Regierung in Kabul weiter ohne Frauen
21. September 2021Insgesamt seien per Dekret 17 weitere Personen ins Kabinett berufen worden, sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid auf einer Pressekonferenz in Kabul. Dazu zählten auch Mitglieder von ethnischen Minderheiten wie den Hazaras. So gehörte einer der Stellvertreter im Gesundheitsministerium dieser Gruppe an. Bei der Auswahl der Stellvertreter sei vor allem auf die professionelle Eignung und technische Fertigkeiten geachtet worden. "Wir versuchen, das Kabinett weiter zu stärken, und so Gott will, werden Frauen für bestimmte Positionen in den erforderlichen Sektionen ernannt und eines Tages werden wir sie hier bekannt geben", fügte Mudschahid hinzu.
Die radikalen Islamisten hatten bereits vor zwei Wochen rund 30 Regierungsmitglieder vorgestellt, darunter keine einzige Frau und niemand aus einer anderen politischen Gruppierung. Westliche Staaten hatten eine sogenannte inklusive Regierung gefordert, der nicht nur Gefolgsleute der Taliban angehören. Die gesamte Europäische Union hat dies zur Bedingung für ein weiteres Engagement gemacht, etwa für die Zahlung von Entwicklungshilfe.
Der Sprecher stellte auch die Wiederöffnung der Schulen für Mädchen in Aussicht, ohne jedoch Einzelheiten oder Termine zu nennen. "Es wird so bald wie möglich geschehen", sagte er. Vergangene Woche hatten die Taliban männliche Lehrer und Schüler zurück in die Sekundarschulen beordert. Lehrerinnen und Schülerinnen fanden in dem Aufruf keine Erwähnung. Zudem ersetzten die Islamisten das bisherige Frauenministerium der afghanischen Regierung durch ein "Tugendministerium". Eine derartige Behörde war während der ersten Taliban-Herrschaft Ende der 1990er Jahre etwa für Auspeitschungen von Frauen verantwortlich.
Taliban legen Wert auf Anerkennung
Mudschahid rief ferner dazu auf, die Taliban-Regierung anzuerkennen. Es sei die Pflicht der internationalen Gemeinschaft und der Länder in der Region, mit der neuen afghanischen Führung diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Er hoffe darauf, dass dies in naher Zukunft geschehen werde.
Die Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 war unter anderem gekennzeichnet durch die systematische Unterdrückung der Frauen. Sie durften das Haus nur in Begleitung männlicher Angehöriger verlassen, mussten sich in der Öffentlichkeit unter einer Burka verhüllen und durften nicht arbeiten. Mädchen war der Schulbesuch verboten. Die Religionspolizei war dafür bekannt, Frauen auszupeitschen oder zu verprügeln, die sich nicht an die Regeln hielten. Viele Frauen befürchten seit der erneuten Machtübernahme der Islamisten, dass diese wieder ähnliche Regeln für sie einführen werden.
Die neue Taliban-Führung hat eine weniger strikte Auslegung des islamischen Rechts zugesagt und angekündigt, die Rechte von Frauen zu achten. Allerdings wurden Frauen seit der Machtübernahme angewiesen, zu ihrer eigenen Sicherheit zu Hause zu bleiben und nicht zur Arbeit zu kommen, bis eine Geschlechtertrennung umgesetzt werden könne. Die Taliban hatten nach dem Abzug der US-Truppen im August die Macht in Afghanistan übernommen und eine neue Regierung eingesetzt.
Neue Klagen über Menschenrechtsverletzungen
Unterdessen werfen drei Menschenrechtsorganisationen den Taliban vor, entgegen anderslautender Beteuerungen seit ihrer Machtübernahme zahlreiche Menschenrechtsverletzungen im Land begangen zu haben. Dies geht aus einem Bericht hervor, den Amnesty International, die Internationale Föderation für Menschenrechte (FIDH) sowie die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) veröffentlichten. Das Dokument basiert auf Interviews mit Betroffenen und einer Auswertung von Fotos, Videos, Satellitenbildern und Medienberichten aus der Zeit nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August.
Der Bericht dokumentiere das "Klima der Angst" unter Menschenrechtlern, Journalisten und Frauen, erklärte die stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow. Sie forderte die Bundesregierung auf, "alles in ihrer Macht Stehende" zu tun, um "durch die Taliban gefährdeten Menschen" Schutz in Deutschland zu ermöglichen.
"Büros und Wohnungen wurden durchsucht", berichtete Delphine Reculeau von OMCT über die Rechercheergebnisse. "Kollegen wurden verprügelt." Es gebe regelmäßige Drohanrufe und Drohbesuche der Taliban bei Menschenrechtlern und Journalisten, heißt es in dem Bericht. Zeugen berichten von Anweisungen der Taliban an afghanische Journalisten, nur noch in Übereinstimmung mit islamischen Gesetzen zu berichten, und von Arbeitsverboten für Frauen.
"In den etwas mehr als fünf Wochen seit der Übernahme der Kontrolle über Afghanistan haben die Taliban deutlich gezeigt, dass sie es mit dem Schutz und der Achtung der Menschenrechte nicht ernst meinen", erklärte Dinushika Dissanayake, stellvertretende Direktorin von Amnesty International für Südasien.
kle/ww (dpa, afp, ape, rtre)