Auf den Spuren Friedrich Schillers
31. Juli 2014Vier Jahre ist es her, dass der Kostümfilm "Goethe!" die Zuschauer in die Kinos strömen ließ. Ein deutscher Film über einen Dichterfürsten der Klassik - kann das funktionieren? Viele waren damals skeptisch. Doch "Goethe!" von Regisseur Philipp Stölzl mit dem jungen Alexander Fehling in der Titelrolle entwickelte sich zum Überraschungserfolg an den Kinokassen. Auch weil Stölzl einen flott inszenierten Film gedreht hatte, der die Liebesbandel des Dichters in den Vordergrund stellte und nicht dessen schriftstellerische Großtaten.
Sensibles Melodram
Auf Liebe statt klassische Literatur, auf Gefühl statt Geistesergüsse hat auch Dominik Graf gesetzt. Doch sein Film "Die geliebten Schwestern" ist kein rührseliger Schmachtfetzen über das Privatleben eines berühmten Dichters, sondern ein feinsinniges, sensibel inszeniertes Melodram über Schiller und seine Gefühlswelt. Regisseur Graf hat sich nicht davor gescheut, Dialogen und Gedanken, der Sprache in ihrem ursprünglichen Sinne, viel Platz Raum einzuräumen: "Die Hauptrolle im Film spielen die Worte" sagte der Regisseur bei der Welturaufführung seines Films bei den Berliner Filmfestspielen im Februar.
Jetzt kommt "Die geliebten Schwestern" ins Kino, hat im Vergleich zur Berlinale-Fassung (170 Minuten) ein halbe Stunde verloren - wohl auch ein Zugeständnis an das Publikum. Nach der Berlin-Premiere waren die Kritiken zwar überwiegend positiv, doch wurde häufig bemängelt, dass der Film ein wenig zu lang sei. Regisseur Dominik Graf ist seit Jahren einer der versiertesten deutschen Film- und Fernsehregisseure, doch drei Stunden Klassik im Kino, das war dem Filmverleih wohl doch ein wenig zu risikoreich.
Verkauft in viele Länder
Graf-Fans müssen aber nicht verzweifeln: eine noch längere TV-Version soll später in mehreren Teilen ins Fernsehen kommen. Auch das rege Interesse des Auslands nach der Premiere in Berlin dürfte die Produzenten des Films optimistisch für den nun bevorstehenden Kinoeinsatz stimmen: "Die geliebten Schwestern" wurde bereits in mehrere Länder verkauft, auch in die USA.
Die Geschichte, die Graf erzählt, beginnt im Jahre 1788 im thüringischen Rudolstadt. Caroline von Beulwitz und Charlotte von Lengefeld, zwei adelige, aber mittellose Schwestern, verleben mit Friedrich Schiller, der sich noch am Anfang seiner Schriftstellerlaufbahn befindet, einen Sommer des Glücks: eine Liebe zu Dritt, eine Utopie des freien Zusammenlebens, den Versuch, bürgerliche Grenzen und Konventionen zu überwinden. Die drei reden, diskutieren, streifen durch die Wälder, sprechen über Geist und Gefühl: Ihm sei es darum gegangen, zu zeigen, wie "über Gefühle gesprochen und geschrieben wird", so der Regisseur.
Duell der Worte
Graf hat sich dabei nicht nur darauf beschränkt, die Dialoge zwischen den drei Charakteren kunstvoll in Szene zu setzen. Gesprochen wird auch aus dem Off. Der Regisseur hat diesen Job selbst übernommen: "Weil ich eine so genaue Vorstellung hatte, wie das klingen muss, dass ich keinen Sprecher belästigen wollte. Ich bin zwar ein Sprech-Laie, hatte aber trotzdem den Eindruck, dass ich mich einmischen muss", meinte der Regisseur in Berlin. So dringt der Zuschauer tief ein in die Welt des Dichters, hört dessen Tagebuchaufzeichnungen, bekommt mit, was er in Briefen an die beiden geliebten Schwestern notiert.
Zwar hat Graf seinen Film als realistischen Historienfilm inszeniert, doch stand die Ausstattung nicht im Vordergrund: "Wenn sich die Schauspieler in so eine vergangene Welt einleben, nehmen sie die Sprache der Dialoge mit als die stärkste Form der Verkleidung. Das ist fast noch stärker als eine Perücke oder ein Kostüm." Da die Schauspieler die Sprache adaptiert hätten, habe sich bei ihnen das Bewusstsein für die Rollen und die Figuren geschärft, sagt Graf.
Freier Umgang mit der Historie
Und wie sieht es nun mit der Geisteswelt des Friedrich Schiller im Kino aus, mit dem realen Vorbild? Schließlich gilt der Verfasser so berühmter Dramen wie "Die Räuber" und "Maria Stuart" als der große Dichter der deutschen Klassik neben Goethe, beide wiederum stehen weltweit beispielhaft für "das Land der Dichter und Denker": "Es gibt eine Strickleiter von Events bei den drei Figuren, die man über die 13 erzählten Jahre herabgehen kann", sagt Graf: "Die habe ich aber manchmal durcheinander gewürfelt, weil ich es aus dramaturgischen Gesichtspunkten spannender fand. Insofern wird mir die Schillergemeinde vielleicht auf den Pelz rücken."
Graf ist sich durchaus bewusst, dass er dem einen oder anderen Schiller-Fachmann vor den Kopf stoßen wird. Doch Dominik Graf gilt als Regisseur, der das Risiko liebt. Sein stetiger Wechsel zwischen den Medien, zwischen Fernsehen und großer Leinwand, ist Ausdruck dafür. Graf dreht Kriminalfilme fürs Fernsehen ebenso wie Genrefilme mit Tiefe fürs Kino - und hat jetzt eben auch einen Historienfilm inszeniert: "Ich dachte mir: Ich mache es jetzt mal so. Eine andere Entschuldigung habe ich nicht." Die wäre wohl auch fehl am Platz - denn "Die geliebten Schwestern" ist ein gelungener deutscher Spielfilm über eine längst vergesse Epoche, ein Kunstwerk, das aber auch zu unterhalten weiß.