debatte, Demokratie. Mit Besucherführungen, Diskussionsforen und Informationsveranstaltungen versucht die EU sich selbst zu erklären und so Europa den Bürgern schmackhaft zu machen. Denn Europa ist schwer zu vermitteln, gibt Kommunikationsreferentin Beate Gminder gegenüber der Journalistengruppe offen zu:
"Die EU selber kämpft mit einigen Problemen: Wir haben viele Sprachen, wir haben nicht immer ein bekanntes Gesicht, das in der Sprache des Landes reden kann und wir haben Themen, die schwierig sind."
"Die eigentliche Politik findet in Brüssel statt"
Dabei wird der Alltag eines jeden immer stärker durch europäisches Recht beeinflusst, sagt auch Lokaljournalist Wolfgang Kreilinger. Deswegen nimmt er an der Führung durch die EU-Institutionen teil. "Was Lesern nicht bewusst ist: dass 70 bis 80 Prozent der Gesetze, die im Bundestag verabschiedet werden, in Brüssel vorbereitet werden." Die eigentliche Politik, die Auswirkung auf den Bürger hat, finde deshalb nicht mehr in Berlin statt, sondern in Brüssel, erklärt Kreilinger. Beispiele für EU-Entscheidungen sind, dass wir im Ausland bald günstiger telefonieren können, dass Städte sich an Feinstaub-Grenzwerte halten müssen und dass wir im Ausland problemlos arbeiten können.
Doch was von der EU und was von nationalen Regierungen letztendlich beschlossen wurde, ist schwer zu unterscheiden. Darüber beschweren sich fast alle hier in Brüssel: vom Kommissionsbeamten bis zum Parlamentarier, wie der Abgeordneten Hiltrud Breyer: "Wir erleben ja immer, dass nationale Politiker sich auf die Schulter klopfen, wenn es gut läuft, wenn nicht, wird der schwarze Peter nach Brüssel auf die Europäische Union geschoben." So sei das nicht richtig, sagt sie.
Zweifel an der demokratischen Legitimation der EU
Ist das schlechte Image Brüssels also nur auf ein Kommunikationsproblem zurückzuführen oder liegt es auch daran, wie Entscheidungen innerhalb der EU zustande kommen? Der deutsche Industrie-Kommissar Günther Verheugen monierte im vergangenen Herbst, Entscheidungen würden nicht von demokratisch legitimierten Politikern, sondern von irgendwie beförderten Beamten getroffen. Seine Kritik hat eine Debatte über die demokratische Legitimation der EU in Gang gesetzt. Zu Beginn beruhte die Europäische Gemeinschaft ausschließlich auf Entscheidungen der nationalen Regierungen. Als jedoch immer mehr nationale Entscheidungsgewalt an die Union abgetreten wurde, fehlte mehr und mehr demokratische Legitimation. Seit 1979 wählen die EU-Bürger zwar das Europäische Parlament direkt, und auch die Entscheidungsgewalt des Parlaments hat zugenommen, seine Macht ist aber noch lange nicht mit der eines Abgeordnetenhauses wie dem Bundestag vergleichbar. Einige Bürger wie Matthias Freudigmann wollen das jetzt ändern. Sie haben die erste länderübergreifende Partei gegründet: die Newropeans. "Das Hauptziel ist, die Institutionen, die Art wie in Europa Politik gemacht wird, zu verändern", erklärt er. Das Kernelement dafür sei es, den Weg aufzuzeigen, zu einem System mit einer EU-Regierung mit einem Parlament das eine echte Legislative ist und mit einer Regierung, die vom Parlament gewählt wird, beschreibt er weiter.
Falls die Newropeans 2009 ins Parlament gewählt werden, wollen sie dafür sorgen, dass die Kommission abgeschafft wird. So sollen die Bürger letztlich vollständig in der EU das Sagen haben. Angesichts der Tatsache, dass bisher nicht mal die Verfassung verabschiedet wurde, die einen moderateren Umbau der EU verfolgt, klingen die Ideen der Newropeans noch wie ein naiver Traum. Doch sie glauben, dass Europa nur so eine Zukunft hat.
Vielfalt macht Europa besonders
Die Journalistengruppe aus Rheinland-Pfalz hat zwei Tage EU-Crashkurs überstanden. Sie wissen jetzt Bescheid über Roaming-Gebühren, Weinreform und die aktuelle EU-Forschungsinitiative. Zum Abschhied machen sie noch ein Gruppenfoto vor der blauen EU-Flagge im Vorraum des Parlaments, dann geht es zurück nach Ludwigshafen, Frankfurt und Zweibrücken. Zumindest bei dieser Gruppe ist Plan D - Diskussion, Debatte, Demokratie - aufgegangen. Für die jungen Journalisten ist die EU "… ein tolles Projekt, das in der Vergangenheit fiktiv war, weit, weit weg. Das aber auch gezeigt hat, wie wichtig es ist, dass über 20 Nationen an einem Strang ziehen", beschreibt einer von ihnen. Beim Rausgehen stoßen die Journalisten fast mit einer japanischen Reisegruppe zusammen, die erstaunt vor einer knapp drei Meteer hohen Bronzetafel steht. Europäisches Parlament ist hier zu lesen, in allen 23 Amtssprachen. Die Japaner schütteln nur den Kopf. Dann zücken sie ihre Fotoapparate.
27 Länder, 27 Meinungen, 27 unterschiedliche Lebensweisen - vielleicht ist es gerade diese Vielfalt, die Europa und die EU so kompliziert und unnahbar, aber auch so besonders macht.