Brüssel in der iranischen Zwickmühle
15. Mai 2018Der Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat einmal mehr gezeigt, dass Präsident Trump ohne Zögern europäische Interessen ignoriert. Deshalb stehen Europas Anführer jetzt vor der unerfreulichen Entscheidung, sich gegen Trump zu stellen, um das Abkommen zu retten, und dabei Sanktionen gegen alle zu riskieren, die mit oder im Iran Geschäfte machen - oder den Kurs Washingtons zu unterstützen, auch wenn es bedeutet, ein Abkommen aufzugeben, das ihnen wichtig und sinnvoll erscheint.
Um das Abkommen zu retten und ihr Gesicht zu wahren, müssen die europäischen Unterzeichnerstaaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland nun entscheiden, wie eng sie sich in dieser Sache an die Linie Moskaus, Pekings und Teherans annähern wollen. "Es ist der Versuch, die einzelnen Parteien des Abkommens gegeneinander auszuspielen, um schließlich von den Amerikanern einige Zugeständnisse zu erreichen, die das Abkommen auch ohne US-Beteiligung am Leben halten", sagt Julien Barnes-Dacey vom europäischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten.
"Die Nachricht an [den iranischen Außenminister Mohammed Dschawad] Sarif ist ganz klar", führt er weiter aus: "'Wagt es ja nicht, eure eigenen Verpflichtungen aus dem Abkommen aufzugeben und uns damit zu einer Neubeurteilung unserer Position zu zwingen. Wir müssen dem Iran sagen: Wir tun, was wir können; ihr müsst tun, was ihr könnt, und zusammen erarbeiten wir einen Rückfall-Plan."
"Verzwickt", aber einen Versuch wert
Im Gespräch mit der Deutschen Welle nennt Barnes-Dacey diesen Balanceakt "wirklich verzwickt", aber er rechnet damit, dass die europäischen Länder es versuchen werden. "Die Vorteile des Abkommens und die Nachteile, die aus einem Zerfall des Abkommens entstünden, sind so bedeutend", sagt er weiter, "dass ich glaube, dass die Europäer den Versuch wagen werden, selbst wenn die Erfolgsaussichten gering sind."
Das bedeutet möglicherweise, dass eine diplomatische Wagenburg um den Iran aus britischen, französischen und deutschen Wagen ebenso wie aus russischen und chinesischen Planwagen gebildet werden müsste. "Europa hat ein fundamentales strategisches Interesse, Elemente des Nuklearabkommens zu bewahren", sagt Barnes-Dacey. "Möglicherweise ist Russland Teil einer Lösung, selbst wenn es darum geht, die Amerikaner zurück ins Boot zu holen."
Das kann diejenigen EU-Länder ermutigen, die schon lange eine Lockerung oder sogar Aufhebung der Russland-Sanktionen fordern. "Das Risiko besteht", gesteht Roland Freudenstein ein, Politologe am Wilfried Martens Centre for European Studies. Er meint, dass man sich in Österreich, Griechenland, Ungarn, aber auch in einer neuen italienischen Regierung entsprechende Hoffnungen macht.
Russland profitiert diplomatisch
Wladimir Tschischow, der russische Botschafter bei der Europäischen Union, sagte der DW, er hoffe, dass zwischen der EU und Russland bald nicht nur "business as usual" herrschen würde, sondern "besser" als "usual".
Barnes-Dacey sieht mehrere Möglichkeiten, wie Russland aus der Lage Vorteile ziehen könnte: "Zum einen könnten die Unstimmigkeiten zwischen den Europäern und den Amerikanern verschärft werden, und ich glaube, es ist im russischen Interesse, das Abkommen entsprechend auszunutzen. Zum anderen könnten die Russen sich über eine strategische Beziehung mit dem Iran verstärkt in die Politik im Nahen Osten einmischen." Er erklärt, dass Trumps Entscheidung Wasser auf die Mühlen derer sei, "die schon lange argumentieren, man könne den Amerikanern nicht mehr trauen" und lieber "echte Vereinbarungen mit den Russen, die sich an ihre Abkommen halten" treffen wollen.
Europa wird nicht nachgeben
Freudenstein meint, der Kreml sollte sich nicht zu viele Hoffnungen machen. "Die Diplomaten aus den drei europäischen Ländern, die mit dem Iran-Abkommen befasst sind, finden es notwendig, mit Russland zu sprechen", sagt er. "Aber das wird nichts an den Positionen ändern, die Europa zur Ostukraine hat, zur Krimfrage und zu dem 'Hybrid-Krieg', den Russland gegen uns führt." Und er fügt eine Warnung hinzu: "Wenn wir unsere Differenzen mit Russland vergessen, wird das die Europäische Union zerreißen."
Cornelius Adebahr von der Denkfabrik Carnegie Europe glaubt nicht, dass viel mehr als ein Kuhhandel mit Russland herauskommen kann: "Es geht nicht etwa darum, eine Allianz neu zu gewichten, weil es gar keine Allianz mit Russland geben kann - und das werden die Europäer bald merken." Worum sich Europa aber wirklich Sorgen machen sollte, ist "die Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen."
Deshalb glaubt Barnes-Dacey auch, dass selbst ein starker Widerstand Europas gegen die US-Entscheidungen letztendlich in sich zusammenfallen wird, und begründet das mit der Unfähigkeit Europas, für sich selbst zu stehen. "Das Fehlen einer eigenen Verteidigungs-Infrastruktur und die angespannten Beziehungen zu Russland werden die Europäer dazu zwingen, die Entscheidungen der Amerikaner zu akzeptieren oder wenigstens nicht zu sehr in Frage zu stellen", sagt er voraus. "Sie müssen die strategische Partnerschaft bewahren, selbst wenn Trumps Handlungen als völlig hanebüchen angesehen werden."