ASEAN-Gipfel beginnt mit Verhaftungen
28. Oktober 2010Sie kamen kurz bevor der Gipfel der ASEAN-Staaten am Donnerstag (28.10.2010) in Hanoi begann. Morgens teilte die Ehefrau des Dissidenten Vi Duc Hoi der Nachrichtenagentur AFP mit, ihr Mann sei von der Polizei verhaftet worden. Hoi war Mitglied der Kommunistischen Partei, bevor er sich 2007 der Dissidentenszene anschloss. "Er wird der Propaganda gegen den sozialistischen Staat bezichtigt", sagte seine Frau der Agentur. Bereits in den vergangenen Tagen waren zwei bekannte Blogger verhaftet worden. Und der Internetaktivist Nguyen Van Hai, dessen Haftstrafe eigentlich Mitte Oktober endete, muss vorerst im Gefängnis bleiben. Hai sitzt seit 2008 in Haft, weil er mehrfach über das schwierige Verhältnis Vietnams zu China geschrieben und außerdem mit anderen Bloggern einen "Club der freien Journalisten" gegründet hatte.
"Besorgnis" der USA
"Die vietnamesischen Blogger nutzen internationale Ereignisse oft, um auf die Menschenrechtssituation in Vietnam aufmerksam zu machen", sagt Vu Quoc Dung, Asien-Referent der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt. Die Regierung reagiere deshalb vor Großereignissen wie dem ASEAN-Gipfel äußerst nervös. "Wir erleben seit zwei Jahren eine verschäfte Repression."
Seit 2007 geht die Regierung massiv gegen Blogger und unabhängige Gewerkschaften vor - kurz zuvor war das Land der Welthandelsorganisation beigetreten. Mit den jüngsten Verhaftungen hat die Regierung aber diesmal wohl selbst die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtslage gelenkt, zumal zwei Gerichte in dieser Woche drakonische Urteile gegen Arbeiteraktivisten und Katholiken fällten. Mehrere amerikanische Kongress-Abgeordnete forderten Außenministerin Clinton auf, bei ihrem Besuch auf dem ASEAN-Gipfel die Menschenrechte anzusprechen. Die amerikanische Botschaft in Hanoi hat ihre "Besorgnis" ausgedrückt.
Am Mittwoch waren in Tra Vinh im Mekong Delta drei junge Arbeiteraktivisten zu hohen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie vor einer Fabrik Flugblätter verteilt hatten. Sie werden beschuldigt, Streiks anzetteln zu wollen und müssen deshalb nun für sieben bis neun Jahre ins Gefängnis. Seit mehreren Jahren hat die Regierung immer wieder Aktivisten unabhängiger Arbeiterorganisationen vor allem im Süden Vietnams verhaftet. Doan Huy Chuong, der jetzt zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, hat bereits in den vergangenen Jahren im Gefängnis gesessen, weil er einer nicht-staatlichen Arbeiterorganisation angehört hatte.
Streiks sind in Vietnam nur legal, wenn sie zuvor von der offiziellen Gewerkschaft beantragt und von den Behörden genehmigt wurden, was allerdings selten der Fall ist. Deshalb kommt es immer wieder zu sogenannten "wilden Streiks". "Man bräuchte diese Streiks nicht, wenn es Tarifverhandlungen und unabhängige Arbeitsgerichte gäbe", sagt Jörg Wischermann vom GIGA-Institut für Asienstudien in Hamburg. "Aber so sehen die Beschäftigten keine andere Möglichkeit, ihre Interessen zu vertreten." Dass die Strafen diesmal so drakonisch ausgefallen sind, liege aber auch daran, dass die Aktivisten offenbar Kontakt zu vietnamesischen Gruppen im Ausland hatten. "Das ist ein Muster: Wann immer Dissidenten Kontakt zu Exil-Gruppen haben, sind die Strafen besonders hart."
Abschreckung vor Parteitag
In Zentral-Vietnam wurden fast zeitgleich sechs Bewohner eines katholischen Dorfes zu Haftstrafen von mehreren Monaten verurteilt. Sie hatten gegen die Enteignung von Kirchengrundstücken protestiert, darunter war auch der Dorffriedhof. Die Regierung will dort ein Öko- und Tourismusprojekt bauen. Als die Dorfbewohner trotzdem eine alte Frau beerdigen wollten, löste die Polizei den Trauerzug auf und verhaftete mehrere Bewohner.
Seit Jahren ist das Verhältnis zwischen Katholiken und der Regierung angespannt. Die beiden Prozesse stünden deshalb nicht unmittelbar mit den Verhaftungen vor dem ASEAN-Gipfel in Verbindung, sagt Vu Quoc Dung von der IGFM, "die Lage hat sich insgesamt verschlechtert". Viele Beobachter glauben, dass die härtere Gangart von Regierung und Gerichten auch mit den Vorbereitungen auf den nächsten Parteitag der Kommunistischen Partei zu tun habe. Anfang 2011 muss die KP eine neue Staatsspitze bestimmen, nun bringen sich verschiedene Fraktionen in Stellung. "Im Umgang mit Oppositionellen setzt die Regierung auf drakonische Strafen zur Abschreckung - zumal jetzt, vor dem Parteitag", sagt Jörg Wischermann vom GIGA-Institut.
Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Miriam Klaussner