Hanano: "20 Stunden bis zum Patienten"
24. September 2014DW: Frau Hanano, die Deutsche Welthungerhilfe ist in Liberia nicht nur in der Hauptstadt Monrovia, sondern auch in ländlichen Regionen tätig. Wie erleben Sie die Lage dort?
Asja Hanano: Die Situation im Hinterland ist sehr schlecht. Liberia hat 15 Provinzen. Jetzt wurden auch im letzten Bezirk, der am schwierigsten zugänglich ist, Ebola-Fälle festgestellt. Um in den Südosten zu gelangen braucht man in der Trockenzeit schon zehn bis zwölf Stunden. Momentan ist Regenzeit, da kann es bis zu 20 Stunden dauern, bis man sein Ziel erreicht. Der Zugang ist also sehr eingeschränkt und die Versorgung problematisch, nicht nur mit Nahrungsmitteln, auch mit Hilfsgütern.
Und wie ist es mit Ärzten, medizinischem Personal? Erreichen die Helfer denn die Provinzen?
Im Südosten gibt es kein einziges Behandlungszentrum. Das heißt, wenn ein Patient krank wird oder ein Verdacht auf Ebola besteht, muss er nach Monrovia. Es gibt momentan auch noch keine Möglichkeit, einen Bluttest vor Ort zu machen. Also muss der Test in einem langen Prozedere über den Landweg in die Hauptstadt geschickt werden. Es ist schwierig, Personal zu finden, aber nicht unmöglich. Und viele Liberianer wollen auch helfen. Sie wollen ihren Beitrag leisten, diese Epidemie einzudämmen.
Die Vorbehalte und Ängste gegenüber Helfern scheinen gerade außerhalb der Hauptstädte recht groß. In Guinea zum Beispiel sind Vertreter einer Aufklärungskampagne und Journalisten von aufgebrachten Dorfbewohnern getötet worden. Wie gut sind die Menschen auf dem Land denn überhaupt über Ebola informiert?
Je weiter man sich von der Hauptstadt wegbewegt, um so schlechter ist der Informationsstand. Wir haben mit unseren Aufklärungskampagnen einen großen Vorteil, da wir schon seit zehn Jahren in den ländlichen Gebieten arbeiten und in den Dörfern bekannt sind. Die Menschen kennen unsere Mitarbeiter vor Ort. Da ist es sehr viel einfacher, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und zu erreichen, dass uns auch geglaubt wird.
Welche Hilfe wird jetzt am nötigsten gebraucht?
Wir klären weiterhin auf in den Dörfern, dazu gehört auch die Verteilung von Sanitärmaterial und Desinfektionsmitteln. Gleichzeitig bringen wir den Leuten bei, wie sie aus lokalen Materialien, zum Beispiel Bambus, Handwaschanlagen bauen können. Was jetzt das Wichtigste ist: Wir wollen Ebola-Community-Care-Center bauen. Das sind fünf bis zehn Betten, die an die Kliniken angeschlossen sind. Denn möglicherweise infizierte Patienten müssen aus den Dörfern raus, damit sie nicht auch noch ihre Nachbarn anstecken.
Wenn Patienten in Dörfern, die sehr abgelegen sind, Ebola-Symptome aufweisen, dann müssen sie in die Versorgungszentren transportiert werden. Da helfen wir mit Krankenwagen und Benzin, um den Transport von Patienten gewährleisten zu können. Wir geben auch Versorgungspakete aus mit Sanitär- und Hygienematerialien, so dass ein Patient sicher zu Fuß oder mit dem Motorrad begleitet werden kann. Was wir vorhaben, sind Solidaritätspakete für Familien, die einen Ebolapatienten bei sich hatten. Abgesehen von dem moralischen Schaden hat das ja auch finanzielle Auswirkungen. Diese Familien versorgen wir mit Essen, einer neuen Matratze, mit Kleidung.
Medizinisches Gerät aus Europa ist unterwegs, medizinisches Personal ebenfalls, verschiedene Hilfsorganisationen sind im Land tätig - wie funktioniert die Koordination von Hilfsgütern und Personal?
Es gibt sehr viele Koordinierungsgremien. Die Weltgesundheitsorganisation zusammen mit dem Zentrum für Krankheitskontrolle und dem liberianischen Gesundheitsministerium organisieren Treffen, in denen koordiniert wird, wer sich um Patienten oder die Zentren oder Prävention kümmert. Es sind schon sehr viele Organisationen im Land. Viele haben ihre normale Arbeit eingestellt und konzentrieren sich auf die Ebola-Arbeit. Anfänglich war die Koordinierung nicht so gut. Das ist aber üblich bei Krisensituationen, wo man erst einmal unter Schock steht und sich organisieren muss. Aber inzwischen klappt das sehr gut auch auf Provinzebene.
Momentan geht es sicher darum, die unmittelbare Ausbreitung der Epidemie zu stoppen. Aber können Sie auch schon absehen, welche Folgen die derzeitige Krise haben wird?
Die Nahrungsmittelsituation in Liberia ist ohnehin sehr problematisch. Liberia produziert nicht sehr viel, ist also stark auf Importe angewiesen. Reis zum Beispiel ist schon doppelt so teuer wie zuvor. Die Märkte sind abgeschnitten, der Verkehr funktioniert nicht gut. Im Nordwesten, ein traditionelles Reisanbaugebiet, greift die Epidemie so stark um sich, dass die Menschen ihre Felder nicht mehr bestellen können. So wird es sicherlich zu einer Nahrungsmittelknappheit kommen.
Asja Hanano ist Landesdirektorin der Deutschen Welthungerhilfe in Liberia und seit 2011 im Land. Bevor sie Direktorin wurde, leitete Hanano das Welthungerhilfe-Projekt in Fishtown, einer Stadt in der Provinz River Gee im Südosten Liberias.
Das Interview führte Stefanie Duckstein.