Anti-Terror-Rezept gesucht
26. September 2014Es waren ungewohnt deutliche Warnungen, die der deutsche Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen in dieser Woche aussprach: Heimkehrende Dschihadisten seien eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland, sagte der oberste Verfassungsschützer in Berlin. Der Zulauf zur Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) wachse: "Wir haben Erkenntnisse, dass weit über 450 Personen schon ausgereist sind in Richtung Syrien und Irak", sagte er dem Fernsehsender N24. Maaßen spricht von jungen Männern, die "absolut verroht" seien und "sicherlich auch in der Lage, hier in Deutschland schwere Straftaten zu begehen." Ist Deutschland durch die Beteiligung am Anti-Terror-Kampf tatsächlich ins Fadenkreuz des IS geraten? In einer repräsentativen N24-Emnid-Umfrage befürchten 58 Prozent der Deutschen, dass das Terrorrisiko in Deutschland durch die Waffenlieferungen an die Peschmerga gestiegen ist.
Als Reaktion auf die zumindest psychologisch gewachsene Bedrohung will die deutsche Regierung jetzt Gesetze verschärfen: Die stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Eva Högl sagte, die Regierungskoalition habe sich auf "eine Reihe von Schritten geeinigt, um noch besser gegen Islamisten vorgehen zu können".
Die Bundesregierung will prüfen, ob es möglich ist, Islamisten mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche zu entziehen - eine rechtlich ziemlich heikle Angelegenheit. Bereits seit längerem ist in der Diskussion, die Personalausweise von Dschihadisten zu kennzeichnen und sie auf diesem Wege daran zu hindern, über die Türkei auszureisen. Die Grünen haben die Bundesregierung aufgefordert, diese Maßnahme möglichst schnell zu beschließen: "Das hätte schon längst passieren sollen und wäre viel effektiver als diese endlose Debatte über die Ausbürgerung von Dschihad-Rückkehrern", sagte der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck.
Union drückt aufs Tempo
Nach dem Willen des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion Thomas Strobl sollte die Werbung für terroristische Organisationen generell unter Strafe stehen. Außerdem müssten strafrechtliche Hürden gesenkt werden, wenn es um die Ausbildung in Terrorcamps gehe: "Wir müssen das Strafrecht und besonders die Strafprozessordnung einem Islamisten-TÜV unterziehen". Die rechtsstaatlichen Mittel müssten "nachgeschärft" werden. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte dem Nachrichtenportal "Spiegel Online" zwar zu, diese Möglichkeiten prüfen zu wollen. Er mahnte aber gleichzeitig, die Maßstäbe des Rechtsstaats hoch zu halten. Es sei schließlich ein Ziel von Islamisten, dass Freiheit und Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt würden.
Bei der derzeitigen Rechtslage sei es aber oftmals schwierig, gegen mögliche IS-Sympathisanten Ausreisesperren zu verhängen, sagte der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes Burkhard Freier: "Wir müssen gerichtsfest nachweisen, dass jemand nach Syrien ausreist, um zu kämpfen", so Freier im DW-Interview. "Das können wir nicht immer. In so einem Fall reisen diese jungen Männer aus, ohne dass wir sie daran hindern können." Die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen stehen in besonderem Maße unter Druck: Ein großer Teil der deutschen Dschihadisten stammt aus dem Bundesland. Burkhard Freier wehrt sich aber gegen den Eindruck, der gewaltbereite Salafismus betreffe vor allem Deutschland: "Die Ausreise und Rückkehr von Dschihadisten ist ein europäisches Problem. Aus den Ländern Frankreich, Niederlande und Belgien zum Beispiel sind viel mehr ausgereist als aus Deutschland."
Europäisches Problem, nationale Strategien
Das bestätigte jetzt auch der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove: Die meisten europäischen Kämpfer der Extremisten im Nahen Osten kämen neben Deutschland auch aus Frankreich, Großbritannien, Schweden und Dänemark, sagte er dem britischen Fernsehsender BBC. Weniger stark, aber dennoch spürbar sei der Zustrom aus Spanien, Italien, Irland und Österreich. Europaweit, so seine Schätzung, seien rund 3000 EU-Bürger nach Syrien und in den Irak gereist. Die Zahl der Rückkehrer soll bei 120 Personen liegen, etwa 25 von ihnen waren in Kampfhandlungen verwickelt oder haben eine Ausbildung als Terrorkämpfer erhalten. De Kerchove glaubt außerdem, dass die Luftschläge der USA und deren Verbündeten die Gefahr von terroristischen Angriffen auf europäische Ziele steigen lässt.
Mehrere europäische Staaten haben aus diesem Grund den Fahndungsdruck deutlich erhöht. Allerorten bemüht man sich, anhand von Verhaftungen und Anklagen zu demonstrieren, dass man die Lage im Griff hat: In Großbritannien nahm aktuell die Polizei bei einem Anti-Terror- Einsatz zwei Männer fest, denen "Anstiftung zum Terrorismus" vorgeworfen wird. Die spanische Regierung konnte die Festnahme von neun mutmaßlichen Dschihadisten verkünden, die in Verbindung zum IS stehen sollen. Die Gruppierung ist in der spanischen Exklave Melilla und der benachbarten marokkanischen Stadt Nador aktiv gewesen. Schätzungen zufolge kämpfen derzeit etwa 1500 bis 2000 marokkanische Dschihadisten im Verbund mit dem IS und anderen Gruppen in Syrien und im Irak. Die Regierung in Marokko fürchtet ebenso wie viele europäische Staaten, dass Rückkehrer in ihren Heimatländern Anschläge verüben könnten.
Die belgischen Behörden gehen laut der belgischen Tageszeitung "L'Echo" davon aus, dass bis zu 400 Belgier als Kämpfer nach Syrien gereist sind. Rund 90 von ihnen seien bisher zurückgekehrt. Bereits im Mai hatte ein algerischstämmiger Franzose einen Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel verübt. "Wir arbeiten rund um die Uhr an dem Problem der zurückgekehrten Kämpfer", sagte ein Vertreter der Justizbehörden. Die belgischen Sicherheitsbehörden sollen laut Medienberichten bereits mehrere Attentate von Dschihadisten vereitelt haben, darunter einen Anschlag auf das Gebäude der EU-Kommission.
Sicherheitsvorkehrungen und schärfere Gesetze
Nicht erst seit der Enthauptung eines französischen Touristen durch Terroristen in Algerien sieht sich Frankreich als Haupt-Zielscheibe der Islamisten: nicht nur weil es sich als bisher einziges europäisches Land den US-Luftangriffen auf den IS im Irak angeschlossen hat. Aus Frankreich kommen auch mehr IS-Kämpfer als aus jedem anderen europäischen Land. Das Innenministerium gab deren Zahl zuletzt mit 930 an, etwa 180 sollen Syrien wieder verlassen und teils zurück in Frankreich sein.
Die Anschlagsgefahr in Frankreich durch solche IS-Anhänger wird in Sicherheitskreisen sehr ernst genommen. Im Rahmen des Terrorabwehrprogramms "Vigipirate" wurden die Patrouillen an sicherheitstechnisch relevanten Orten wie Sehenswürdigkeiten, Flughäfen und Bahnhöfen mittlerweile erhöht. Der britische Premier David Cameron bezeichnete die IS-Anhänger als "größte Bedrohung für Großbritannien". Das Land will nun mit härteren Anti- Terror-Gesetzen den Zustrom von Briten zur Terrororganisation IS stoppen.
Seit dieser Woche sind ohnehin alle EU-Staaten dazu verpflichtet, alles Nötige gegen "reisende Dschihadisten" zu unternehmen: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verpflichtete die Mitglieder am Mittwoch einstimmig zu schärferen Grenzkontrollen und Überprüfungen. Danach müssen Rekrutierung, Transport, Durchreise, Organisierung und Ausrüstung von Terroristen unterbunden und bekämpft werden